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Sonntag ist Büchertag: Gesellschaftliche Brüche als Stoff für einen Krimi

Im neuen Kriminalroman schickt Sonja Silberhorn ihre Kommissarin Lene Wagenbach zu einem Tatort, der in eine abgelegene Kommune und finstere Zeiten führt. Urs Heinz Aerni stellte der Autorin Fragen zu ihrem neuen Buch „Im Schatten des Waldes“. – Sonntag ist Büchertag

Sonja Silberhorn Buchcover (c) KaMeRu Verlag

Urs Heinz Aerni: Frau Silberhorn, Sie veröffentlichten bisher im Kölner Emons Verlag, dieser habe aber das aktuelle Manuskript abgelehnt, der jetzt in einem anderen Verlag erschienen ist. Können Sie uns die Gründe für die Ablehnung erklären?

Sonja Silberhorn: Letztlich waren es zwei Gründe, die zur Ablehnung geführt haben. Zum einen war man im Verlag der Meinung, dass niemand mehr über die Corona-Zeit – Handlungszeit des Romans ist unter anderem die Spätphase der Pandemie, Frühsommer 2022 – lesen möchte, zum anderen war man mit der Positionierung des Textes, also der Schilderung der gesellschaftlichen Verwerfungen, ohne dabei Position für die Unterstützer und Unterstützerinnen der Regierungspolitik zu beziehen, nicht ganz einverstanden.

Aerni: Sie bringen ein heißes Eisen wieder zum Glühen…

Silberhorn: Nun ja, mit dem Thema des seither stark verengten zulässigen Meinungskorridors, das im Roman behandelt wird, und den Gefahren, die diese Entwicklung meiner Meinung nach mit sich bringt, war man ebenfalls nicht glücklich, zumindest nicht in der von mir gewählten Form der Darstellung. Aber vielleicht beurteilt man dort die gesellschaftliche Situation einfach anders, als ich es tue.

Aerni: Ihr Kriminalroman umkreist das gesellschaftliche Klima, das durch die Pandemie aufgeheizt wurde. Wir wissen, wie viele Experten und Expertinnen, Medienschaffende und Behörden unterschiedlich damit umgegangen sind oder darüber kommuniziert haben, schließlich waren alle überfordert. Warum haben Sie dieses Thema nochmals literarisch aufgegriffen?

Sonja Silberhorn (c) Petra Homeier

Silberhorn: So viele Unterschiede in Umgang und Kommunikation ließen sich, zumindest in Deutschland, aus meiner Sicht leider nicht feststellen. Wer es wagte, die deutsche Pandemiepolitik insgesamt oder auch nur einzelne Maßnahmen zu kritisieren, musste mit sehr hartem Gegenwind und vor allem starker moralischer Abwertung rechnen, was mich persönlich zutiefst schockiert hat.

Aerni: Hat sich das aber nicht wieder beruhigt?

Silberhorn: Das gesellschaftliche Klima empfinde ich seither als vergiftet, die Spaltung ist nicht wegzudiskutieren, im Gegenteil erstreckt sie sich über Corona hinaus auf immer weitere Themen. Ich persönlich bin der Meinung, dass Totschweigen in einer solchen Situation die schlechteste aller möglichen Handlungsoptionen ist. Deshalb gab es für mich gar keine andere Wahl, als das Thema literarisch aufzugreifen.

Aerni: Der «Tatort» auf ARD oder der Feierabendkrimi und die Kriminalliteratur gehen gesellschaftliche Trends und Probleme an. Warum ist gerade die Form des Kriminalromans in Ihren Augen geeignet, wunde Punkte in unserer sozialen Welt anzugehen?

Silberhorn: Nun, in Kriminalromanen steht normalerweise die Aufklärung von Gewaltverbrechen im Mittelpunkt, die wiederum in den meisten Fällen aus Konflikten hervorgehen. Das können ganz unterschiedliche Arten von Konflikten sein, innere, familiäre, aber natürlich auch gesellschaftliche. Insofern gibt es kaum ein geeigneteres Genre, um diese Konflikte, sozusagen auf die Spitze getrieben, abzubilden.

Aerni: Die Ausgangslage geht von einem Hof einer Selbstversorgergemeinschaft aus, auf dem menschliche Knochen gefunden wurden, die auf ein Ereignis in die dunklen Jahre der Nationalsozialisten hinweisen. Die Ermittlung leitet die Kommissarin Lene Wagenbach der Kripo Regensburg. Wie kamen Sie auf die Idee zu diesen Zeitsprüngen?

Silberhorn: Zugegebenermaßen ist diese Idee nicht neu, ich habe bereits im Vorgängerroman „Höllbachtal“ mit zwei unterschiedlichen Zeitebenen – einem in der Gegenwart, einem in der Zeit des Nationalsozialismus – gearbeitet. 

Aerni: Der 2021 im besagten Emons Verlag erschienen ist…

Silberhorn: Der Beweggrund damals, meiner bereits in ihrem dritten Fall ermittelnden Kommissarin eine zeitlich so weit zurückreichende Basis ihres aktuellen Mordfalls aufzubürden, war eine Art persönliche Besessenheit: Ich hatte im Vorfeld zur Lebensgeschichte meines Urgroßvaters recherchiert, der als politischer Häftling unter anderem im Konzentrationslager Sachsenhausen inhaftiert war und dort 1943 zu Tode gekommen ist. Dieser Teil der Familiengeschichte hat mich nicht losgelassen, sodass ich ihn in Teilen in „Höllbachtal“ verarbeitet habe. Obwohl ich zu Beginn der Arbeit sehr großen Respekt vor der Arbeit an diesem historischen Handlungsstrang hatte, habe ich während des Schreibens festgestellt, dass mir gerade diese Textpassagen, trotz der Tragik der damaligen Zeit, sehr gut von der Hand gehen. Ich schreibe diese Textstellen also tatsächlich gerne, und auch thematisch hat sich das Prinzip der wechselnden Zeitebenen für den neuen Roman wieder angeboten. 

Aerni: Zu welchen Schlüssen gelangen Sie, nach dem Zurückversetzen in die finsteren Zeiten Deutschlands?

Silberhorn: Die Zeit des Nationalsozialismus, mit der ich mich sehr intensiv auseinandergesetzt habe, ist ein Lehrstück in Bezug auf die gesellschaftlichen Entwicklungen innerhalb eines zunehmend totalitären politischen Klimas, die ja letztlich immer nach einem ähnlichen Schema ablaufen, bis hin zur vollständigen Katastrophe. Insofern bin ich überzeugt davon, dass wir diese Zeit und vor allem dieses immer wieder zum Tragen kommende Schema nicht aus den Augen verlieren sollten.

Aerni: Aus einem Gemisch von Vorurteilen, Ängsten und Hetze könnte man die Ursuppe bezeichnen, aus der Ihr Roman entstanden ist. Sehen Sie Hoffnungsschimmer für unsere Gesellschaft?

Silberhorn: Teils ja, teils nein. Ich persönlich glaube nicht, dass sich die Gräben, die sich in den vergangenen Jahren aufgetan haben, in absehbarer Zeit wieder zuschütten lassen und man zu einer Art „Wir-Gefühl“ zurückfindet. Ich hege aber zumindest die Hoffnung, dass immer mehr Menschen erkennen, wie wichtig es ist, gegebenenfalls auch politische Entscheidungen zu hinterfragen und sich konstruktiv, auch und vor allem im Hinblick auf verschiedene Perspektiven und Meinungen, auseinanderzusetzen. Wenn wenigstens dieser Konsens innerhalb des Großteils der Gesellschaft bestünde, könnten weitere drastische Verwerfungen in Zukunft vielleicht vermieden werden.

Aerni: Der Roman liegt in den Buchhandlungen. Hegen Sie – so ganz unter uns – Erwartungen? Wenn ja, welche?

Silberhorn: Erwartungen können positiv oder negativ sein, richtig? Was negative Erwartungen angeht, so werden sich vermutlich manche Leserinnen und Leser aufgrund von Thema und Darstellung von mir als Autorin abwenden, was ich zwar schade finde, was mich aber auch nicht unvorbereitet trifft. Meine positive Erwartung, die sich zumindest im persönlichen Umfeld bereits bestätigt hat, ist die Erweiterung des eigenen Blickwinkels, die eventuell manche ereilt. Wer sich während der vergangenen Jahre nicht mit den unschönen gesellschaftlichen Entwicklungen in Deutschland befasst hat, sei es aus Zeitmangel, fehlender eigener Betroffenheit oder anderen Gründen, der oder die wird vielleicht zum Nachdenken darüber angeregt, was geschehen ist und wie wir an den unglückseligen Punkt gelangen konnten, an dem wir uns meiner Einschätzung nach jetzt befinden. Zumindest würde ich mir das wünschen.


Das Buch: „Im Schatten des Waldes“, Kriminalroman von Sonja Silberhorn, 978-3-907327-01-2, Kameru Verlag, 2024

Sonja Silberhorn, Jahrgang 1979, lebt und arbeitet in ihrer Geburtsstadt Regensburg. Nach verschiedenen Stationen in der Hotellerie und im kaufmännischen Bereich widmet sie sich heute ihren beiden großen Leidenschaften: dem Schreiben und, leider für ihren Geschmack zu selten, dem Reisen. Bisher sind zwei regionale Reiseführer aus ihrer Tastatur erschienen, ihre Kriminalkommissare schickt sie bereits seit 2011 literarisch durchs lokale Verbrecherdickicht. Mehr unter SonjaSilberhorn.de


Titelbild: Karolina Grabowska / Pixabay

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