Warum Fliegen so billig ist – und wer in Wahrheit dafür zahlt
Von London nach Mailand für unter 18 Euro? Und der Fluganbieter Ryanair hat vergangenes Jahr trotzdem fast zwei Milliarden Euro Profit gemacht? Was für ein geniales Geschäftsmodell steckt dahinter? Jedenfalls keines, das für Mensch oder Natur nachhaltig ist. Ein Blick auf die rücksichtslosen Tricks, die die niedrigen Preise ermöglichen.
Wie die Kundschaft draufzahlt
Wer schon einmal mit einem Billiganbieter geflogen ist, weiß: zu den ursprünglichen Kosten für das Ticket gesellen sich bald weitere. Mehr als leichtes Handgepäck, Platzwahl, Verpflegung, so ziemlich alles, was über das absolute Minimum des von A nach B Kommens hinaus geht, kostet extra.
Von A nach B kommt man auch nicht sonderlich bequem. Verstellbare Sitze oder Beinfreiheit darf man nicht erwarten. Wenn die Tickets weniger kosten, müssen schließlich mehr verkauft werden, um die Flüge rentabel zu halten. Logisch, dass pro Ticketkäufer:in dann weniger Platz zur Verfügung steht. Aber wer sich bewusst darauf einlässt, kann mit diesen Dingen wohl leben.
Wettbewerbsvorteil durch veraltetes Abkommen
Weitere Gründe für die niedrigen Preise haben aber auch Auswirkungen auf andere. Der Experte des Mobilitätsorganisation VCÖ Michael Schwendinger erklärt, was die Preise der Flugindustrie – und dabei insbesondere, aber nicht nur, die der Billigfluganbieter – so niedrig hält.
Staatliche Subventionen und Steuerbefreiungen würden der Luftfahrtindustrie einen unfairen Wettbewerbsvorteil verschaffen. Auf Tickets für internationale Flüge fällt keine Mehrwertsteuer an. Ebenso gibt es in der internationalen Luftfahrt keine Kerosinsteuer. Diese Umstände gehen auf das Chicagoer Abkommen zurück. Dieses Abkommen trat 1947 in Kraft. Es sollte die kommerzielle, internationale Luftfahrt ankurbeln, die praktisch noch in ihren Kinderschuhen steckte. Ökologische Nachhaltigkeit war damals noch kein Thema – und geht es nach den Industrie-Lobbys soll es auch weiterhin keines werden.
Preis- und Abgasdumping
Die Billigflug-Ticketpreise bezeichnet Schwendinger als „Dumpingpreise“ und „nicht kostendeckend.“ Besonders, wenn man die externen Kosten in Betracht zieht – die aber auch Luxus-Fluglinien großteils nicht bezahlen. Der Flugverkehr verursacht jährlich etwa 2,7 Millionen Tonnen CO₂ allein in Österreich. Die Folgen für Klima und Umwelt bezahlen die Fluglinien aber nicht – das tut die Allgemeinheit. Und die fliegt großteils so gut wie nie oder gar nicht.
Fluglinien werden nicht einmal in dem Ausmaß zur Kasse gebeten, in dem das alle andere Bürger:innen betrifft. Was etwa eine CO2-Steuer für die Fluglinien bedeuten würde, dem nähern wir uns überschlagsmäßig an. Schon der gegenwärtige Preis der österreichischen CO2-Steuer (30€ pro Tonne) würde Mehrkosten von 81 Millionen Euro für die Fluglinien im österreichischen Luftverkehr bedeuten. Dabei halten Expert:innen diesen Preis noch für um ein Vielfaches zu niedrig. Würde Kerosin zudem auch wie heute Benzin durch die Mineralölsteuer besteuert, wären das zusätzlich mehrere hundert Millionen Euro. Das würde man bei den Ticketpreisen merken.
Der Anteil von Billigfluglinien an den steigenden Emissionen des Luftfahrtsektors sei laut Schwendinger schwer abzuschätzen. Gerade Billigflüge werden aber oft für Kurzstrecken angeboten und dementsprechend anstelle von Zügen benutzt. Man kann also davon ausgehen, dass das System für viele recht einfach vermeidbare Emission verantwortlich ist. Um dem beizukommen, ist Schwendinger für eine Kerosinsteuer und eine europaweite Mehrwertsteuer für Flugtickets.
Wie die Angestellten draufzahlen
Nicht zuletzt betrieben Billigfluggesellschaften Lohndumping und beuten ihre Angestellten aus. Ein Bericht des European Trade Union Institue (ETUI) legt Zustände bei den Billiganbietern Ryanair und Wizz Air und deren Auswirkungen auf die ganze Branche offen.
Angestellte von Ryanair berichten davon, Verwarnungen erhalten zu haben, weil sie öfter als ihre Kolleg:innen im Krankenstand waren. Auch wenn derartige Sanktionen für Krankenstände in ihren Heimatstaaten illegal sind. Ryanairs Umgang mit Arbeitnehmerrechten orientiere sich daran, mit wie wenig Konsequenzen diese sich brechen lassen.
Die Crewmitglieder dürfen sich auch nicht einfach am Trinkwasser bedienen, wenn sie an Board durstig werden. Flaschen müssen von Ryanair gekauft werden. Dabei haben die Crewmitglieder nicht gerade Geld im Überfluss. Als sich im Coronajahr 2020 die Anzahl der Flüge drastisch verringerte, waren Airline-Angestellte in einer schwachen Verhandlungsposition. Das nutzte Ryanair, um die Löhne um 15 bis 20 Prozent zu drücken.
Dem ETUI-Bericht zufolge zeichnet sich auch besonders der ungarische Billigfluganbieter Wizz Air durch aggressives Vorgehen gegen Gewerkschaften aus. Schon mehrmals seien Angestellte wegen der Gründung einer Gewerkschaft entlassen worden. Mittlerweile würden sich viele nicht mehr trauen, in Flughäfen mit Gewerkschafter:innen zu reden oder auch nur gemeinsame Whatsapp Gruppen mit Mitarbeiter:innen zu pflegen.
Wie noch mehr Angestellte draufzahlen
Für eine Studie der European Cockpits Association haben über 5.700 Pilot:innen von 136 Airlines ihre Arbeits- und Vertragsbedingungen sowie Work-Life-Balance bewertet. Ryanair erreichte 38, Wizz Air 33 von 100 möglichen Punkten.
Das ETUI sieht die schlechter werdenden Arbeitsbedingungen im Luftfahrtsektor durch zwei Faktoren ermöglicht. Fragwürdige Beschäftigungsverhältnisse und komplexe Rekrutierungsmethoden. Firmen wie Ryanair und Wizz Air vermeiden direkte Angestelltenverhältnisse. Stattdessen werden die Arbeitnehmer:innen zu “Unterauftragnehmer:innen” über Agenturen, die den Billigfluganbietern gehören. Die Bezahlung kann durch wieder eine andere Firma erfolgen.
Praktisch wird dadurch die Rechtsprechung sehr schwierig. Etwa, wenn man es mit einem Flugbegleiter zu tun hat, der für eine ungarische Airline arbeitet, in Italien gemeldet, aber bei einer belgischen Agentur angestellt ist und von einer Schweizer Firma bezahlt wird.
Illusorische Hoffnungen, mit der Zeit könnte der Wettbewerb zu einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen führen, hat die Zeit bereits widerlegt. Was stattdessen passiert, nennt die Europäische Transportarbeiter-Föderation den “race to the bottom effect.” Auch andere Airlines müssen ihre Arbeitsbedingungen verschlechtern, um wettbewerbsfähig zu bleiben. So werden durch die Geschäftsmodelle der Dumpingpreis-Fluglinien die Arbeitsbedingungen im gesamten Luftfahrtsektor laufend schlechter.
Dieser Beitrag wurde am 21.08.2024 auf moment.at unter der Creative-Commons-Lizenz CC BY-SA 4.0 veröffentlicht. Diese Lizenz ermöglicht den Nutzer*innen eine freie Bearbeitung, Weiterverwendung, Vervielfältigung und Verbreitung der textlichen Inhalte unter Namensnennung der Urheberin/des Urhebers sowie unter gleichen Bedingungen.