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Ist der Kapitalismus am Limit?

Eine systembedingte, globale Krise wie die Klimakrise lässt sich nur durch einen systemischen Wandel lösen, meint Ilse Kleinschuster im Gastbeitrag.

Der Titel eines im oekom-Verlag gerade erschienen Buches von Ulrich Brand und Markus Wissen, den Autoren des Bestsellers „Imperiale Lebensweise“, lautet „Öko-imperiale Spannungen, umkämpfte Krisenpolitik und solidarische Perspektiven“ und hat mich dazu motiviert, mich mit der leidigen Frage auseinanderzusetzen, ob nun der Kapitalismus am Limit ist oder ob wir nicht besser daran wären, uns kritisch mit den Errungenschaften des politischen Liberalismus auseinanderzusetzen. Und in diesem Kontext vor allem mit der Frage nach mehr Transparenz über die Wirkung von Finanzkapital.

Die Transformationsforscherin Maya Göpel, Mitglied des Club of Rome, hat dazu zwei Bestseller geschrieben und kann uns wahrlich als kompetente Instanz zu dieser Frage gelten. Sie meint, Menschen, die sich heute fragen, wo denn nun die Schuld an dem sich langsam dahinschleppenden Fortschritt in Richtung „nachhaltige Entwicklung“ liege, sollten lernen, wahre Pionier*innen des Wandels zu erkennen, echte Gamechanger genauer unterscheiden zu können von Menschen, deren Innovationswille nicht ernsthaft und deren Angebote nicht zukunftstauglich sind. Es sei jetzt höchste Zeit, politische Verantwortung, Regeln mit besserer Lenkungswirkung und entsprechender Kontrolle einzufordern, damit wir schneller in die Veränderung kommen. Greenwashing sei absolut das Letzte, das wir jetzt brauchen.

Aber, es sei – in einer Welt, deren Bevölkerung zu 50% in offenen Gesellschaften leben, aber die anderen 50% in gescheiterten Staaten („failed states“) oder Autokratien – ohne eine globale Governance-Instanz für die globalisierten Märkte zurzeit unmöglich, eine verlässliche Dynamik in Richtung sozial-ökologische Transformation zu bringen. Daher wäre es vorausblickend wohl klug, sich mit regionalen Lösungsansätzen zu beschäftigen. Es gehe hier zunächst um alte Finanzmarktmechanismen, die in Richtung nachhaltige Wirtschaftsweise in der EU umgepolt werden sollen: eine europäische Trendwende, insofern als mit der europäischen Taxonomie für nachhaltige Investitionen kürzlich neue Regeln für die Banken festgelegt worden sind (2022). Sicher fehle hier noch eine unabhängige, öffentliche und demokratisch legitimierte Institution, die gezielt außerhalb von Profitabilität operiert, d.h. die sich auf Wagnisreformen hin zu wirklich sozialen und ökologischen Transformationen spezialisiert.

Gefragt nach den echten Werten, die die Gesellschaft jetzt braucht, bezieht sich Maja Göpel auf den OECD Better Life Index, eine Synthese vieler Studien zu den Bedingungen, unter denen Menschen sich als zufrieden äußern, Zutaten für ein ‚Gutes Leben‘, in dem auch Sozialkapital (wellbeing) zählt. Diese Bedingungen würden sich auch mit vielen Zielen in den UN-Nachhaltigkeitsstrategien (SDGs) decken. Sie böten einen Kompass dafür, welche messbaren Werte, objektive Wohlergehensfaktoren, gesichert oder entwickelt werden sollten. Das reiche von Gesundheit und gesichertem Einkommen, über saubere Luft und Wasser bis zu Bildungsständen, Arbeitsverhältnissen, Sicherheit, aber auch work-life-balance.

Wenn wir nun dieses Sozialkapital zusammen mit dem Natur- und dem Humankapital näher ins Auge fassten, dann sollten wir (gemäß dem „kategorischen Imperativ“) erkennen, dass es genau das ausmacht, was wir ganz allgemein unter fairem und naturangepasstem Handeln und Wirtschaften verstehen. Real gesehen habe also das Finanzkapital keinen eigenen Nutzwert, es sei lediglich eine soziale Technik, die nur durch Staaten mit struktureller Gesetzgebung überhaupt erst existieren kann.

So frage ich mich als Mitglied einer Offenen Gesellschaft: Hängt es denn nicht letztlich von transparenten, politischen Rahmenbedingungen ab, die Bürgerinnen und Bürger erkennen lassen, ob und wie der Staat eine Politik verfolgt, die uns den übergeordneten Nachhaltigkeitszielen näherbringen kann?

Wie, so frage ich mich, wäre demnach ein nötiger ‚Wandel der Finanzbranche‘ am vernünftigsten zu erzählen damit er in der öffentlichen Debatte als Chance wahrgenommen wird? Wie könnten beispielsweise verantwortungsbewusste Abgeordnete zum Parlament eher einen höheren zukunftsrelevanten Wirkungsgrad erreichen? Sollten sie jetzt nicht die Indikatoren zu einer wirklich zukunftstauglichen Nachhaltigkeitsstrategie als Referenzpunkte in die Haushaltsdebatten hernehmen, um so deutlich aufzeigen zu können, wie die Mittel allokiert werden und welche Maßnahmen zur jeweiligen Zielerreichung konkret geplant sind? Sicher, so glaube ich, könnte so ein Vorgehen zunächst den Fokus wesentlich in eine neue Richtung treiben: diese Transformation als Chance statt als Desaster zu sehen?

Nun werden in dem oben erwähnten Buch von Ulrich Brand und Markus Wissen Projekte aufgezeigt, die sich strategisch auf den Grünen Kapitalismus, auf autoritäre Stabilisierung und auf Solidarische Alternativen beziehen.

Wie wir es in einer offenen Gesellschaft schaffen, die Einseitigkeit eines ökonomischen Liberalismus, der die letzten Jahrzehnte geprägt hat, zu überwinden, das fragen sich heute viele. Ich glaube, wir sollten uns zu einem Liberalismus 2.0 bekennen, der zu Selbstkorrektur in der Lage ist und flexibler und anpassungsfähiger reagieren kann als viele seiner ‚geschlossenen‘ autokratischen Gegenspieler.

Ist es denn nicht so, dass erst in offenen Gesellschaften jene Information und jenes Wissen geschaffen wird, welches wir benötigen, um im 21. Jahrhundert bestehen zu können? Vielleicht noch wesentlicher aber scheint mir die Schaffung neuer Institutionen zu sein, die Diversität, Vielfalt und Unterschiede aushalten und gleichzeitig nutzen und damit einen Mehrwert für alle schaffen können. Wenn das auch nicht immer gelingt, so sollte es kein Grund sein, eine kritische Ordnung der Freiheit anzustreben, die zur Selbstkorrektur fähig ist, ja befähigt. Dazu gehört jetzt natürlich auch das Überdenken eines grundlegenden Umbaus des Wirtschaft- und Finanzsystems. Denn, ich glaube, eine systembedingte, globale Krise, wie die Klimakrise, lässt sich nur durch einen systemischen Wandel lösen. Um das multikausale Problem in den Griff zu bekommen, braucht es zunächst Einzelregelungen (CO2-Bepreisung, monetäre, aber auch ressourcenbasierte Grundsicherung), aber auch einen skalierbaren Handlungsrahmen, der der Erderwärmung und den Grenzen unseres Planeten (Ressourcenverschwendung, Schutz der Artenvielfalt) angemessen begegnet.  

Eine aktuell in polit-ökologischen Kreisen kursierende Strategie, die sogenannte EXITStrategie (mit einer Klimawährung als ökologisches Grundeinkommen) erinnert mich an das Zukunfts-Modell einer Ressourcenwirtschaft für einen sozial-ökologischen Systemwandel, das von einem österreichischen Wissenschaftler seit Jahren theoretisch entwickelt wird. In beiden Strategien steht an der Basis die Kritik an den globalen, öko-imperialen Spannungen aufgrund der vorherrschenden neoliberalen Markt- und Finanzwirtschaft.

Ich bin keine Ökonomin, aber ich denke, was es jetzt dringender denn je braucht, sind zukunftsorientierte Konzepte mit marktwirtschaftlichem Ansatz und mit solidarischer Perspektive. Dies erfordert aber ein fortlaufend neues Ausverhandeln von Grenzen der Freiheit und das radikale Sichtbarmachen einer Freiheit, die an ihre Grenzen stößt. Freiheit und Nachhaltigkeit bedingen sich gegenseitig. Keines ist ohne das andere zu haben.


Dieser Beitrag wurde als Gastartikel eingereicht. Auch Dir brennt etwas unter den Nägeln und Du willst, dass es die Öffentlichkeit erfährt?  Dann reiche jetzt deinen Gastartikel ein!

Titelbild: fikry anshor auf Unsplash

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