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Mila – der ganz andere Supermarkt in Meidling

Mila ist der erste Mitmach-Supermarkt Österreichs. Im neuen Standort in Meidling sieht man, was das bedeutet: Hier wird das Sortiment von Mitgliedern bestimmt und eingeräumt. Mila will sozial und ökologisch vorbei an den großen Supermarktketten – und das nicht nur für Wohlhabende.

Von Paula Dorten (MOMENT)

Wer diesen Supermarkt betritt, merkt schnell, dass alles ein bisschen anders ist. Bei “Mila” gibt es kein Regal-Labyrinth, sondern bisher nur einen kleinen Raum. Die Rabattschilder sind handgeschrieben, die Kassa ist aus hellem Holz statt schwarzem Förderband. Der Etikettendrucker der Waage ist störrisch. Das feine Papier muss behutsam an die Klingen gedrückt werden und darf erst dann abgerissen werden. Das muss dir jemand zeigen.

Google Maps findet den Eingang noch nicht. Wer zu Mila will, muss den dicken weißen Blockbuchstaben auf dem Asphalt folgen. Sie sind per Hand mit Kreidespray aufgemalt.

Was ist ein Mitmach-Supermarkt?

Mila ist ein partizipativer Supermarkt – einfach gesagt, ein “Mitmach-Supermarkt”. Das Geschäft gehört keinem Konzern oder einzelnen Unternehmer:innen, sondern den Mitgliedern. Sie bestimmen, was zu welchem Preis im Regal landet – und nur sie dürfen auch einkaufen. Mitglied wird man durch den Kauf eines Genossenschaftsanteils. Der muss einmalig bezahlt werden, ist sozial gestaffelt und wird bei Austritt wieder zurückerstattet. Je nach Lebenssituation liegen die Kosten bei 180 oder 20 Euro. Bei Mila gibt es inzwischen über 700 Mitglieder.

Neue Mitglieder sind herzlichst willkommen, denn vorangegangene Projekte zeigen: etwa 1000 Mitglieder sind die Voraussetzung für einen reibungslosen Mitmach-Markt. Vorbilder gibt es mittlerweile zahlreiche. Die partizipativen Supermärkte sind europaweit miteinander vernetzt. Neben Mila haben sich auch in Österreich schon andere gefunden – etwa in Innsbruck oder Klagenfurt. Was wie gut funktioniert, schauen sie sich voneinander ab.

Die Geschichte der Mitmach-Supermärkte

Die neuen Geschäfte in Österreich sind jung. Die grundlegende Idee ist es nicht. Mit ähnlichem Ansatz begann die Geschichte der österreichischen Konsumgenossenschaften. 1856 gründeten Arbeiter:innen den ersten Konsumverein, um die steigenden Lebensmittelpreise zu umgehen. Schnell vermehrten sich die Konsumgenossenschaften. Ihre Grundsätze erinnern an Mila: eine demokratische Verwaltung, offene Mitgliedschaft und Rückvergütung der Gewinne. Diese erste Generation des Experiments konnte dem Druck der Supermarktketten schlussendlich nicht standhalten und ging in Insolvenz.

Für Mila bleibt auf ein anderes Ende zu hoffen. Auch dafür gibt es Vorbilder. Ein internationales ist die Park Slope Food Coop in New York. Sie wurde vor 40 Jahren gegründet. Mittlerweile hat sie 17.000 Mitglieder.

Je mehr Menschen, desto geringer ist auch der Arbeitsaufwand für jede:n Einzelne:n. Denn alle spielen Mehrfachrollen: Sie sind Kund:innen, Kassiererende und Leitende. Bei Mila hat jedes Mitglied einmal im Monat eine verpflichtende Supermarkt-Schicht. Drei Stunden schlichten, kassieren und räumen.

Supermarkt-Demokratie

“Wir nennen es zwar Arbeit, aber das ist zu kurz gegriffen”, sagt ein Mitglied. “Vielmehr heißt es, Teil einer Gemeinschaft, eines nachhaltigen Versorgungssystems zu sein.” Das ist deutlich merkbar. Der Supermarkt ist nicht nur Einkaufsort, sondern sozialer Raum. Man trifft sich, tauscht sich aus.

Und das ändert so manchen Blickwinkel. “Bei mir Zuhause kauft meine Frau ein”, erzählt ein Mann, “bevor ich Mitglied geworden bin, wusste ich nicht, wie Ingwer ausschaut. Seitdem ich aber hinter der Kassa stehe, muss ich die Produkte kennen.” Für das Angebot gibt es ein dunkelblaues Wunschbuch. Da wurde zum Beispiel Kreuzkümmel oder Mandel-Sesam Tofu notiert. Wird es Teil des Angebots, kommt hinter den Wunsch ein Häkchen. Klopapier gibt es so zum Beispiel erst seit zwei Wochen.

Ein Verbot für bestimmte Produkte gibt es nicht. Es stehen auch Mannerschnitten und Alkohol im Regal. Was im Angebot bleibt, hängt von der Nachfrage ab. Möglichst regional und saisonal soll es sein. Etwa 90 % sind Bio. “Aber wir haben keinen Perfektionsanspruch, wir sind nicht der erhobene Zeigefinger”, sagt die Mitgründerin und Vereinsobfrau Brigitte Reisenberger.

Ein antikapitalistischer Gedanke

Mila kauft direkt bei Produzenten ein. Bei jedem Produkt kommt auf diesen Einkaufspreis ein Aufschlag von 30 % dazu. Dieses Geld fließt wieder zurück in die Genossenschaft. “Wir sind ein Supermarkt mit antikapitalistischem Grundgedanken”, sagt Brigitte Riesenberger. ”Jeglicher Profit wird in Mila reinvestiert und bleibt im Kreislauf. Niemand kriegt Gewinne ausgeschüttet und bereichert sich.”

Das ist in Österreich durchaus eine Besonderheit. Hier beherrschen drei Konzerne den Lebensmitteleinzelhandel. Rewe, Spar und Hofer besitzen zusammen etwa 90 % der Supermärkte. In keinem anderen EU-Land ist die Marktkonzentration so hoch. International drängen sogar noch größere Megakonzerne in das Geschäft – in vielen Ländern versucht es etwa auch Amazon. Kleine Läden und Nahversorger verrecken neben den Giganten. Die bestimmen über die Lebensmittelpreise. Und zwar ohne Transparenz.

Eine soziale Frage

“Fleisch wird als Lockangebot billig verramscht, während es auf andere Lebensmittel einen irren Preisaufschlag gibt”, mein Reisenberger. Eine Garantie für eine gerechte Bezahlung der Hersteller:innen gibt es deshalb noch lange nicht. “Es darf keine Frage von Vermögen und Einkommen sein, sich hochwertige und nachhaltige Lebensmittel leisten zu können.” Durch den fixen Aufschlag gäbe es bei Mila faire Preise. So kostet ein Kilo Bio-Äpfel bei Mila 2,91 Euro, beim Spar 3,49. Eine Flasche Makava Eistee ist bei Mila jedoch um 4 Cent teurer. Wer eigene Gefäße mitbringt, kann sich Basmati-Reis und Linsen selbst abfüllen. Beides sei dadurch um mindestens 10 % billiger, so die Mitgründerin.

Wer bei Mila anpackt, bekommt jedenfalls auch Unverpacktes. Obst und Gemüse ist bei Mila fast gänzlich verpackungs- und verschwendungsfrei. Denn was bald abläuft, bekommt einen gelben Punkt verpasst. Der soll dazu ermutigen, das Produkt zu kaufen, anstatt im hintersten Eck des Regals nach länger Haltbarem zu bohren.

Mila bleibt nicht Mini

Geht man heute zu Mila, ist es noch ein Minimarkt. Doch der ist erst der Vorgeschmack. Der Raum ist eigentlich nur Nebenzimmer einer großen Halle, die noch Baustelle ist. Der Verein Mila wurde schon 2020 gegründet, war seit 2022 in Ottakring untergebracht und hat vor Kurzem den Standort in Meidling angemietet. “Ich habe den Laden schon gekannt aus der Haberlgasse”, erzählt eine Frau, ”damals habe ich davon im Augustin gelesen.” Im Frühjahr 2025 soll in Meidling der große Supermarkt eröffnen. Mit mehr Platz und breitem Sortiment.

Nach Meidling soll also die Masse. Bis Ende Oktober läuft dafür eine Crowdfunding-Kampagne. 70.000 Euro will Mila sammeln. Unterstützende können einen Regalmeter oder ein Einkaufswagerl spendieren. Jeden Freitag gibt es in Meidling einen offenen Infotag.

Wir wollen nicht Bobo-Bio sein

Mila sei extra nach Meidling übersiedelt, sagt Reisenberger. “Wir wollen kein exklusiver Bobo-Bio-Supermarkt, sondern zugänglich für alle sein. Deswegen sind wir nicht in den 7., sondern in einen Wiener Durchschnittsbezirk gezogen.” Um der Vereinnahmung des Bobotums etwas entgegenzusetzen, gibt es auch eine eigene Arbeitsgruppe für Diversität. In der Nachbarschaft wurde nach Wünschen für den Laden gefragt, von der Fassade bis zur Barrierefreiheit. Die Flyer sollen mehrsprachig übersetzt werden. Aktuell fehle noch arabisch, aber unter den 700 Mitgliedern finde sich immer eine Person zum Übersetzen.

Ein Supermarkt für alle. Das ist der Anspruch von Mila und der spiegelt sich auch im Sortiment wider. Es gibt den teuren, roten Spitzenrisottoreis aus Frankreich, daneben günstigen Basmatireis und Tomatensoße zu allen Preisen. So sollen verschiedene Bedürfnisse abgedeckt werden. Deshalb werden auch nicht nur Lebensmittel, sondern auch alles andere Notwendige angeboten – von Geschirrspültabs über Gummiringerl. In der Nachbarschaft stößt das auf Sympathie. Ständig stolpern neue Leute herein. “Ich wollte eigentlich zum Interspar. Dann habe ich die weiße Schrift am Boden gesehen.”, sagt eine Frau. “Mila ist nicht so unpersönlich wie ein Supermarkt, es erinnert mich an einen Greissler. Vielleicht werde ich auch Mitglied.” Dann muss sie bloß noch jemand mit der Waage vertraut machen.


Dieser Beitrag wurde am 21.10.2024 auf moment.at unter der Creative-Commons-Lizenz CC BY-SA 4.0 veröffentlicht. Diese Lizenz ermöglicht den Nutzer*innen eine freie Bearbeitung, Weiterverwendung, Vervielfältigung und Verbreitung der textlichen Inhalte unter Namensnennung der Urheberin/des Urhebers sowie unter gleichen Bedingungen.

Titelbild: Mila

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