Der Notstand als Normalzustand
2019 rief Konstanz als erste deutsche Stadt den Klimanotstand aus, viele Kommunen folgten. Fünf Jahre später bleibt die Frage: Was hat das alles gebracht?
Von Jonas Mayer (fluter.de)
Als der Antrag angenommen war, ging Manuel Oestringer vor die Tür des Ratssaals, klappte den Laptop auf und tippte:
+++ PRESSEMITTEILUNG +++
Konstanz ruft den Klimanotstand aus
Gemeinderat erklärt Klimaschutz zur höchsten Priorität
Draußen vor dem Rathaus von Konstanz standen an jenem 2. Mai 2019 Hunderte Mitdemonstrant:innen von Fridays for Future und feierten. Erst seit knapp drei Monaten gingen sie damals in Konstanz fürs Klima auf die Straße. Und schon hatten sie die Stadt dazu gebracht, als erste deutsche Kommune den Klimanotstand auszurufen. Der symbolische Ausruf des Klimanotstands ist ein Zeichen der Stadt, ab jetzt auf Klimaschutz zu achten.
Die große Ansage des Gemeinderats lautete: Der Klimawandel ist Ernst, also machen wir ernst mit Klimaschutz. Wenn schon nicht in der Welt, dann in Konstanz. Autos stehen lassen, Häuser sanieren, Strom und Wärme umstellen. Nun hat sich der Klimanotstand in Konstanz zum fünften Mal gejährt. Was hat er in der Stadt verändert?
Noch immer heizt die Stadt zu 90 Prozent fossil
März 2024, sechs Wochen vor dem Jahrestag. Die Stadt Konstanz hat zum Klimaschutz-Infoabend geladen, es ist der erste seit zwei Jahren. Vor der Bühne im Bodenseeforum stehen Stühle für 300 Gäst:innen, sie reichen nicht aus. Es geht um die Wärmewende. Also darum, so zu heizen, dass dabei möglichst wenig Treibhausgasemissionen entstehen. Die Stadt heizt noch zu 90 Prozent fossil, daran hat sich seit der Ausrufung des Klimanotstands fast nichts geändert. Aber wird es bald, versprechen die Redner:innen aus Verwaltung und Stadtwerken auf der Bühne. In Zukunft soll die Stadt bis zur Hälfte mit Wärmenetzen geheizt werden, eine Art Heizkörper für ganze Stadtviertel. Statt durch Gas und Öl soll Wärme dann aus dem Rücklauf der Kläranlage, dem Bodensee oder der Müllverbrennung gewonnen werden. Ein wichtiger Schritt, um Konstanz klimaneutral zu machen, der aber auch jahrelange und teure Bauarbeiten bedeutet.
Weit hinten im Saal steht Manuel Oestringer. Er ist 28 Jahre alt, promoviert mittlerweile in Chemie und ist noch immer bei Fridays for Future Konstanz aktiv. Als die Moderatorin dazu aufruft, online Fragen zu stellen, tippt Oestringer in sein Smartphone: „Wie passt die Verbrennung von Müll mit Klimaschutz zusammen?“
Oestringer, die Aktivist:innen und die Stadt und scheinen auf den ersten Blick gegeneinander zu arbeiten. Doch sie schalten sich alle ein bis zwei Monate online zusammen und sprechen darüber, was sie für den Klimaschutz in Konstanz tun können – per Du. „Die Treffen sind gut, weil wir so nah dran sind an den Entwicklungen und Ideen einbringen können“, sagt Oestringer. „Oft gehe ich aber frustriert heraus, wenn es wieder hieß, dass aus diesen und jenen Gründen alles länger dauert, als nötig wäre.“
„Der Müll fällt leider so oder so an, also nutzen wir doch lieber die Wärme aus der Verbrennung, anstatt sie in die Luft zu pusten“, antwortet Lorenz Heublein auf der Bühne im Bodenseeforum. Seit mehr als acht Jahren ist er in der Stadtverwaltung für den Klimaschutz zuständig. Wie auch die Redner:innen vor ihm spricht er über Technik und Kosten und darüber, dass alles gut wird, dass Konstanz bei der Wärme wie überhaupt beim Klimaschutz auf Kurs ist. Mit jedem Vortrag wird der Applaus ein bisschen lauter.
Konstanz auf Kurs – die Zahlen bestätigen das nicht so ganz. Nach dem Ausruf des Klimanotstands setzte sich Konstanz das Ziel, bis 2035 „weitgehend klimaneutral“ zu sein. Die Stadt wollte so ihren Beitrag zum Pariser Klimaziel leisten, die Erderwärmung auf „deutlich unter 2 Grad Celsius” zu begrenzen. Für dieses Ziel hätten die Treibhausgasemissionen in Konstanz bereits deutlich fallen müssen, Jahr für Jahr. Doch sie sinken viel langsamer als notwendig: von 2019 bis 2022 um 42.000 Tonnen statt um rund 109.000 Tonnen.
Am Morgen nach der Infoveranstaltung sitzt Lorenz Heublein an einem Tisch im Ratssaal der Stadt, wo damals alles begann. „In den vergangenen fünf Jahren haben wir erst einmal viel Grundlagenarbeit machen müssen“, sagt er. 61 Maßnahmen hätten sie erarbeitet, von der Wärmewende zu mehr regionalem Essen, mehr ÖPNV und weniger Parkplätzen für Autos, auch ein Klimaschutzamt wurde eingerichtet. Sie hätten Studien erstellt und Pläne entworfen. All das verringert aber noch keine Emissionen. So stark wie nötig geht es bisher nur beim Ausbau der Solarenergie in der Stadt voran, zeigen die halbjährlichen Berichte von Lorenz Heublein. Ist die Euphorie verpufft und Konstanz dabei, an seinen Zielen zu scheitern?
Heublein widerspricht. Zentral sei, dass sich das Bewusstsein der Bürger:innen verändert habe – und auch das der Verwaltung. Vor fünf Jahren sei er noch Einzelkämpfer gewesen, mittlerweile gebe es das Klimaschutzamt, das mit mehreren Mitarbeiter:innen die Ideen und Maßnahmen der anderen Ämter, der Stadtwerke und der städtischen Wohnungsbaugesellschaft koordiniert. Die Struktur ist aufgebaut, die Aufholjagd auf die „weitgehende Klimaneutralität“, wie die Stadt das offiziell nennt, kann beginnen. Heublein ist überzeugt, dass sie für Konstanz erreichbar ist.
Mit der Ausrufung des Klimanotstands trat Konstanz am 2. Mai 2019 eine Bewegung los. In den Wochen und Monaten danach folgten andere Kommunen: Heidelberg, Ludwigslust, Kiel, Tönisvorst, Herford. Später Köln, Berlin, München. Bis Ende des Jahres 2019 waren es Dutzende Städte mit zusammen vielen Millionen Einwohner:innen.
Markus Groth vom Climate Service Center Germany (GERICS) des Helmholtz-Zentrums hereon hat die Entwicklung der Klimanotstände beobachtet. „Die Klimanotstände waren rechtlich völlig unverbindlich, haben aber gesellschaftlich eine Grundlage für Klimaschutz gelegt, die sich in diesen Kommunen nicht mehr zurücknehmen lässt“, sagt er.
Weniger Parkplätze? Nicht mit uns!
Trotzdem fällt die Stadt hinter ihre Ziele zurück. Die Pandemie und der Krieg in der Ukraine nahmen dem Klimaschutz die Bühne und der Bewegung den Schwung. Im Hintergrund aber seien in vielen Kommunen konkrete Ziele und Maßnahmen entwickelt worden, so Groth. Das Dilemma der Kommunen sei nur oft, dass sie sich durchschlängeln müssen zwischen dem, was der Bund, das Land und die eigene Bevölkerung verlangen. Denn das widerspreche sich oft. „Im Zweifelsfall versucht eine Verwaltung deshalb, eher behutsam und möglichst wenig konfrontativ zu handeln“, sagt Groth.
Manchmal passiert auch genau deshalb nichts, wie in Konstanz die mehr als 7.000 Quadratmeter Asphalt des Stephanplatzes zeigen. Wo Dutzende Autos parken, sollten eigentlich Bäume und Wasserfontänen stehen. Seit 2009 ist geplant, dass der Platz autofrei werden soll, im Mai sollten die Parkplätze nun endlich weichen. Doch Anwohner:innen, Geschäftsinhaber:innen und bürgerlich-konservative Politiker:innen protestierten dagegen, wie man in der Lokalzeitung lesen konnte, weil so die Parkplätze für Anwohner:innen wegfallen – und die hohen Einnahmen aus den Parkgebühren für Tourist:innen. Also ruderte die Verwaltung zurück. Die Parkplätze bleiben erst mal.
„Das hier”, sagt Oestringer und gestikuliert in Richtung der Autos, „ist so etwas wie ein Kristallisationspunkt für alles, was in Konstanz im Klimaschutz schiefläuft.“ Dafür, dass die vergleichsweise schnellen und einfachen Möglichkeiten, Klimaschutz in der Stadt umzusetzen, nicht genutzt würden. Dafür, dass die Stadt bei Gegenwind einknickt, sagt Oestringer.
Eine Handvoll Aktivist:innen von Fridays for Future Konstanz kandidiert deshalb für den Gemeinderat und den Kreistag. Sie hoffen, dort mehr Tempo in die Klimapolitik bringen zu können. Anfang Juni wird gewählt. Daran, dass die Klimaneutralität und damit auch der Klimanotstand scheitern könnten, will in Konstanz niemand denken. Heute so wenig wie vor fünf Jahren.
Dieser Text wurde am 21.05.2024 auf fluter.de unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE veröffentlicht. Diese Lizenz ermöglicht den Nutzer*innen eine nicht-kommerzielle Weiterverwendung unter Namensnennung des*der Urheber*in sowie ohne Bearbeitung.
Titelbild: Die Stadt Konstanz von oben. Foto: Holger Uwe Schmitt, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons