Achtung, religiöse Gefühle!
Das Blasphemieverbot ist ein Fremdkörper im liberalen Rechtsstaat. Denn: Gesetze sollen Menschen schützen, nicht Bekenntnisse. Die »Free-Charlie!«-Kampagne hat sich nun vorgenommen, den Gotteslästerungs-Paragrafen zu kippen.
Von Helmut Ortner
In Deutschland macht sich noch immer strafbar, „wer öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften den Inhalt des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses anderer in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft«. Es ist es also durchaus erlaubt, den gekreuzigten Jesus als »Balkensepp« zu bezeichnen, wenn dadurch keine Christenmenschen in weltliche Aufruhr geraten. Nur der »öffentliche Friede« darf dadurch nicht gestört werden. Kurzum: Es kommt weniger auf die Verunglimpfung selbst an als auf die mögliche Reaktion der Gläubigen.
Dass es sich hier um eine groteske Umkehrung des »Täter-Opfer-Prinzips«: handelt, ist offensichtlich, denn selbstverständlich wird der öffentliche Friede nicht durch kritische Karikaturen oder Wortmeldungen gestört, sondern durch religiöse Fanatiker, die nicht hinnehmen wollen, dass ihr Gott kritisiert, lächerlich oder verhöhnt werden kann. Doch wir leben in einem Verfassungs- und keinen Gottes-Staat. Um diesen Punkt zu untermauern, wurde nun die »Free Charlie!«-Kampagne gestartet. Sie wirbt um Unterstützung bei ihrem Vorhaben, den Gotteslästerungs-Paragrafen zu kippen.
Mehr als 2000 Personen haben die Petition zur Abschaffung des § 166 StGB, nach dessen Wortlaut die überlebenden Mitglieder der »Charlie Hebdo«-Redaktion in Deutschland hätten verurteilt werden können, mittlerweile unterschrieben. Mit dieser Anzahl an Mitzeichnern liegt die Petition schon jetzt bei den oberen zehn Prozent aller bisherigen Bundestagspetitionen. Um noch mehr Menschen zu erreichen, hat die »Free Charlie!«-Kampagne kurze Videoclips in den sozialen Medien geschaltet.
Das Quorum von 50.000 Mitzeichnern werde man zwar nicht erreichen, doch dies geschehe ohnehin nur in den allerseltensten Fällen, wenn ein Thema groß in den Medien sei, sagt Michael Schmidt-Salomon, der die Petition im Namen der Giordano-Bruno-Stiftung eingereicht hat. Für eine positive Behandlung der Petition ist das Erreichen des Quorums allerdings auch nicht erforderlich. Es hängt vielmehr von den Mehrheitsverhältnissen im Petitionsausschuss ab, ob ein Anliegen aufgegriffen wird oder nicht – und hier rechnen sich das Kampagnen-Team in der gegenwärtigen Legislaturperiode durchaus Chancen aus. Immerhin wurde die Forderung nach Abschaffung von § 166 StGB in der Vergangenheit sowohl von Teilen der SPD, der FDP, der GRÜNEN als auch der LINKEN erhoben.
»Es gibt keinen Grund, religiöse Gruppen gegenüber anderen Gruppen zu privilegieren. Insbesondere aufgrund der jüngsten Ereignisse in Frankreich geht es jetzt darum, ein klarstellendes Signal zu setzen und zu verdeutlichen, dass es einen Vorrang der Freiheit vor dem Schutz religiöser Gefühle gibt. Besonders verfehlt erscheint es überdies, dass eine Verfolgung nur bei Störung des öffentlichen Friedens angeordnet wird, weil damit der ›Schutz‹ religiöser Gefühle umso ausgeprägter ist, je gewaltbereiter die Mitglieder der kritisierten Religion sind«, erläutert Schmidt-Salomon. Er hofft darauf, dass dies bei der Entscheidung im Petitionsausschuss berücksichtigt wird. Die Chancen, den alten ›Gotteslästerungsparagrafen‹ loszuwerden, stehen jedenfalls nicht schlecht. Immer mehr sind davon überzeugt, dass ein Blasphemieverbot ein Fremdkörper im liberalen Rechtsstaat ist. Denn: Gesetze sollen Menschen schützen, nicht Bekenntnisse!
Da der Mitzeichnungsfrist bei einer Bundestagspetition nur 28 Tage beträgt und beinahe die Hälfte dieser Zeit verstrichen ist, hofft das »Free Charlie!-Team« die Zahl der Mitzeichnenden noch verdoppeln zu können. Vielleicht gelingt es, dass dieser aus der Zeit gefallene Paragraf im kommenden Jahr, zum 10. Jahrestag des Anschlags auf »Charlie Hebdo«, der Vergangenheit angehört. Es wäre ein Votum für den liberalen Rechtsstaat.
Titelbild: Gedenkkundgebung 2015 in Wien. Foto: Haeferl, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons
Unsere Zeitung ist ein demokratisches Projekt, unabhängig von Parteien, Konzernen oder Milliardären. Bisher machen wir unsere Arbeit zum größten Teil ehrenamtlich. Wir würden gerne allen unseren Redakteur*innen ein Honorar zahlen, sind dazu aber leider finanziell noch nicht in der Lage. Wenn du möchtest, dass sich das ändert und dir auch sonst gefällt, was wir machen, kannst du uns auf der Plattform Steady mit 3, 6 oder 9 Euro im Monat unterstützen. Jeder kleine Betrag kann Großes bewirken! Alle Infos dazu findest du, wenn du unten auf den Button klickst.