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Wie viel Frieden steckt in der Sicherheitsstrategie?

Wenn Bundeskanzler Karl Nehammer Österreich als Brückenbauer positioniert, so hat er sich mit der neuen Sicherheitsstrategie dafür zu wenig zivile Instrumente in die Hand gegeben.

Ein Gastbeitrag von Thomas Roithner

Entscheidungen waren in der Außen- und Sicherheitspolitik in den letzten zwei Jahren geradezu zahlreich: Milliarden für Sky Shield und so ziemlich alles, was fliegt und Panzer fast soweit das Auge reicht. Ja zu Sky Shield auch wegen der Neutralität, Nein zur Ausbildung ukrainischer Panzerfahrer wegen der Neutralität. Nein zur Entminung in der Ukraine, weil neutral, aber Ja zu Waffendurchfuhren. Bemerkenswert dabei: die Sicherheitsstrategie wurde lange angekündigt und von der türkisgrünen Regierung auf den allerletzten Drücker veröffentlicht. Dass über die letzten Jahre eine Strategie fehlte, hat nicht gehindert, beim Waffenkauf zu klotzen, statt zu kleckern. Die Umsetzung oder Nicht-Umsetzung der nun doch vorliegenden Strategie wird zur nächsten Regierung durchgereicht.

Unpräziser Frieden

Dass die Politik dem aktuellen Konfliktgeschehen beinahe rastlos mit Militär- und Sicherheitslogik hinterherhastet, drückt sich dort aus, wo’s konkret wird. Für die Truppe, Waffen und militärische Handlungsfähigkeit gibt es Budget, Bekenntnisse und Zeitpläne. Prominent wird dies durch sämtliche Rüstungs- und Militärprojekte der EU argumentativ flankiert.

Unpräzise, ohne Zeitplan sowie ohne Mittel- und Kompetenzzuweisung bleibt vieles, was Friedenspolitik ausmacht. Unverbindlich bleibt Krisenprävention, vage stellen sich Dialoginitiativen dar und undeutlich bleibt, wie Österreich als „Vermittler auf internationaler Ebene“ ein strukturiertes Profil gewinnen kann. Von einem Finanzrahmen – wie bei Waffen und Soldaten – ist bei ziviler Konfliktbearbeitung und Krisenprävention weit und breit keine Spur. Der Aufbau eines Zivilen Friedensdienstes wurde in der türkis-grünen Regierungszeit in mehreren Anläufen und Projektregionen zivilgesellschaftlich versucht. Er ist trotz Verankerung im Regierungsprogramm und parlamentarischer Entschließung abgelehnt worden. In der neuen Sicherheitsstrategie ist der Zivile Friedensdienst enthalten und hat eine neue Chance.

Zivile Einsätze

Warum das Unverbindliche so problematisch ist, zeigt ein Blick auf die letzten 25 Jahre. Im Jahr 1999 – als die EU das völkerrechtswidrige NATO-Bombardement in Jugoslawien als gerechtfertigt betrachtete – wurden zivile und militärische Mechanismen für internationale Einsätze weithin sichtbar in den EU-Instrumentenkasten gehoben. Die Zahlen zeigen im EU-Vergleich, dass sich Österreich bei zivilen Einsätzen zurückgelehnt hat. Schweden schickt in den letzten Jahren mehr als fünf Mal so viel sekundierte zivile Kräfte in EU-Einsätze, Finnland jüngst vier Mal so viel und auch Irland tut mehr als Österreich. Die Sicherheitsstrategie des neutralen Österreich des Jahres 2024 belässt es betreffend weiterer Pläne für zivile Einsätze bei Prüfungsabsichten und Unverbindlichkeiten.

Die von Versöhnungsbund und der Kampagne zur Abschaffung von Nuklearwaffen in Österreich (ICAN Partner) vorgelegte Österreichische Friedensstrategie schlägt vor, dass Österreich bis 2029 einen Pool von 500 zivilen Kräften aufbaut, die im Rahmen von UNO, OSZE, EU und NGOs friedenspolitisch bereitstehen. Der EU-Rahmen soll dabei für die dauerhafte Finanzierung genützt werden. Die von Bundeskanzler Karl Nehammer verfolgte Rolle Österreichs als Brückenbauer wird nicht gelingen, wenn nicht mehr zivile Mechanismen im Repertoire sind.

Atomare Abrüstung und humanitär begründete Rüstungskontrolle sind ein Vorzeigemodell, wie sich Österreich internationale Sichtbarkeit und Glaubwürdigkeit erarbeitet hat. Auch die Friedensbewegung hat dafür Anerkennung gezollt. Der Ausbau dieses Außenpolitikfeldes kann – mit Blick auf die öffentliche Meinung – als gesamtgesellschaftliches Anliegen verstanden werden.

Versicherheitlichung

Klimapolitik hat in der Sicherheitsstrategie einen wichtigen Platz. Unbeantwortet bleibt, warum Klimapolitik zunehmend durch die sicherheitsstrategische Brille betrachtet wird. Was aus fachlicher Sicht primär eine Frage nachhaltigen Wirtschaftens, zukunftsfähiger Mobilität oder globalem gerechtem Miteinander ist, wird anscheinend zusätzlich zur Sicherheitsfrage umetikettiert. Offen bleibt, welche Rolle die Sicherheitsapparate beim Engagement gegen die Klimaerhitzung spielen. Welchen Beitrag leistet die Armee, um Treibhausgase gemäß EU-Ziel um 55 % zu reduzieren?

Verpasst ist die Chance der Klärung, was die Republik unter Neutralität versteht. Die Sicherheitsstrategie sagt nur knapp, was militärische Neutralität nicht ist und dass sie der EU nicht im Weg steht. Eine friedenspolitische Vorstellung zur Neutralität fehlt. Die vom Versöhnungsbund und ICAN-Partner veröffentlichte Österreichische Friedensstrategie formuliert positiv:

Durch aktive Neutralitätspolitik soll gestärkt werden, was die internationale Politik an Gewaltfreiem zu wenig hat, was übersehen wird oder wofür neben steigenden Militärbudgets kein Platz scheint.

In Immanuel Kants philosophischem Entwurf „Zum ewigen Frieden“ ist bei Krieg und Frieden „die Beistimmung der Staatsbürger“ ein zentraler Teil. Die Veröffentlichung der Strategie nicht im Sommerurlaub zu terminisieren, wäre schon mal ein Anfang zu einer beistimmenden Debatte gewesen, welchen Frieden und welche Sicherheit wir mit welchen Mitteln erreichen wollen.


Thomas Roithner ist Friedensforscher, Privatdozent für Politikwissenschaft an der Universität Wien, Mitarbeiter im Versöhnungsbund und Co-Autor der Österreichischen Friedensstrategie

Veranstaltungshinweis: Die wichtigsten Punkte aus Sicherheitsstrategie und Friedensstrategie stehen auf dem Prüfstand. Warum eine Friedensstrategie einen innovativen Zugang zur Sicherheitsthematik bietet, ausgetretene Pfade verläßt und für neues Denken über ganzheitliche Sicherheit steht. Es diskutieren: Dr. Thomas Roithner und Manfred Sauer.
Details unter Wie viel Friedensstrategie steckt in der Sicherheitsstrategie? – Unsere Zeitung (unsere-zeitung.at)

Titelbild: Thomas Roithner

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