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Eine Art „Taj Mahal der Alpen“

Die Literaturwissenschaftlerin Daniela Holsboer tauchte in das Leben des Urgroßvaters ihres Mannes, Willem Jan Holsboer, ein, ohne den es keine Schatzalp gäbe. – Sonntag ist Büchertag

Urs Heinz Aerni stellte ihr dazu Fragen.

Daniela Holsboer – Der Zauber des Berges (Penthesilea Verlag)

Urs Heinz Aerni: Gleich im Vorwort verraten Sie, warum Ihr Buch «Der Zauber des Berges» vorliegt. Sie lernten Florian Holsboer, ein Experte für Depression, in einem Gespräch über seinen Urgroßvater kennen. Dieser soll zu den Gründervätern des Kurortes Davos und der Rhätischen Bahn gehört haben. Sie schreiben, dass Sie sich an diesem Abend verliebt haben. Wann entstand die Idee zum Buch?

Daniela Holsboer: Tatsächlich in dieser lauen Sommernacht. Ich war derart begeistert von der Familiengeschichte meines zukünftigen Mannes, dass ich dachte: Diesen literarischen Schatz musst du heben!

Aerni: Nach dem Diner zum Computer…?

Holsboer: Bis es dann so weit war und ich mit der Recherche und dem Schreiben begann, hat es natürlich noch einige Zeit gedauert. Das Schöne war: Die Figur des Willem Jan Holsboer hat für mich währenddessen immer mehr an Faszination gewonnen. Ich konnte zunächst kaum glauben, was Florian mir erzählte, so unglaublich war das, was sein Urgroßvater erschaffen hatte. Aber es stimmte alles und je mehr ich erfuhr, desto stärker wurde mein Wunsch, die Geschichte aufzuschreiben.

Aerni: Sie befragten Familienangehörige Ihres Mannes, forschten im Stammbaum, lasen alte Zeitungen und landeten im 19. und 20. Jahrhundert somit auch beim «Zauberberg» von Thomas Mann. Was fasziniert uns an diesen Zeiten?

Holsboer: Im Hinblick auf die damals grassierende Tuberkulose ganz gewiss die morbide Ästhetik. Dieser Dualismus von epochaler Schönheit einerseits und dem omnipräsenten Tod andererseits hat mich beim Schreiben besonders gereizt. Da ist dieses Alpenparadies, vollkommen unerschlossen, wir begegnen dem einfachen bäuerlichen Leben dort, und dann kommt ein Fremder aus der weiten Welt und bringt Glanz und zieht die internationale Elite an. Faszinierend war auch die Medizingeschichte: Teils muten die Behandlungsmethoden heute heiter bis abenteuerlich an: vom Veltliner über kalte Duschen bis hin zum Bett im Kuhdung. Es war zudem eine Epoche, in die die Moderne hereinbricht: Der Bau der Rhätischen Bahn, mit der übrigens auch der «Zauberberg» von Thomas Mann beginnt, ist eine fantastische Metapher dafür.

Aerni: Sie erzählen die Geschichte von Willem Jan Holsboer, als er mit seiner Frau 1867 nach Davos kam. Warum entschieden Sie sich für einen Roman und nicht für eine Biografie?

Holsboer: Weil Biografien langweilig sind (lacht).

Aerni: Aha?

Holsboer: Nein, im Ernst: Zum einen, weil es bereits eine Biografie von Willem Jan Holsboer gibt. Zum anderen, weil ich diesen Menschen – leider – nicht persönlich kennenlernen durfte und eine Biografie, im Gegensatz zum Roman, den Anspruch auf absolute historische Korrektheit hat. Ich musste mich Willem Jan Holsboer ohnehin, auch wenn ich mich auf historisches Material stütze, mit viel Phantasie annähern. Jede Biografie weist zwangsläufig weiße Flecken auf.

Aerni: Die literarisch ausgemalt werden können…

Holsboer: Als Schriftstellerin konnte ich diese Figur viel freier zum Leben erwecken und auch andere Figuren mutiger in den Handlungsstrang einflechten. Es hat sich so richtig angefühlt. Am Ende geht es um die bessere Geschichte.

Aerni: Sie spielen in literarischer Fiktion mit historischen Figuren, auch Kirchner kommt vor. Wo lagen für Sie für diese Arbeit die größten Herausforderungen?

Holsboer: Den Spagat zu schaffen zwischen künstlerischer Freiheit und der erwähnten historischen Korrektheit. Kirchner musste unbedingt vorkommen, denn er war eng mit Helene Spengler, der Tochter Willem Jan Holsboers, befreundet. Hier gibt es einen dokumentierten Briefwechsel, auf dem der letzte Teil basiert.

Daniela Holsboer. Foto: PD

Aerni: Was eine dynamische Beziehung war, gelinde gesagt.

Holsboer: Es war spannend zu sehen, wie diese Freundschaft zwischen Helene und dem expressionistischen Maler von Zuneigung, Wertschätzung, aber auch Spannungen geprägt war. Helene war Arztfrau, sie hat Lucius Spengler geheiratet, den Sohn von Dr. Alexander Spengler, der ein Geschäftspartner Willem Jan Holsboers war. Kirchner war natürlich ein verrückter Vogel. Es stimmt schon: Die besten Geschichten schreibt das Leben selbst. Hier musste ich nur die Briefe lesen und hatte die schönsten Szenen vor meinem inneren Auge.

Aerni: Über den «Zauberberg» von Thomas Mann und das damalige Davos wurde schon viel geschrieben und gefilmt. Gab es für Sie bei der Recherche neue, noch unbekannte Zugänge?

Holsboer: Ich bin ja Literaturwissenschaftlerin und mit Literatur über Thomas Mann lassen sich in der Tat ganze Bibliotheken füllen. Zu meinen Student:innen sage ich immer: «Sie müssen etwas Neues herausfinden!» Das war natürlich auch der Anspruch an mich selbst. «Der Zauberberg» ist ja recht nüchtern, ich wollte insgesamt einen emotionaleren Zugang.

Aerni: Ist es Ihnen gelungen?

Holsboer: Gänsehaut bekam ich, als ich über Thomas Manns okkulte Erlebnisse las. Im «Zauberberg» kommt eine Séance vor, darin wird ein Lied gespielt, in dem der Name meiner weiblichen Hauptfigur, Margaret, die übrigens wirklich so hieß, genannt wird. Da dachte ich: Bingo, das ist es. Diese Analogie von spirituellem Medium und Autor – beide machen das Geistige, das Unsichtbare, sichtbar – war für mich der Dreh- und Angelpunkt. In den Bergen ist man dem Himmel so nah. Da sei bei einem solchen Roman dieser ätherisch-magische Subtext erlaubt.

Aerni: In dieser Zeit waren spirituelle Experimente in Gesellschaften in Mode und Sie fragen im Buch, ob Thomas Mann an Geister glaubte. Nun, wie haben Sie es damit?

Holsboer: Absolut! Ich glaube fest an Geister und habe die Geister der Vergangenheit, als ich sie mit dieser Geschichte wieder zum Leben erweckte, gespürt. Jeder Held braucht eine Motivation. Die entscheidende Frage, als ich mich Willem Jan Holsboer annäherte, war: Was treibt diesen Mann an?

Aerni: Und?

Holsboer: Seine Schaffenskraft war geradezu unmenschlich, es scheint, als wuchs er immer neu über sich hinaus. Wir dürfen nicht vergessen: Er, der gebürtige Niederländer, der in England ein erfolgreiches Leben als Bankdirektor führte, kam aus Liebe nach Davos. Aus Liebe zu seiner ersten lungenkranken Frau. Er baute und baute und baute, näherte sich dem Himmel und damit ihr immer mehr an. Das hat mich zu Tränen gerührt. Für mich ist das Sanatorium Schatzalp, das er am Ende seines Lebens noch erbauen ließ, eine Art Taj Mahal der Alpen, ein Denkmal an diese große Liebe. Liebe versetzt Berge, über den Tod hinaus.

Aerni: Auch die Schriftsteller Arthur Conan Doyle und Robert Louis Stevenson tauchen in Ihrem Buch auf. Wie haben Sie entschieden, welche illustre Namen ins Buch reinkommen und welche nicht?

Holsboer: Es ist unglaublich, wer zu dieser Zeit alles in Davos war! Die Stadt war ein Salon der Reichen und Schönen, der Künstler und Literaten. Ich habe mich von meiner Neugier und Intuition leiten lassen, natürlich allem voran auch von der Frage, was meine Leser:innen am meisten interessieren könnte. Dass Sir Arthur Conan Doyle und Robert Louis Stevenson vorkommen müssen, stand für mich aber schnell außer Frage. Alle kennen «Die Schatzinsel», dass sie aber zu weiten Teilen in Davos entstand, wissen die wenigsten. Und hier gab es einen so schönen Anknüpfungspunkt: Willem Jan Holsboer war im ersten Leben Kapitän, erlebte den Goldrausch in Kalifornien und eine Meuterei auf der Heimfahrt. In meinem Gehirn entstanden schnell die schönsten Männergespräche über das raue Leben und Piraten auf See. Und Sir Arthur Conan Doyle, den wir natürlich alle von Sherlock Holmes kennen, war bekennender Spiritist, das heißt, er glaubte ebenfalls an Geister und darf im Roman meinem Helden etwas dabei helfen, seine Übersinnlichkeit zu schulen.

Aerni: Sie leben mit Ihrem Mann und gemeinsamer Tochter in München. Wann werden Sie wieder Graubünden besuchen und welcher Teil des Kantons stünde noch zu entdecken?

Holsboer: Wir lieben die Schweiz! Unsere Tochter ist auch Schweizerin und ich arbeite daran (lacht). Wir wollen unbedingt sobald wie möglich wieder dorthin reisen, haben viele Freunde und Freundinnen dort, die uns immer wieder etwas Neues zeigen. Ganz weit oben steht aber, dass wir wirklich jede einzelne Strecke der Rhätischen Bahn einmal fahren – und bei einem 385 km langen Streckennetz haben wir hier immer wieder etwas zu tun.


Das Buch: „Der Zauber des Berges von Daniela Holsboer, Roman, Penthesilea Verlag, 368 Seiten, 2024, ISBN 9783384172686

Daniela Holsboer lebt mit ihrer Familie in Bayern, ist Literaturwissenschaftlerin und im Vorstand der Florian Holsboer Foundation in München. „Der Zauber des Berges“ ist ihr erster Roman.

Die erwähnte Biografie von Willem Jan Holsboer (1834 – 1898) stammt von Jules Ferdmann und ist 1934 im Verlag der Davoser Revue erschienen. In diesem Zusammenhang ist auch dieses Buch lesenswert: „Unsere Rhätische Bahn„, Weber Verlag, 2021.

Titelbild: Congerdesign / Pixabay

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