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Kampf um das Recht auf Abtreibung

Im April 2024 forderten Abgeordnete des EU Parlaments, das Recht auf Abtreibung in der Grundrechtecharta zu verankern. Allerdings stehen die Chancen dafür schlecht, denn dem müssten alle 27 Mitgliedsstaaten zustimmen und in den Ländern Europas gibt es erhebliche Unterschiede, auch was das Recht auf Abtreibung betrifft: Polen und Malta beschränken den Zugang massiv. Und insbesondere für Migrant*innen, Menschen ohne Papiere, aber auch Menschen mit wenig Geld ist der Zugang zu Abtreibung überall in der EU ein Problem.

Von Antje Vieth und Rosa Maldonado / NPAL / POONAL

Wir fragten verschiedene Frauen und Aktivist*innen aus Slowenien, Österreich, Spanien und auch in Deutschland zu ihren Kämpfen und wollten vor allem auch von lateinamerikanischen Frauen wissen, welche Erfahrungen sie in Europa gemacht haben. Denn vor allem, was die feministische Begleitung von Abtreibungen betrifft, ist die feministische Bewegung in Argentinien nach wie vor Vorreiter*in.

Frankreich ist nicht erste Land, welches das Recht auf Abtreibung in der Verfassung verankert hat. Denn in der kurzen Phase der Republik in Katalonien zwischen 1936 und 1939 wurde das Recht auf Abtreibung ebenso garantiert wie später in Ex-Jugoslawien. Hier war das „Menschenrecht, frei über die Geburt von Kindern zu entscheiden“ fest in der Verfassung verankert. Slowenien blieb auch nach dem Zerfall Jugoslawiens bei der liberalen Regelung. Kristina von My Voice My Choice Slowenien berichtet: „Wir gehören zu den Ländern mit der besten Gesetzgebung, wenn es um Abtreibung geht. Hauptsächlich deshalb, weil das Recht auf Abtreibung ein verfassungsgemäßes Recht ist, was bedeutet, dass der Staat nicht nur die Verpflichtung hat, das Recht auf Abtreibung zu schützen, sondern auch aktive Schritte unternehmen muss, die Abtreibung auch in der Praxis zugänglich machen. Das heißt, dass Abtreibung zugänglich und kostenlos ist, was für alle sehr wichtig ist.“

Pro Choice ist eine weltweite soziale Bewegung mit Ursprung in den USA. Stefanie arbeitet bei Pro Choice Austria, einer kleinen, ehrenamtlich arbeitenden Gruppe, die sich für den sicheren Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen einsetzt. Mit Interviews, über Social-Media-Workshops und Diskussionen machen sie auf die Situation in Europa aufmerksam und treten insbesondere in Wien und ganz Österreich mit Politiker*innen in Kontakt. Ihre Forderung: Das Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch gesetzlich zu verankern. Stefanie berichtet: „Der Schwangerschaftsabbruch ist bis heute ein Tabuthema in unserer Gesellschaft. Das hat mit einigen politischen Entscheidungen in Polen angefangen, die den Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen mehr und mehr erschwerten und dann durch die Entscheidung in den Vereinigten Staaten, das Grundsatz-Urteil Roe vs. Wade zu kippen.“

Roe versus Wade hatte Auswirkungen über die Kontinent hinweg

Im Juni 2022 wurde in den USA das landesweite Recht auf Abtreibung gekippt und somit das Grundsatzurteil von 1973. Im Urteil Roe v. Wade wurde einer Frau unter dem Pseudonym „Roe“ Recht gegeben, die erfolgreich den US-Bundesstaat Texas verklagt hatte. Demnach verletzte ein texanisches Strafgesetz zum Schwangerschaftsabbruch das verfassungsmäßige Recht einer Frau, über Abbruch oder Fortführung ihrer Schwangerschaft selbst zu entscheiden. Seit der Oberste Gerichtshof Roe vs Wade einkassiert hat, sei die Situation schwieriger geworden, erläutert Stefanie, übrigens nicht nur in den USA: „Wir haben nach wie vor die Gesetzgebung von vor 50 Jahren und wir haben nach wie vor einen sehr schlechten Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen. Und es sind nach wie vor horrende Kosten, die privat zu bezahlen sind. Die Aktivistinnen, die für einen freien Zugang sind, fühlen sich wie in einem Kampf gegen Windmühlen. Weil dieser Kampf eben seit Jahrzehnten geführt wird und sich aber auf rechtlicher Ebene nichts tut.“

Begleitung ist das A und O

Lucía ist Teil des spanischen Kollektivs Aborto Antiracista (antirassistische Abtreibung), das Frauen, insbesondere Migrant*innen, bei Abtreibungen unterstützt. Sie kommt aus Kolumbien und lebt in Madrid: „Wir machen Lobbyarbeit, vor allem in Madrid, und wir begleiten Abtreibungen. Unser Hauptziel ist die Verteidigung der Autonomie unserer Körper. Wir begleiten sowohl Migrantinnen, als auch rassifizierte Frauen hier in Madrid bei Schwangerschaftsabbrüchen.“ Die aktive Begleitung von Abtreibungen sehen die Aktivist*innen auch als einen politischen Akt. Eine Aktion, die den Schwangerschaftsabbruch raus aus dem Privaten holt und ihn in einen gemeinschaftlichen, ja alltäglichen Akt holt. Diese Erfahrung, dass Abtreibungen etwas Gemeinschaftliches sind, ist keineswegs neu und wird in Lateinamerika schon seit über hundert Jahren praktiziert. So berichtet uns Lucía weiter: „Ich komme aus einer sehr armen Stadt in Kolumbien, bin aber die meiste Zeit meines Lebens auf dem Land aufgewachsen. Meine Freundin war damals 15 Jahre alt, und mit dem wenigen Wissen, das wir von ihrer Großmutter und ihrem familiären Umfeld hatten, gelang es uns, eine sichere Abtreibung durchzuführen. Mit Tee oder heißem Oregano wollen wir diese Rückbesinnung auf unseren (eigenen) Körper und auf das Wissen unserer Großmütter fördern und uns etwas von unserem eigenen Wissen zurückholen.“

Für Migrant*innen ist die Situation besonders hart

Für Migrant*innen oder Menschen, die sich nicht in ihrem gewohnten Umfeld befinden, ist die Situation doppelt kompliziert. Victoria kommt aus Argentinien. Gerade in Italien angekommen stellt sie fest, dass sie ungewollt schwanger ist und entscheidet sich gegen eine Schwangerschaft: „Anfangs war die Situation sehr schwierig. Was mir am meisten Angst machte, war, dass ich hörte, Italien sei beim Thema Abtreibung ein sehr verschlossenes Land. Ich hatte Angst, schlecht behandeln zu werden, weil ich abtreiben wollte. Aber das Gegenteil war der Fall. Ich fühlte mich von Rosa, Raisa und Luisa sehr gut begleitet. Die drei sind in verschiedenen NROs tätig, ohne sie wäre es nicht möglich gewesen. Raisa hat mich in die Klinik gebracht, sie hat mich besucht und bei allem, was ich tun musste, hat sie mich begleitet, sie war bei mir.“ Wie Lucía vom Kollektiv Aborto Antiracista sind auch Rosa, Raisa und Luisa Teil eines feministischen Netzwerkes, das Frauen bei ungewollter Schwangerschaft begleitet. Lucía berichtet: „Ich hatte selber einen Schwangerschaftsabbruch und wurde Opfer mehrerer Anfeindungen, und so begannen wir unsere Erfahrungen auszutauschen, weil wir erkannten, dass es dringend notwendig war, nicht nur Frauen ohne Papiere zu begleiten, was unsere Hauptaufgabe ist – sondern auch rassifizierte Frauen, Migrantinnen, die sich für einen Schwangerschaftsabbruch entschieden haben, und sie in diesem Prozess zu begleiten.

Umkämpftes Menschenrecht

Körperliche Selbstbestimmung ist für Frauen weltweit keine Selbstverständlichkeit. Sowohl in Deutschland, wo Paragraf 218 seit 150 Jahren Abtreibung grundsätzlich unter Strafe stellt, als auch in anderen Ländern weltweit, wird körperliche Selbstbestimmung rechtlich eingeschränkt. Wieso muss dieses Menschenrecht immer noch erkämpft werden? Kristina aus Slowenien betont immer wieder, wie sehr sich eine gute Begleitung und der Zugang zur freien Entscheidung auf die Lebensqualität auswirkt – und zwar auf die der gesamten Gesellschaft: „Wir haben die Erfahrung gemacht, wie gut die Situation in Slowenien ist und wie sehr dies unser Leben positiv beeinflusst. Wir suchten nach einem Instrument, nach einem Mechanismus, um in Ländern, in denen Abtreibung noch immer nicht möglich ist, etwas zu ändern. Die Menschen verstehen langsam, dass es auch um die Solidarität zwischen den Ländern und den Menschen in Europa geht. Die slowenischen Bürger*innen zeigen also Solidarität, wenn sie für Frauen aus Polen, Kroatien, Italien, Malta, Spanien oder anderen Ländern eintreten und Petitionen unterschreiben, in denen Abtreibung nicht möglich ist.“

Der Save Abortion Day, ein internationale Aktionstag für das Recht auf sichere Abtreibung ist am 28. September. Mehr Informationen zu der europaweiten Petition, das Recht auf Abtreibung in der EU zu verankern, gibt es auf der Website von My Voice My Choice.


Dieser Beitrag erschien am 26.09.2024 auf npla.de, lizensiert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.

Titelbild: Kundgebung für das recht auf Abtreibung in Argentinien. Foto: Las Revueltas, Neuquén.

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