Jenseits des großen Knalls
Nukleares Ungemach zeigt sich auch abseits der Verhinderung eines Atomkrieges. Es spießt sich mitunter an atomaren Hintertüren, Atomkraft im Krieg, nuklearer Teilhabe oder spaltbarem Material. Eine Spurensuche nach Vertrauensbildung.
Ein Gastbeitrag von Thomas Roithner und Fabian Hämmerle (Versöhnungsbund)
Wenn mal der Wurm in einer Beziehung ist und kein Vertrauen mehr da ist, klappt der Rest auch nicht mehr so. Und das mit dem Vertrauen ist kompliziert. Australien, United Kingdom und die United States stecken hinter der Abkürzung AUKUS. Australien bezieht und entwickelt über AUKUS-Strukturen U-Boote mit nuklearem Antrieb. Grundsätzlich ist dies erlaubt. Die Weitergabe von hochangereichertem Uran nützt ein Schlupfloch in den Überprüfungsmechanismen der Atomenergiebehörde (IAEA). Dies gilt auch für gering angereichertes Uran, es birgt aber weniger militärisches Risiko. Kern der Sache: Wie, wann und wo findet die IAEA dann die U-Boote mit hochangereichertem Uran, um dieses Uran betreffend waffenfähiger Verwendung zu überprüfen? Auch in diesem Fall gibt es Sicherheitsmaßnahmen, um die Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen einzudämmen. Das Problem ist aber die Schaffung eines Präzedenzfalles, der anderen dazu dienen kann, sich über diesen Weg waffenfähiges Material zu besorgen. Und all das macht in Peking nicht zuletzt wegen der geographischen Nähe ordentlich Wellen. Die USA fischen nach Lesart Chinas in deren Meer und reizen den ohnehin alarmierten Drachen. Des Pudels Kern: im Zusammenhang mit sino-amerikanischen Konflikten um Rüstung, Raketen und Revenue braucht es Dialogstifter und keine Dealmaker.
Eine weitere Baustelle im nuklearen Feld ist das russisch besetzte ukrainische AKW Saporischschja. Eine Katastrophe ist in niemandes Interesse. Das Neuland: ein AKW im Kriegsgebiet. Rafael Grossi, Generaldirektor der IAEA, und sein Team ringen seit 2022 gemäß internationalen Richtlinien immer wieder um entsprechenden Zugang zum AKW, um die Existenz und Sicherheit des nuklearen Materials zu überprüfen. Kriegsverlauf und somit Geopolitik bestimmen, dass der Zugang zum AKW gegenwärtig nach russischer Pfeife tanzt. Neben Störfällen von AKWs im Allgemeinen gilt hier das zusätzliche Risiko von Unfällen, Irrläufern, mangelnder Wartung oder dem Vorsatz des Beschusses einzelner Kriegführender. Um Katastrophen zu verhindern, braucht es effektive multilaterale Institutionen, die Technisches im Griff haben und das Vertrauen aller genießen. Besonders, weil die zivile und militärische nukleare Nutzung auch zusammenhängen.
Atomwaffen anderswo
Die nukleare Teilhabe ist nach der Ankündigung Russlands, Atomwaffen in Belarus zu stationieren, stärker in den Fokus gerückt. Teilhabe heißt, die nuklearen Potenziale bleiben im Besitz und unter Kontrolle Russlands und stehen in Belarus. Die Bedrohung rückt damit geographisch näher und im Krisenfall werden Vorwarnzeiten verringert. Wenn Vertrauen fehlt und geopolitische Spannungen zunehmen, dann rückt die gefährliche und vermeintlich überzeugende Logik der atomaren Abschreckung wieder in den Mittelpunkt. Die Logik der Abschreckung funktioniert so lange, bis sie eben nicht mehr funktioniert und gilt hüben wie drüben.
So wurde in Polen eine Debatte eröffnet, US-Atomwaffen auch dort im Rahmen der nuklearen Teilhabe der NATO zu stationieren. Polen kann sehen, dass US-Atomwaffen schon viele Jahre in Deutschland, Italien, den Niederlanden, Belgien und der Türkei einsatzbereit liegen. Dieser Argumentationslinie folgen nun auch Russland und Belarus – wie du mir, so ich dir. Alle sehen dabei das Recht auf ihrer Seite. Fatal ist das heutige Stationieren von Raketen und Atomwaffen auch deshalb, weil Rüstungskontroll- und Abrüstungsverträge wie auch vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen nunmehr weitgehend perdu sind. Die Spirale aus Rüstung, Nachrüstung und mangelndem Vertrauen zeigt sich nicht nur im nuklearen Bereich.
Sicherheit neu denken
Internationale Foren transportieren nicht selten das Bild von Streithähnen. In einer Konfrontationslogik stellen Staaten Sicherheit her, indem sie allein oder im Bündnis rüsten und abschrecken. Ein wieder um sich greifender Gedanke.
Sicherheit neu zu denken heißt, die Konfliktursachen in Blick zu nehmen, gemeinsame Interessen herauszuarbeiten und Sicherheit nicht nur für Staaten, sondern menschliche Sicherheit zu verfolgen. Kürzlich offenbarte ein Diplomat unter vier Augen, warum er zur internationalen Konferenz zur nuklearen Abrüstung nach Wien kommt. Ja, die schöne Stadt natürlich. Aber es geht ihm um Wertschätzung für die Positionen aus dem globalen Süden, das Ernstgenommen werden und dass im Atomwaffenverbotsvertrag auch ein wenig seine Handschrift sichtbar ist. Das Gemeinsame in einer Welt von Trennendem.
Thomas Roithner, Friedensforscher, Privatdozent für Politikwissenschaft an der Uni Wien und Mitarbeiter im Versöhnungsbund.
Fabian Hämmerle, Historiker und Vorstandsmitglied bei ICAN Austria – Kampagne zur Abschaffung von Nuklearwaffen.
Titelbild: Thomas Roithner beim Hiroshima-Gedenken am Wiener Stephansplatz (privat)