Diskriminierung: Leben mit einer Behinderung in Österreich
Von Katrin Kastenmeier (MOMENT)
In Österreich leben etwa 1,9 Millionen Menschen mit Einschränkungen im Alltag. Menschen mit Behinderung haben ein Recht auf gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe. Das hat Österreich bereits 2008 mit der UNO-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung unterschrieben. Eine Unterschrift allein ist jedoch zu wenig. Trotz der gesetzlichen Regelungen werden Menschen mit Behinderungen hierzulande noch immer vielfach diskriminiert – von der Bildung über den Arbeitsmarkt bis hin zur sozialen Absicherung und in der Freizeit.
Seit knapp zwanzig Jahren gibt es das Bundesgesetz über die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen. Das Ziel: die Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen zu verhindern, die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am Leben in der Gesellschaft zu gewährleisten und ihnen eine selbstbestimmte Lebensführung zu ermöglichen. Bei Verstößen gegen das Diskriminierungsverbot kann es eine Entschädigung für die Verletzung der Würde geben. Damit es zu solchen Verstößen überhaupt nicht kommt, braucht es auch mehr Sensibilisierung bei Menschen ohne Behinderung.
Kein Verständnis am Arbeitsplatz
2006 trat in Österreich das Behindertengleichstellungsgesetz in Kraft. Auch 18 Jahre später sind Menschen mit Behinderungen in der Arbeitswelt noch immer mit unzulässigen Barrieren konfrontiert. Eine Studie der Arbeiterkammer zeigt, dass Menschen mit Behinderungen am Arbeitsplatz sehr häufig diskriminiert werden. Trotz gleicher Qualifikation werden sie schlechter bezahlt, bei Beförderungen übergangen oder bereits im Vorstellungsgespräch mit ungewöhnlichen Fragen konfrontiert. Wir wollen diese Erfahrungen nicht ignorieren. Hier ein Auszug der Situationen, die wir auf unseren Aufruf hin erhalten haben.
Auch soziale Diskriminierung ist weit verbreitet. Menschen mit Behinderungen werden oft unfair für ihre Arbeit kritisiert, erleben, dass ihnen absichtlich Informationen vorenthalten werden, oder dass Arbeitskolleg:innen sie stigmatisieren.
“Ich habe eine nicht sofort erkennbare Behinderung: dissoziative Epilepsie und komplexe Posttraumatische Belastungsstörung. Von Menschen ohne Behinderung bekomme ich oft ungefragt Ratschläge. Ich solle einfach öfter ‚an die frische Luft gehen‘ oder mich auf die ’schönen Dinge im Leben‘ konzentrieren. Auch meine Arbeitskolleg:innen haben für meine Behinderung und meine Einschränkungen wenig Verständnis. Ich bekomme zynische Sprüche zu hören, wenn ich nach einem Bewegungsausfall zum Beispiel zu spät ins Büro komme. Manche werfen mir sogar vor, ich würde mir das nur ausdenken, um Aufmerksamkeit zu bekommen.”
Österreich diskriminiert Schüler:innen mit Behinderung
Aufgrund von Machtlosigkeit und fehlender Unterstützung nehmen viele Betroffene unfaire Behandlung oft hin. Vor allem an Schulen. Diese Ungleichbehandlung ist seit vergangenen Jahr sogar gerichtlich belegt. Dabei wurde einer Klage des Klagsverbands zur Durchsetzung der Rechte von Diskriminierungsopfer recht gegeben. Laut dem Urteil des Handelsgerichts Wien diskriminiert Österreich systematisch Schüler:innen mit einer Behinderung. Damit verstößt Österreich gegen das gesetzliche Diskriminierungsverbot, weil es die “Persönliche Assistenz” für den Besuch von Bundesschulen (AHS und BHS) nur für Kinder und Jugendliche mit körperlicher Behinderungen und einer hohen Pflegestufe gibt.
“Mein Sohn ist Autist. Wir können uns keine Schule aussuchen, die am besten zu seinen Bedürfnissen passt. Wir müssen die einzige mit vermeintlicher Inklusion nehmen, die es in unserem Umfeld gibt. Und dabei ist nicht einmal sicher, inwiefern er im Unterricht unterstützt wird. Es bereitet mir Sorgen, was das für sein späteres schulisches aber auch privates Leben bedeutet.”
“Meine Kinder sind beidseitig mittelgradig schwerhörig. Meine Tochter wurde die ganze Volksschule lang von ihrer Lehrerin schikaniert. Durch die erst späte Versorgung mit Hörgeräten war sie vom Mundbild der Lehrerin abhängig. Unter dem Motto: ‚Man kann nicht auf alle Kinder eingehen‘ hat diese Lehrerin den Unterricht für unsere Tochter bewusst erschwert. Bis zur Matura hat sich unsere Tochter mehr anstrengen müssen als andere in ihrer Klasse. Unser Sohn hat beim Fußball bittere Erfahrungen gemacht. Ernst genommen hat seine Behinderung hier niemand. Thematisiert man sie, heißt es nur: ‚Hier ist doch eh niemand behindertenfeindlich.’”
Zusätzliche Hindernisse im Alltag
Ableismus zeigt sich auch darin, dass Menschen mit Behinderungen in vielen Lebensbereichen zusätzliche Hindernisse überwinden müssen, um teilzunehmen. Beispielsweise müssen sie bei Veranstaltungen oft im Voraus nachfragen, ob es barrierefreie Zugänge gibt oder ob eine Übersetzung in Gebärdensprache angeboten wird – da beides noch immer nicht selbstverständlich ist.
“Ich bin Lernbegleiterin an einer inklusiven Schule und war vor kurzem mit der Klasse per ÖBB unterwegs. Einer meiner Schüler sitzt im Rollstuhl. Laut Zugpersonal durfte er nicht bei seinen Mitschüler:innen auf seinem reservierten Platz in der Familienzone sitzen. Für den Rollstuhl wäre problemlos Platz am Kinderwagen-Abstellplatz gewesen. Schließlich musste er einige Waggons weiter in der ersten Klasse auf den Rollstuhlplatz ausweichen – isoliert von seinen Freund:innen. Kulanterweise durfte eine Lehrperson mit ihm dort sein.”
“Als ehemaliger persönlicher Assistent von Menschen mit Behinderung kann ich sagen, dass bei Fragen meistens nicht die Person im Rollstuhl angesprochen wird, sondern die Person, die den Rollstuhl schiebt. Für die Person im Rollstuhl entsteht dadurch ein Gefühl der ‚Unsichtbarkeit‘, da über sie hinweg gesprochen wird. Menschen mit Behinderung fühlen sich dabei nicht nur nicht ernst genommen, sie werden vom Mainstream bewusst ‚ausgeblendet‘.”
Das muss sich ändern
Bisher unternimmt die Bildungspolitik und -verwaltung zu wenig, um das bestehende System aus Sonderschulen und Integrationsklassen zu reformieren. Versuche früherer Regierungen, inklusive Bildung in Modellregionen voranzutreiben, wurden 2018 nach nur drei Jahren wieder eingestellt. In den vergangenen Jahren hat sich die Lage sogar noch verschlechtert, stellt ein Bericht über die Umsetzung der UNO-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen in Österreich fest: Die inklusive Bildung leidet unter einer konstanten strukturellen Unterfinanzierung. Das führt dazu, dass immer weniger Lehrer:innen in inklusiven Umgebungen arbeiten wollen. Außerdem kritisiert der Bericht die unzureichende Barrierefreiheit an österreichischen Schulen.
Ein kleiner Hoffnungsschimmer gegen die politische Gleichgültigkeit: Im Juli dieses Jahres hat der Nationalrat die Novellierung des Bundes-Behindertengesetzes beschlossen. Damit werden der Österreichische Behindertenrat (ÖBR), der Unabhängige Monitoringausschuss zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention und die Behindertenanwaltschaft gestärkt. Unter anderem mit im Paket: Mehr Mittel für die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen durch die Aufstockung eines diesbezüglichen Fonds von 36 auf 50 Millionen Euro.
Die Teilhabe von Menschen mit Behinderung ist ein Recht, das die Politik endlich umfassend ernstnehmen muss. Neben institutioneller Auseinandersetzung muss sich aber auch gesellschaftlich etwas ändern. Denn Probleme mit Ausgrenzung und Diskriminierung haben Struktur – und betreffen alle Menschen, denen Stigmatisierung entgegengebracht wird. Je sichtbarer Menschen mit Behinderung in unserer Gesellschaft werden, desto mehr erleichtert das ihren Alltag. Wir sollten also alle besser hinschauen, um Menschen mit Behinderungen nicht länger – ob bewusst oder unbewusst – zu übersehen.
Dieser Beitrag wurde am 08.08.2024 auf moment.at unter der Creative-Commons-Lizenz CC BY-SA 4.0 veröffentlicht. Diese Lizenz ermöglicht den Nutzer*innen eine freie Bearbeitung, Weiterverwendung, Vervielfältigung und Verbreitung der textlichen Inhalte unter Namensnennung der Urheberin/des Urhebers sowie unter gleichen Bedingungen.