AktuellDemokratieDeutschlandEuropaÖsterreich

Wo Vertrauen in die Demokratie fehlt, entsteht Demokratie-Verachtung

Der Verlust von Zukunftsglauben ist ein Problem für die Demokratie. Sie lebt auch von der Hoffnung, dass Dinge besser werden. Daran aber glauben immer weniger. Kein guter Zustand, denn wo Vertrauen in die Politik schwindet, grassiert Demokratie-Verachtung. Ein Interview mit Helmut Ortner.

Bert Bosch-Rossacher: Nicht zuletzt die jüngsten Wahlerfolge rechtspopulistischer bis rechtsextremer Parteien in Deutschland und Österreich beruhen zu einem guten Teil darauf, dass die liberale Demokratie offenbar zunehmend vielen Menschen eher als Mangel, denn als Gewinn erscheint. Ist unsere Demokratie ernsthaft gefährdet?

Helmut Ortner: Wir leben in turbulenten Zeiten. Die Hoffnung auf eine fortschreitende globale Demokratisierung und eine dauerhafte Weltfriedensordnung die noch vor Jahren als Möglichkeit erschien, hat sich aufgelöst. Stattdessen weltweit Krieg, Flucht, Hunger. Dazu das menschgemachte Klima-Desaster. Die Hoffnung, diese Probleme lösen zu können, schwindet. Vor allem der Verlust von Zukunftsglauben, diese Probleme zu lösen, ist ein Problem, denn Demokratie lebt auch immer von der Hoffnung, dass Dinge besser werden.  Doch daran glauben viele Menschen nicht mehr. Demagogen, Populisten und Autokraten aller Couleur erkennen das und nutzen diese Ängste, um die Demokratie zu schwächen. Und viele Menschen folgen ihnen allzu bereitwillig. Wo Vertrauen fehlt, entsteht Enttäuschung, Teilnahmslosigkeit und Verachtung.

Unser demokratisches Gemeinwesen lebt von Teilnahme und Teilhabe, von Verpflichtung und Verantwortung. »Vom ICH zum Wir« – das ist die Formel, die sich eine demokratische Gesellschaft im besten Falle selbst auferlegt.

Bosch-Rossacher: Der Eindruck, die Entwertung der Demokratie schreitet voran – ist dieses Bild falsch?

Ortner: Eindrücke basieren ja nicht unbedingt auf Fakten. Sie formen sich aus subjektiven Wahrnehmungen und Erlebnissen, die unsere Sicht auf die Welt bestimmen. Die demokratischen Parteien haben allesamt massiv an Vertrauen verloren.

Bosch-Rossacher: Das Parteien-System, die liberale Demokratie insgesamt, steht auf dem Prüfstand – gerät sie gerade in Schieflage?

Ortner: Demokratie ist eine fragile Konstruktion. Es braucht Transparenz und Vertrauen. Das ist die Währung der Demokratie. Mangelt es daran, schafft das ein Klima des Misstrauens, der Angst, der Aggression. Notwendig aber ist ein kollektives Einverständnis, eine breite Zustimmung »ein gesellschaftlicher Konsens«. Und es braucht die Bereitschaft des Einzelnen, sich zu »vergemeinschaften«, sich aktiv einzubringen und zu engagieren. Unser demokratisches Gemeinwesen lebt von Teilnahme und Teilhabe, von Verpflichtung und Verantwortung, vom ICH zum Wir – das ist die Formel, die sich eine demokratische Gesellschaft im besten Falle selbst auferlegt – und lebt.

Bosch-Rossacher: Was ist zu tun gegen die Erosion demokratischer Errungenschaften? Was gegen die grassierende Demokratie-Verachtung?

Ortner: Die Wahlergebnisse in Deutschland und in Österreich, wo die AfD und die FPÖ nahezu 30 Prozent der Stimmen bekommen haben, zeigen, dass sich viele Menschen von den traditionellen Parteien abwenden, weil sie ihnen nicht mehr vertrauen, deutlicher: ihnen misstrauen. Nun gibt es Stimmen, die sagen: Solange gewählt wird, haben wir eine intakte Demokratie. Und dabei sei es egal, wer am Ende gewählt wird. Ich mag dem nur bedingt zustimmen. 

Bosch-Rossacher: Aber freie Wahlen repräsentieren den Willen der Bürgerinnen und Bürger. Sie sind der Souverän. 

Ortner: Ja, selbstverständlich. Ergebnisse von freien, gleichen und geheimen Wahlen sind zu respektieren. Wenn man solche Ergebnisse vermeiden möchte, sollte man eine Politik machen, dass solche Wahlergebnisse erst gar nicht zustande kommen.  Aber mir fällt es schwer zu begreifen, wie jemand einer rechtsradikalen, zum Teil faschistischen Partei wie der AFD oder der FPÖ seine Stimme gibt, die Gesetze und Instrumente unseren Rechtsstaat aggressiv dazu nutzen – ihn zu beschädigen und zu verhöhnen. Wer Anti-Demokraten wie Kickl wählt, ist für mich ein Demokratie-Verächter.

Bosch-Rossacher: Demokratie-Kritik ist keine Demokratie-Verachtung, sondern deren essenzieller Bestandteil. Wo verläuft die Grenze? Ist jede Stimme für radikale Parteien schon ein Angriff auf unsere parlamentarische Demokratie?

Ortner: Nein, in einem Rechtsstaat klären das Gerichte – und gegen deren Urteile kann man Rechtsmittel einlegen. Doch unübersehbar ist, dass die radikalisierte Peripherie der Gesellschaft auch von Menschen der bürgerlichen Mitte besiedelt wird. Populismus und Demokratie-Verachtung greifen nicht nur an den Rändern, sondern zunehmend auch auf dem Golfplatz. Wir müssen aufpassen, was den demokratischen Himmel verdunkelt: Gesellschaften können Zivilität lernen – und verlernen. Es gibt einen Prozess der Ent-Demokratisierung, der nur schwer reversibel ist. Das sollte uns bewusst sein.

Bosch-Rossacher: Aber Kritik und Gegenrede sind notwendig  – auch laute, radikale und »system-ablehnende«?

Ortner: Unbedingt. Eine Demokratie lebt von Auseinandersetzung, Disput und Gegenrede. Das ist der Sauerstoff für die Demokratie. Es geht aber auch darum, unsere offene Gesellschaft gegen ihre falschen Freunde und richtigen Feinde zu verteidigen. Gleich ob von rechts oder links. Gegen politischen Fanatismus und religiösen Wahn. Mein Buch versteht sich als ein Plädoyer zur Verteidigung der offenen Gesellschaft, aber auch als Ermunterung zum produktiven Streit.

 

Vom Autor erscheint am 15. Oktober:
Helmut Ortner, HEIMATKUNDE – Falsche Wahrheiten. Richtige Lügen. Politische Essays, Edition Faust, ISBN 978-3-949774-56-0, 208 Seiten, 22 Euro


Titelbild: Gerd Altmann / Pixabay

Artikel teilen/drucken:

2 Gedanken zu „Wo Vertrauen in die Demokratie fehlt, entsteht Demokratie-Verachtung

  • Ilse Kleinschuster

    Es gibt da jetzt viel allegemeines Gerede über die Demokratien am Abgrund. Ich hab‘ da ein Buch „Die Tyrannei der Minderheit“ zweier „Spiegel Bestseller Autoren“ mir aus meiner ÖGB-Buchhandlung mitgenommen. Ich erwarte mir davon, dass ich dieses Phänomen des „Trumpismus“ dann besser verstehen werden, da der Untertitel am Cover verspricht, dass wir aus der Analyse für Europa etwas lernen könnten. Bin ja neugierig!

    Antwort
  • Herr Ortner, Sie haben die großen Probleme aufgezählt. Haben Sie bemerkt, dass jemand aus der Regierung oder aus dem Parlament sich dieser angenommen hätte: einer Friedensarbeit, einer menschenrechtskonformen Behandlung von Flüchtlingen und MigrantInnen, dem Hunger in Afrika, der Klimakatastrophe mit langfristig wirksamen Maßnahmen? Außer der Abweisung von MigrantInnen und besseren Hochwasserschutzmaßnahmen kam im Wahlkampf keines dieser Themen vor. Für all diese großen, überlebenswichtigen Probleme gibt es Lösungsvorschläge von der UNO, von Gerald Knaus, vom Club of Rome, von den KlimaforscherInnen, von nationalen und internationalen NGO. Nicht einmal ignorieren, lautet die Devise. Die akuten Probleme der Inflation, einer Steuerreform, der Verbesserung des Gesundheitswesens wurden aus der Sicht der Parteien und ihrer UnterstützerInnen diskutiert (nicht gelöst). Die Repräsentanz der Bevölkerung bräuchte direkte Kommunikation mit der Bevölkerung. Die Mehrheit der VolksvertreterInnen hat es sogar geschafft, den repräsentativen Klimarat zu ignorieren. Wem sollen wir vertrauen? Der Erfolg der Rechten beruht auf der Unfähigkeit der VolksvertreterInnen und der MinisterInnen, sich den großen Problemen überhaupt zu stellen, sie überhaupt zu diskutieren, was die Voraussetzung für Lösungswege wäre.

    Antwort

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.