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Vom Flüchtling zum anerkannten Wissenschaftler

Vedran Džihić reflektiert in „Ankommen“ dreißig Jahre Flüchtlingspolitik in Österreich und Europa und fragt: Was braucht es, um den Neubeginn zu schaffen? Wann fühlen wir uns einer Gesellschaft wirklich zugehörig? – Sonntag ist Büchertag

Von Margit Gugitscher

Im Jänner 1993 kommt Vedran Džihić im Alter von 17 Jahren mit seinen Eltern und seinem Bruder auf der Flucht vor dem Bosnienkrieg in Traiskirchen bei Wien an. Parallel zu seinem bemerkenswerten Bildungsaufstieg machen sich in Europa Populismus und Nationalismus breit. Geflüchtete und Migrant:innen werden immer mehr zur Gefahr stilisiert.

Vedran Dzihic (Foto: charakter.photos_Philipp Monihart)

Dieses Buch ist ein Zeugnis der Suche nach einem neuen Zuhause und einer anderen Welt der Freiheit und Gleichheit – nach einer pluralen demokratischen Gesellschaft für uns alle. Die autobiografischen Elemente sollen den Leser:innen jene Gefühle vermitteln, die stellvertretend für all jene Flüchtlinge und Migrant:innen stehen, die auf der Suche nach einem neuen Zuhause im heutigen Europa sind. Das Buch ist eines über das Österreich der letzten 30 Jahre, zugleich aber auch eines, das die Konturen der Verrohung vieler europäischer Gesellschaften nachzeichnet und Wege auslotet, um anzukommen und endlich sagen zu können: „Ich bin auch jemand, jeder ist jemand.“ (Auszug aus dem Prolog)

Bildung, Leistung, Anpassung

Diese drei „Zutaten“ braucht es, um „es zu schaffen“. Džihić verdankt den Zugang zur Bildung seinem Vater, der ihm und seinem Bruder schon bei der Ankunft in Traiskirchen Englisch- und Deutschwörterbücher in die Hand drückt und ihm in der Folge durch Hartnäckigkeit – plus einem Quäntchen Glück – den Zugang zum Eisenstädter Gymnasium ermöglicht. Ohne den Vater – wer weiß? Džihić selbst wächst zu einem Vorzeigeflüchtling heran – integriert sich beispielhaft. Der Vater bleibt zurück.

„Während ich als blonder, großer und blauäugiger „Tschusch“ meinen Bildungsweg machte, spürte mein Vater mit seinem islamischen Namen Abdulah und seinem dunklen Aussehen Ablehnung.“ (S.48)

Džihić wird zum lokalen Basketballstar und schafft den Weg in die erste österreichische Bundesliga. Er maturiert und beginnt ein Studium. Beispielhaft, aber eben wieder ganz gemäß dem Diktat: besser sein als die anderen und sich anpassen.

Die Hürden und Herausforderungen, die er in Österreich nehmen musste, um dorthin zu kommen, wo er heute ist, werden zwar angesprochen, aber nicht ausgeführt. Wer sich die Schilderung einer beispielhaften Integration plus Hochschulkarriere erwartet, wird enttäuscht sein. Wer sich aber für die kritische Analyse der vergangenen dreißig Jahre Politik in Österreich und Europa interessiert – und dafür, welche Vision der „vorbildliche Flüchtling“ hat, wird zufrieden sein.

Wir müssen uns die Frage stellen, was mit unserem Miteinander und mit unserer Demokratie passiert, wenn die Lügen über die immanente Gefahr, die von den als solche gebrandmarkten „Anderen“ drohe, politisch vorherrschend werden. Wenn man sich in den Mauern des Misstrauens verschließt und die Mehrheitsgesellschaft den Retrotopien anheimfällt, werden die gesellschaftlichen Bruchlinien zwischen migrantischen Menschen und der Mehrheitsgesellschaft immer tiefer. In diesem Szenario droht die Gefahr, dass das klischeehafte Bild von bösen und integrationsunwilligen Migrant:innen zur selbsterfüllenden Prophezeiung wird und der gesellschaftliche Zusammenhalt bricht. Damit es nie so weit kommt, braucht es ein neues inklusives Wir. (S.100)


Der Autor: Vedran Džihić wurde 1976 in Prijedor, Bosnien und Herzegowina, geboren. 2009 schloss er sein Doktorat in Politikwissenschaften an der Universität Wien ab. Heute ist er Senior Researcher am Österreichischen Institut für Internationale Politik (oiip) und unterrichtet an der Universität Wien. Džihić ist Initiator zahlreicher politischer und zivilgesellschaftlicher Initiativen in Österreich und Südosteuropa. Er gehört zu den gefragtesten Balkan-Experten im deutschsprachigen Raum, kommentiert dazu in internationalen und nationalen Medien und veröffentlicht regelmäßig Essays.

Das Buch: „Ankommen“ von Vedran Džihić, Verlag Kremayr & Scheriau 2024, ISBN 978-3-218-01442-7, 112 Seiten, € 20,-

Titelbild: Verlag Kremayr & Scheriau

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