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Denke ich an Deutschland…

Schon länger harrten die unten aufgeführten sorgenvollen Worte ihrer Niederschrift. Spätestens seit den Ergebnissen der Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen am ersten September, als meine Besorgnis nochmals auf eine neue Stufe gehoben wurde, habe ich den Worten ihren Raum gegeben. – Ein Gedicht von Benjamin Lapp.

An jenem ersten September, dem Jahrestag des deutschen Überfalls auf Polen und Beginn des Zweiten Weltkrieges, zog ein chauvinistisches Weltbild, das in keinster Weise eine Alternative sein sollte, in großer Stärke in beiden Parlamenten ein. Doch diese Erfolge haben ja leider eine Vorgeschichte, und im Widerspruch zu einem medialen Zeitgeist ist es mir eine Wichtigkeit, das Problem nicht allein bei den Menschen in Ostdeutschland zu suchen, um so eine reaktionäre Entwicklung zu verharmlosen, die seit Jahren sowohl in ganz Deutschland wie in vielen anderen europäischen Ländern ein bedenkliches Ausmaß angenommen hat. Die Frage, wie es wieder so weit kommen konnte, sollten sich viele ehemalige und aktuelle politisch Verantwortliche der sogenannten Berliner Republik stellen.

Für die aufgeworfene Frage aber, die sich schon vor längerer Zeit für mich und meine Wurzeln stellt, wie mit einem entsetzlichen Abdriften nach Rechtsaußen umgehen, das sich auch noch beständig zu beschleunigen scheint, muss nun eine Antwort gefunden werden! Im Moment bleibt mir nur das Wort, um meine Furcht, ja Furcht, auszudrücken, die mich ergriffen hat, wenn ich an meine Heimat, wenn ich an Deutschland denke.

Denke ich an Deutschland…

Mit der Beklemmung des Augenblicks wird es immer zweifelhafter, ob dieser krakeelende Ort noch derjenige unseres inneren Friedens sei, oder ob er es jemals war.

So viel Zeit ist verstrichen, seit wir unsere Kraft darauf verwendet, in aller Stille und am Wegesrand der Geschichte, tiefe Schächte in unser Innerstes hinein zu graben, um durch die Sedimente der Aufarbeitung, bis an die Wurzeln aus Leid und Schmerz zu gelangen, die uns zu jenen machten, die wir nun sind.

Als wir jedoch die Köpfe wieder erhoben, ging ein Wandel der Zeit über uns hinweg und ließ erkennen, wir sind mit unserer Trauer allein zurückgelassen. Denn mit dem Impetus der moralischen Überlegenheit, wurde schlafwandlerisch eine Reise wieder aufgenommen, ohne einen Blick des Lernens zurückzuwerfen, warum passierte, was niemals hätte sein dürfen.

Doch die Toten im Rückspiegel verweigern sich unaufhörlich zur bloßen Monstranz einer entkernten Erinnerungskultur zu werden, und mahnen beständig mit grollenden Ton uns Angehörige vor einem Unglück, das erneut droht aufzuziehen. So trägt jeder, unter seelischer Belastung ausgestoßene Atemzug eine allumfassende Elegie der Verantwortung in sich.

Es ist alles so befremdlich geworden, und vielleicht liegt unser Versagen gegenüber den Toten wirklich gerade darin begründet, dass es uns doch schon viel eher hätte alarmieren müssen, wie viele neue Kursberechnungen auf einer offenkundigen Einbahnstraße, hinweg vom unvorstellbaren Verbrechen, hin zu einem glaubhaften ‚Nie wieder‘, möglich waren.

So wenig Zeit ist verstrichen, seit der Hass nur ruhte. Und bei all dieser lärmenden Geschichtsvergessenheit musste es wahrscheinlich einfach passieren, in einer Wiederkehr des unfassbar Makabren, dass erneut verödete Landschaften durchquert werden, aus deren rissigen Böden toxische Dämpfe, des ewig gärenden Faschismus, drohen uns die Luft zu rauben.

Mit der Traurigkeit dieser Einsicht wird es immer offenkundiger, dies wird wahrscheinlich nie der Ort werden, wo wir den für uns notwendigen Frieden finden werden.


TitelbildKranich17 / Pixabay

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