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Mexiko: Streitfrage Leihmutterschaft

In Mexiko boomt das Geschäft mit der Leihmutterschaft. Es findet weitgehend in einer rechtlichen Grauzone statt. Das hat für die mexikanische Leihmutter Carey Nañez ungeahnte Folgen.

Von Mirjana Jandik (NPLA)

Während in Deutschland eine Kommission diskutiert, ob eine „altruistische“ Leihmutterschaft (bei der die Leihmutter kein Geld bekommt), erlaubt werden soll, boomt in Mexiko das Geschäft. Es findet weitgehend in einer rechtlichen Grauzone statt – und das ist für Kliniken und Agenturen besonders attraktiv. Während Parlamente, Feministinnen und katholische Kirche darüber streiten, ob man Leihmutterschaft verbieten oder regulieren soll, hat die Rechtsunsicherheit für die mexikanische Leihmutter Carey Nañez ungeahnte Folgen.

„Meine Schwiegermutter ist Feministin und ich dachte, sie würde gar nicht gut darauf reagieren“, erinnert sich Cristian Carey Nañez Rebollo an den Moment, als sie der Mutter ihres Ehemanns von ihrem Plan erzählte: Sie wollte Leihmutter für ein heterosexuelles Paar aus Portugal werden, das keine leiblichen Kinder bekommen kann. Ihre Schwiegermutter reagierte aber total cool: „Radikalfeministinnen lehnen das vielleicht ab, aber ich glaube, dass es deine freie Entscheidung ist.“ Leihmutterschaft gleich Kinderhandel? Carey hält das für uninformiertes Gerede.

Carey kämpft dafür, nicht „Mutter“ zu sein

Vor ziemlich genau zwei Jahren stolperte sie zum ersten Mal über das Wort Leihmutterschaft – in einer Anzeige auf Facebook. Es ist der häufigste Weg der Akquise. Gesucht werden in der Regel Frauen zwischen 18 und 35 Jahren, die bereits ein Kind geboren haben. Eine ganze Reihe weiterer Anforderungen sollen sie erfüllen: nicht trinken, nicht rauchen, nicht übergewichtig sein, überhaupt: keine „Laster“ haben. Eine Agentur verlangt sogar offensiv: „keine schwierigen Mädchen!“

Wie war das, als Carey diese Anzeige sah? „Mein Mann lag gerade mit COVID zu Hause. Wir leben mit seiner Tochter und unserem gemeinsamen Sohn, und es war schwierig, die Kosten für meine Schule und die Schule seiner Tochter aufzubringen. Und dann habe ich diese Anzeige entdeckt“, erzählt Carey. „Mein Mann war total skeptisch, aber ich habe mich trotzdem bei der Agentur erkundigt.“ Carey erzählt das ganz nüchtern. Sie wusste, worauf sie sich einlassen würde: Sie würde in ihrem Bauch ein Kind austragen, mit dem sie biologisch nicht verwandt ist und das sie nach der Geburt den sogenannten Wunscheltern übergeben würde. Dafür würde sie 300.000 mexikanische Pesos (über 16.000 Euro) bekommen – viel mehr, als sie sonst im gleichen Zeitraum verdienen könnte. Sie ist Hausfrau und holt gerade ihr Abitur nach, nebenbei verkauft sie selbstgebackenes Brot, Kuchen und Torten.

Ihr Mann warnte Carey vor der emotionalen Belastung, die eine Leihmutterschaft bedeuten würde. Brachte sie das nicht ins Grübeln? „Nein, meine Zweifel bekam ich erst, als ich weiter recherchiert und festgestellt habe, dass Leihmutterschaft weder legal noch illegal ist. Es liegt allein in der Hand des Richters, wie er den Fall bewertet.“ In Mexiko ist Leihmutterschaft lediglich in den Bundesstaaten San Luis Potosí und Querétaro verboten und nur in Sinaloa und Tabasco gesetzlich reguliert. In Mexiko-Stadt, wo Carey lebt: rechtliche Grauzone. Doch in der Agentur wiegelte man ihre Bedenken ab: Sie solle sich keine Sorgen machen, es gebe entsprechende Paragrafen, auf die sie sich berufen könnten, um die Elternschaft der Wunscheltern anerkennen zu lassen. Carey hatte keine Ahnung, welcher rechtliche Rattenschwanz auf sie zukommen sollte.

Als sie sich entschieden hatte, es zu versuchen, ließ Carey in einer Klinik Untersuchungen machen und bekam bald den Bescheid, dass sie als Leihmutter geeignet sei. Sie musste jede Menge Medikamente und Hormone nehmen, um den Körper auf eine Schwangerschaft vorzubereiten. Der erste Embryotransfer scheiterte trotzdem. Beim zweiten Mal setzte man ihr direkt zwei ein, um die Chancen zu erhöhen. Zack, beide „schlugen an“, wie sie sagt – Carey war schwanger mit Zwillingen. Samen und Eizelle stammen von dem portugiesischen Paar, die somit biologisch die Eltern der Kinder sind. Das ist nicht immer so. Manchmal stammen die Eizellen von Spenderinnen oder sogar von der Leihmutter selbst, insbesondere, wenn die Wunscheltern schwule oder alleinstehende Männer sind. Weil Leihmutterschaft in vielen Ländern weltweit verboten oder sehr teuer ist, suchen Leute mit unerfülltem Kinderwunsch und den nötigen finanziellen Mitteln oft Leihmütter im Ausland. Nach Mexiko kommen viele Wunscheltern aus den USA, China, Spanien – und zunehmend auch aus Deutschland.

Wunscheltern kommen auch aus Deutschland

An der Agentur übt Carey heute viel Kritik – auch öffentlich, auf Tiktok. Sie lernte die Wunscheltern zum Beispiel erst viel später kennen, als es mit der Agentur vereinbart war: „Eigentlich sollten die von der Agentur mir die Wunscheltern per Videocall vorstellen, damit wir entscheiden können, ob wir zusammenpassen. Das haben sie aber nie gemacht. Trotzdem fühlte ich Empathie mit diesem Paar, das eine Familie gründen wollte. Erst als man den Herzschlag der Embryonen hören konnte, ungefähr nach acht Wochen, konnte ich mit ihnen telefonieren.“

Carey hatte eine Hochrisikoschwangerschaft. Die meiste Zeit verbrachte sie im Bett, und trotzdem hat sie es selbst in den Momenten nicht bereut, als sie blutend im Bad stand. Sie sagt aber auch: „Wenn ich die finanziellen Möglichkeiten gehabt hätte, hätte ich das nicht für Unbekannte gemacht. Für Bekannte vielleicht schon, ich habe zum Beispiel eine Tante, die keine Kinder kriegen kann.“

Ablehnung von radikalen Feministinnen

Aber Leihmutterschaft ist eben ein globaler Markt, und das ist der Knackpunkt für die scharfe Kritik von einigen Feministinnen. Vom Geschäft mit der Reproduktion profitieren vor allem Agenturen, Kliniken und Investor*innen.

Das Marktforschungs- und Consultingunternehmen Global Market Insights rechnet damit, dass der Leihmutterschaftsmarkt bis 2032 jährlich um schwindelerregende 24,5 Prozent wachsen wird. Für Investor*innen ist das ein Traum, für die radikalfeministische Gruppe Brujas del Mar ein Albtraum. Bei einer Pressekonferenz 2022 sagte eine Sprecherin: „Wir Frauen sind nicht da, um die Wünsche von anderen zu erfüllen. Unsere Bäuche gehören uns und dürfen nicht zur Ware gemacht werden. Deswegen fordern wir den (mexikanischen) Kongress auf, Leihmutterschaft rigoros zu verbieten.“ Sie meinen auch, dass Leihmutterschaft eigentlich das gleiche sei wie Kinderhandel. Für die Anthropologin Eugenia Olavarría ist das eine Dämonisierung der Leihmütter. Wichtig sei vielmehr, ihnen zuzuhören und ihre Forderungen ernst zu nehmen: „Sie wünschen sich mehr Kontakt mit den Wunscheltern und mehr Mitspracherecht im Prozess und sie fordern, dass die Leihmutterschaft nicht die einzige Einnahmequelle der Leihmütter sein sollte.“

Leihmutterschaft boomt seit der Pandemie

Leihmutterschaft gibt es in Mexiko schon seit vielen Jahren, aber erst ungefähr seit der Pandemie boomt das Geschäft. Die Parlamente hängen diesem Boom hinterher und der Prozess ist zäh, weil die Meinungen so weit auseinander gehen. Die Verbieten-Fraktion bekommt Rückenwind von Radikalfeministinnen und der katholischen Kirche. Für die legale Regulierung lobbyiert vor allem die feministische NGO GIRE: Leihmutterschaft zu verbieten, würde sie nur in den Untergrund drängen und dem organisierten Verbrechen in die Hände spielen. Um die Leihmütter und Wunscheltern zu schützen, brauche es menschenrechtskonforme Gesetze.

So, wie es jetzt ist, ohne Regulierung und Rechtssicherheit, werden Leihmütter und Wunscheltern leicht Opfer von nicht korrekt aufgesetzten Verträgen oder ausbeuterischen Geschäftspraktiken. Und: Sie sind für die legale Anerkennung der Elternschaft von der Gunst der Richter*innen abhängig. Oft geht das schnell und unkompliziert, aber manchmal liefern sich Wunscheltern und Leihmütter monatelange juristische Auseinandersetzungen. So wie bei Carey Nañez: „In der Geburtsurkunde steht immer noch mein Name. Wir sind jetzt in einem Gerichtsprozess, aber wir haben immer noch keinen Anhörungstermin. Ich musste zum Standesamt gehen und lauter Dinge, die nicht in meinem Vertrag standen. Der Richter erkennt die DNA-Proben nicht an, die wir ihm vorgelegt haben.“ Das dient dem Schutz der Leihmutter: Durch genaue Überprüfung soll sichergestellt werden, dass hier tatsächlich kein Kinderhandel vorliegt. Carey erkennt darin jedoch erst mal keinen Schutz für sich selbst, denn: „Wenn den Kindern heute etwas passieren würde, wäre ich verantwortlich, weil mein Name in der Geburtsurkunde steht. Das finde ich nicht fair, diese Kinder haben ja biologische Eltern, Eltern, die sie lieben. Deswegen finde ich, das muss reguliert werden, damit es leichter für alle Beteiligten ist.“

Dieser ganze Gerichtsmarathon, den Carey jetzt ein Jahr nach der Geburt immer noch machen muss, stand nicht im Vertrag und wird auch nicht vergütet. Wie die Story ausgeht, könnt ihr wahrscheinlich bei Tiktok verfolgen: @careynaez. Wie das parlamentarische Ringen um „verbieten oder regulieren“ ausgeht – das wird wohl eine noch längere Geschichte.

Den Podcast zum Thema findet ihr hier bei Radio onda.

Ein ausführlicherer Artikel findet sich in Ausgabe 473 (Schwerpunkt Reproduktive Gerechtigkeit) der Zeitschrift ila.


Dieser Beitrag erschien am 16.03.2024 auf npla.de, lizensiert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international. 

Titelbild: Camylla Battani auf Unsplash (Symbolbild)

 
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