Mobilitätspolitik in Österreich zwischen Wunsch und Wirklichkeit
Die österreichische Bundesregierung hat mit dem Ziel, umweltfreundliche und leistbare Mobilität für alle zu gewährleisten, einen vielversprechenden Weg eingeschlagen. Aktuelle Pressemeldungen und volkswirtschaftliche Daten zeigen allerdings eine Diskrepanz zwischen politischem Anspruch und der Wirklichkeit auf.
Von Thomas Hader & Judith Fitz, AK Wien (A&W-Blog)
Mit fast 30 Prozent der Treibhausgasemissionen und einem weitgehend ungebrochenen Wachstum trägt der Verkehr wie kein anderer Sektor zur Klimakrise bei. Daher ist schon lange klar, dass eine Mobilitätswende mit tiefgreifenden Strukturänderungen unabdingbar ist.
Gerade für Beschäftigte ist Mobilität und die Erreichbarkeit von Arbeitsplätzen zentral: Von den rund 4,4 Millionen Erwerbstätigen in Österreich müssen über die Hälfte aus ihrer Wohngemeinde zu ihrem Arbeitsplatz pendeln. Wer kein Auto besitzen möchte oder sich keines leisten kann, ist beim Zugang zum Arbeitsmarkt benachteiligt. Dies gilt insbesondere für Beschäftigte im dünner besiedelten ländlichen Raum, wo der öffentliche Verkehr in der Regel nicht so gut ausgebaut ist. Daneben spielt die Erreichbarkeit von Kinderbetreuungseinrichtungen, Schulen und Einkaufsmöglichkeiten zur täglichen Versorgung eine wesentliche Rolle.
Die Vision: umweltfreundliche Mobilität für alle
Mit dem Ziel, umweltfreundliche und leistbare Mobilität für alle zu gewährleisten, wurde im Regierungsprogramm ein vielversprechender Weg eingeschlagen. Weitreichende Maßnahmen, wie ein flächendeckendes öffentliches Verkehrsnetz, sollen einen nachhaltigen Wandel im Mobilitätssektor bewirken. Darüber hinaus wird auch der Ausbau einer Kombination von flexiblen Mobilitätsangeboten (wie Mikro-ÖV), Sharing-Lösungen und Radverkehr-Attraktivierung genannt.
Der im Jahr 2021 vom BMK veröffentlichte „Mobilitätsmasterplan 2023“ spricht in diesem Zusammenhang sogar von einer „Mobilitätsgarantie“. Österreichweit sollen vielfältige umweltfreundliche Fahrtmöglichkeiten zu attraktiven Preisen und mit geringem Zeitaufwand zur Verfügung stehen. Durch ein solch umfassendes Mobilitätsangebot im städtischen, suburbanen und ländlichen Raum soll eine umfassende Mobilität ohne eigenen Pkw möglich werden. Wo auf diesen nicht völlig verzichtet werden kann, soll er durch ein dem Bedarf angepasstes, günstiges und energieeffizientes E-Fahrzeug ergänzt werden. Dieser Plan scheint keine Wünsche offen zu lassen. Allein die Wirklichkeit sieht anders aus.
Die Realität: Zugangsprobleme und steigender Autoverkehr
Aktuelle Pressemeldungen und volkswirtschaftliche Daten zeigen allerdings eine große Diskrepanz zwischen den politischen Ambitionen und der aktuellen Realität. Laut Statistik Austria und Raumordnungskonferenz hat nur die Hälfte der heimischen Bevölkerung Zugang zu gut ausgebauten öffentlichen Verkehrsmitteln. Besonders auf dem Land wird dieser Mangel spürbar, wo viele Menschen mit einer „Basiserschließung“ vorliebnehmen müssen.
Parallel dazu verzeichnete der Autoverkehr im Vergleich zum Vorjahr bis November 2023 bundesweit einen Anstieg um 3,9 Prozent, im Großraum Wien sogar um 6,1 Prozent. Diese Entwicklungen stehen in deutlichem Widerspruch zu den umweltfreundlichen Mobilitätszielen der Regierung.
Ökonomische Dimension: enorme Einsparungspotenziale
Ein weiterer – oft wenig beleuchteter – Aspekt der Mobilitätswende sind die ökonomischen Ableitungen aus der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung. Die österreichischen Haushalte geben demnach jährlich über 22 Milliarden Euro für den Kauf und Betrieb ihrer Autos aus. Im Gegensatz dazu würden laut Forschungen für einen flächendeckenden öffentlichen Verkehr etwa zusätzlich 4 Milliarden Euro pro Jahr benötigt werden. Das ergibt potenzielle Einsparungen von 18 Milliarden Euro jährlich für die Privathaushalte. Eine AK-Studie kommt zu einem ähnlichen Ergebnis und beziffert die Mehrinvestitionen im Verkehr bis 2030 mit insgesamt rund 32 Milliarden Euro, was in einem 9-Jahres-Zeitraum ebenfalls rund 3,6 Milliarden Euro jährlich bedeutet. Schon jetzt zeigen Daten der Konsumerhebung, dass sich im Durchschnitt aller Haushalte jene in dicht besiedelten Gebieten – wo der öffentliche Verkehr in der Regel besser ausgebaut ist – im Vergleich zu den Haushalten im sehr dünn besiedelten Raum etwa 200 Euro monatlich an Mobilitätskosten ersparen. Letztere geben sowohl bei der Anschaffung von neuen Fahrzeugen als auch für die Nutzung wesentlich mehr Geld aus. Das Momentum-Institut hat auf Basis der Konsumerhebung der Statistik Austria berechnet, dass ein Haushalt mit Auto dafür durchschnittlich 714 Euro ausgibt. Allein das ist achtmal mehr als ein autofreier Haushalt für seine gesamte Mobilität aufwendet. Aus den Berechnungen von Momentum geht ebenfalls hervor, dass die Preissteigerungen bei Pkw-Haushalten besonders hoch waren. Gab ein Haushalt mit Pkw im August 2019 im Durchschnitt noch 570 Euro pro Monat für den Besitz, die Instandhaltung und weitere Zusatzgebühren (Maut, Parken) eines Autos aus, so waren es im August 2023 bereits 714 Euro.
Rechtliche Dimension: mangelnde Verbindlichkeit und regulatorische Lücken
Die Bewältigung der Klimakrise erfordert einen umfassenden Wandel im Mobilitätsverhalten. Eine verstärkte Nutzung des öffentlichen Verkehrs kann einen entscheidenden Beitrag dazu leisten, den Treibhausgasausstoß zu reduzieren. Gleichzeitig könnten die österreichischen Haushalte, die ohnehin durch Inflation und Energiekrise in Bedrängnis geraten sind, ihre Ausgaben für Mobilität dadurch deutlich verringern.
Diese vielversprechenden Perspektiven spiegeln sich aber kaum in gesetzlichen Maßnahmen wider. Obwohl die Hälfte der Bevölkerung keinen ausreichenden Zugang zum öffentlichen Verkehr hat und der Autoverkehr weiter zunimmt, fehlt eine gesetzliche Verankerung konkreter Ziele und Mechanismen, die sicherstellen, dass die Regierungsversprechen tatsächlich umgesetzt werden. Ein umfassendes Mobilitätsgesetz, das einen ganzheitlichen Ansatz zur nötigen Transformation des Verkehrssektors verfolgt, wurde bislang nicht erlassen. Ein erster Diskussionsaufschlag dazu – der von der SPÖ bereits im Dezember 2021 im Parlament eingebrachte Vorschlag eines Bundesverkehrszielegesetzes – wurde stets vertagt.
Die Ziele und Maßnahmen des Mobilitätsmasterplans bleiben somit unverbindlich. Hinzu kommen bestehende regulatorische Lücken, die neue Mobilitätslösungen erschweren. So ist etwa der Rechtsrahmen für Fahrzeug-Sharing, Fahrgemeinschaften und den sogenannten Mikro-ÖV völlig unzureichend und führt in der Praxis zu Unsicherheit für die Nutzer:innen.
Die Mobilitätswende schaffen wir nur mit guten Arbeitsbedingungen für die Verkehrsbeschäftigten
Damit die Mobilitätswende weg vom Individualverkehr hin zum öffentlichen Verkehr gelingt, braucht es mehr Personal und gute Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten im öffentlichen Verkehr. Im Bahnsektor versucht die Europäische Kommission nach wie vor die Liberalisierung und damit die Ausschreibung von Verkehrsbestellungen voranzutreiben. Arbeiterkammer und Gewerkschaft kritisieren dies scharf, denn die Erfahrungen aus Ländern wie dem Vereinigten Königreich, Griechenland oder Deutschland zeigen, dass die Liberalisierung des Eisenbahnsektors aufs Abstellgleis führt. Die Bahnen werden nicht effizienter. Vielmehr hat die Liberalisierung ein schlechteres Angebot, höhere Ticketpreise für die Fahrgäste sowie Lohn- und Sozialdumping für Beschäftigte zur Folge.
Gerade Letzteres zeigt sich im Busbereich, in dem seit Jahren nach dem Prinzip des Billigstbieters ausgeschrieben wird, sehr drastisch. Lange Arbeitstage von bis zu 15 Stunden werden dort den Beschäftigten ebenso zugemutet wie unbezahlte Pausen. Selbst der Zugang zu sanitären Anlagen ist keine Selbstverständlichkeit. Deshalb engagiert sich nun ein Bündnis aus Gewerkschaft vida, Arbeiterkammer Wien und den Klimaschutzorganisationen Fridays for Future und System Change not Climate Change für Verbesserungen bei den Buslenker:innen.
Es braucht ein Recht auf gute und nachhaltige Mobilität für alle
Die Diskrepanz zwischen politischen Zielen und der aktuellen Realität erfordert einen umfassenden Ansatz. Es ist entscheidend, dass politischen Versprechen konkrete gesetzliche Ziele und Maßnahmen zur Umsetzung folgen. Öffentliche Verkehrsmittel, Fuß- und Radwege müssen so ausgebaut werden, dass sie für die Mehrheit der Menschen in ihrem Lebensalltag einladend und nutzbar sind. Dadurch könnten vielen Menschen die ökonomischen Vorteile einer Unabhängigkeit vom Autobesitz verstärkt zugutekommen.
Grundlegend dafür ist eine gesetzliche Verankerung von Zielen im Verkehrsbereich und die Finanzierung eines umfassenden Ausbaus des öffentlichen Verkehrs. Es braucht breiten politischen Konsens darüber, wie im Verkehr die Klimaziele erreicht werden können und welche Maßnahmen umgesetzt werden müssen. Es sind rechtliche Strukturen zu schaffen, die eine bessere Kooperation zwischen Bund, Ländern und Gemeinden garantieren und klarstellen, auf welches Mobilitätsangebot die jeweilige Bevölkerung ein Anrecht hat.
Die zehn wichtigsten Punkte aus Arbeitnehmer:innensicht sind:
- Weiterer Ausbau der Bahn, Wiederaufnahme stillgelegter Strecken, dichtere Takte. Mit der Kampagne „Unsere Bahnen“ wollen die Gewerkschaft vida und die AK die Wichtigkeit der Eisenbahn im öffentlichen Eigentum für das Gelingen der Mobilitätswende herausstreichen.
- Ausbau des gesamten öffentlichen Verkehrs, Transparenz und Sicherstellung entsprechender Finanzierung (im Budget, mit dem Finanzausgleich und auf europäischer Ebene).
- Bessere Abstimmung zwischen Verkehrsplanung und Siedlungsentwicklung sowie kompakte Siedlungsstrukturen.
- Erarbeitung von Versorgungsstandards mit Mobilitätsangeboten, die die Bedürfnisse der Gemeindebewohner:innen bestmöglich berücksichtigen.
- Ausbau des Mikro-ÖV unter Sicherstellung, dass Parallelverkehre zum existierenden öffentlichen Verkehr vermieden werden. Mittel- bis langfristig: Taxis mit automatisiertem Fahren nur als integrierter Teil eines öffentlichen Verkehrssystems.
- Aktive Wirtschaftspolitik, welche sicherstellt, dass die Mobilitätswende rasch und regional in Österreich und der EU produziert wird (Schienenfahrzeuge, Schienen, E-Busse).
- Zurückdrängen der Liberalisierung im Bereich des öffentlichen Verkehrs.
- Stadtregionen stehen wegen der stark wachsenden Bevölkerung vor besonderen Herausforderungen: Sie müssen sowohl ihre Infrastruktur ausbauen als auch hohe Lebensqualität gewährleisten. Daher braucht es eine Finanzierung über ein Agglomerationsprogramm nach Schweizer Vorbild. Dabei beteiligt sich der Bund finanziell an Öffi-Infrastruktur von Städten und Stadtregionen.
- Einführung eines verpflichtenden betrieblichen Mobilitätsmanagements bei Betrieben über 50 Mitarbeiter:innen.
- Verpflichtende Verkehrserregerabgabe: Gemeinden können etwa beim Neubau von Gewerbegebieten diese Abgabe einheben, müssen aber nicht. Da Gemeinden im Standortwettbewerb stehen, wird diese Regelung derzeit nicht angewendet.
Eine Kombination von ökologischer Verantwortung und gesamtwirtschaftlichem Anreiz könnte so den Weg für eine zukunftsfähige Mobilitätsstrategie ebnen. Angesichts der Dringlichkeit gilt es, Ankündigungen zu verwirklichen und endlich entsprechende Maßnahmen zu setzen, um eine gute und nachhaltige Mobilität für alle zu ermöglichen.
Dieser Beitrag wurde am 02.02.2024 auf dem Blog Arbeit & Wirtschaft unter der Creative-Commons-Lizenz CC BY-SA 4.0 veröffentlicht. Diese Lizenz ermöglicht den NutzerInnen eine freie Bearbeitung, Weiterverwendung, Vervielfältigung und Verbreitung der textlichen Inhalte unter Namensnennung der Urheberin/des Urhebers sowie unter gleichen Bedingungen.