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Vier, fünf oder sechs Arbeitstage?

Ein Kommentar von Josef Stingl.

Seit der letzten Arbeitszeitverkürzung in den 70er-Jahren hat sich die Produktivität verdoppelt. Gewerkschaft und auch Sozialdemokratie setzen daher vermehrt auf Arbeitszeitverkürzung –  bei vollem Lohn- und Personalausgleich und insbesondere auf eine Vier-Tage-Woche. Österreich darf diesen internationalen Zug nicht verpassen, so die SPÖ und verweist auf die freiwilligen Vier-Tage-Modelle in Österreich und auf internationaler Ebene. 

Doch auch Vorsicht ist angebracht. Die Wirtschaftskammer und die Industriellenvereinigung (IV)  lehnen das Ansinnen des “roten G´sindls” ab. Mehr noch: Die IV will ein verpflichtendes Mehr an Arbeit, konkret: 41 Stunden pro Woche und das ohne höherer Löhne und Gehälter. Die sogenannte “Hure der Reichen”, die ÖVP, aber auch ihre parteiliche Interessenvertretung, der ÖAAB nickt zustimmend.   

Auch auf internationaler Front ist Vorsicht geboten, nicht überall dominiert der Wunsch nach Arbeitszeitverkürzung oder Vier-Tage-Woche. Auf dem jahrelangen EU-neoliberalen Experimentierfeld Griechenland wird nur kurz nach der EU-Wahl die Arbeitszeit verlängert. Zwar leisten die lohnabhängigen “faulen Griech:innen” bereits jetzt EU-weit die meisten Wochenarbeitsstunden, aber das reicht nicht, sie sollen ab 1. Juli noch länger arbeiten “dürfen”. 

Ab diesem Zeitpunkt können Unternehmen ihre Beschäftigten sechs statt fünf Tage die Woche arbeiten lassen. Derzeit noch mit Lohn- und Gehaltsaufschlägen von 40 Prozent für den sechsten Tag und 115 Prozent, wenn es sich dabei um Sonn- oder Feiertage handelt. Aber wer weiß, wann sie wieder von der “EU-Troika” (der so bezeichneten Kooperation von Europäischer Zentralbank, Internationalem Währungsfonds und Europäischer Kommission) geknechtet werden und die Zuschläge für unzulässig erklären müssen.

Die griechischen Gewerkschaften schreien “Ausbeutung”   – sie benötigen internationale Solidarität für ihren Widerstand. Zumindest in Österreich ist kein Aufschrei des ÖGB, bzw. des Präsidenten des Europäischen Gewerkschaftsbundes Wolfgang Katzian bekannt. Und man muss kein Orakel befragen, um zu ahnen, dass dieses Arbeitszeit-Debakel jetzt auch in Brüssel, in Wien und anderswo als Damoklesschwert über unseren Köpfen hängt.


Titelbild: Brad Neathery auf Unsplash

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