Umkämpfte Rohstoffe der Zukunft: Widerstand gegen den Abbau Seltener Erden in Madagaskar
Auf der Halbinsel Ampasindava in Madagaskar lagern Seltene Erden. Die Bevölkerung wehrt sich gegen ein Bergbauprojekt, um negative Folgen für Landwirtschaft und Ökosysteme zu verhindern. Weltweit nehmen derartige Konflikte zu. Regierungen und Industrien des Globalen Nordens möchten sich den Zugriff auf „kritische“ Rohstoffe sichern. Sie treiben so den Ausbau von Minen voran. Stattdessen braucht es jedoch eine Wirtschaft, die ein gutes Leben mit geringerem Rohstoffverbrauch und guten Arbeitsbedingungen sowie fortschrittliche Umweltpolitik unter anderem bei Bergbauprojekten gewährleistet.
Von Andreas Müller, Südwind (A&W-Blog)
Nicht nur die Energiewende verschlingt Rohstoffe, auch der fossile Status quo
Seltene Erden begegnen uns alltäglich: im E-Auto, im Windrad, in der Festplatte des Laptops. Von der Elektronikindustrie über Medizin, Verkehr und Energie bis hin zu Militärtechnik – zahlreiche Branchen verlangen nach diesen 17 Elementen: Bis 2050 soll sich die Nachfrage laut EU-Kommission verzehnfachen. Größere Bekanntheit erlangten Seltene Erden in den Diskussionen über Auswege aus der Klimakrise: Sie machen starke Dauermagneten und damit effiziente E-Autos und Windkraftanlagen möglich. Damit sind Seltene Erden zentrale Inhaltsstoffe, um Alternativen zu Öl, Kohle und Gas aufzubauen. So wichtig dieser Umstieg auf erneuerbare Energien und alternative Antriebsformen ist – nicht vergessen werden darf dabei, dass jede „grüne“ Technologie auch Rohstoffe benötigt: Rohstoffe, die aus der Erde geholt, aufbereitet und über große Distanzen transportiert werden müssen. Das unterstreicht: Ein „Weiter-wie-bisher“, nur mit ausgetauschter Technik, wird die Klimakrise nicht lösen.
Der Blick auf die Vielzahl der Anwendungen zeigt noch einen weiteren Aspekt: Nicht allein der Ausbau erneuerbarer Energien oder elektrischer Mobilität hält den Bedarf an Seltenen Erden derart hoch. 2016 wanderten beispielsweise noch 49 Prozent des in die EU importierten Neodyms in Autos mit Verbrennungsmotor, nur 6 Prozent in E-Autos und 13 Prozent in Windkraftanlagen. Und auch andere Sektoren konkurrieren um diese Rohstoffe. Eine Erzählung, welche die Verkehrs- und Energiewende als alleinige Nachfragetreiber nach Seltenen Erden darstellt (auch von der Bergbauindustrie gern bedient als Argument für den weltweiten Ausbau von Minen), läuft Gefahr, Einsparungspotenziale in anderen Bereichen aus dem Blick zu verlieren. Wollen wir Seltene Erden eher in Kampfjets verbauen oder in Windrädern und medizinischen Geräten?
Schillernde Metalle, staubige Bergwerke
Weltweit wurden 2020 214.000 Tonnen sogenannter Seltenerd-Oxide gefördert. 57 Prozent davon kamen aus chinesischen Bergwerken. Hinsichtlich der raffinierten Endprodukte liegt China 2020 bei 85 Prozent Weltmarktanteil, da chinesische Anlagen auch importierte Erze weiterverarbeiten. Doch auch andere Länder wie die USA, Myanmar oder Australien steigen wieder in die Förderung ein. Zum einen lassen höhere Preise den Abbau wirtschaftlich rentabel erscheinen, zum anderen fürchtet die Industrie Versorgungsengpässe und macht entsprechend Druck.
Die Gewinnung im Tagebau hat schwerwiegende Folgen für Bergarbeiter:innen, umliegende Gemeinden und Ökosysteme. Fundorte Seltener Erden sind oft gleichzeitig Lagerstätten von Uran und Thorium. Über Staub und Sickerwasser wird die radioaktive Belastung weitergetragen. Auch die gefährlichen Stoffe Arsen und Fluorite werden mitgefördert. Bei der Weiterverarbeitung entstehen schwefelhaltige Abgase und schwermetallhaltige Rückstände. Der gesamte Prozess, vom Abbau bis zum Raffinieren, benötigt enorme Mengen Wasser und produziert viele Treibhausgase.
Wo auf der Welt Seltene Erden abgebaut werden (die gar nicht so selten sind), hängt auch mit den globalen Machtverhältnissen zusammen. Dass über Jahrzehnte fast alle Seltenen Erden aus China kamen, hat auch damit zu tun, dass laxe Umweltauflagen und Arbeitsrechte einen Abbau dort ermöglicht haben. Die vor allem in wohlhabenderen Ländern oft praktizierte Haltung „Not in my backyard“ bringt diese Schieflage in unserem Wirtschaftssystem auf den Punkt: gerne ein Leben mit allen Annehmlichkeiten, welche Seltene Erden bringen, aber die Minen sollen ruhig in weiter Ferne liegen. Belieferte Unternehmen und westliche Abnehmerländer waren mit diesem Zustand im Reinen, solange günstige Preise und Versorgungssicherheit herrschten. Die chinesische Regierung versucht nun aber zunehmend, ihre „dirty industries“ zu regulieren oder selbst auszulagern.
Das Wettrennen um „kritische Rohstoffe“
Am 16. März 2023 veröffentlichte die EU-Kommission ihren Entwurf für ein Gesetz zu kritischen Rohstoffen. Eine hohe Nachfrage, die Unersetzlichkeit in Zukunftstechnologien und das Versorgungsrisiko (etwa wegen hoher Importabhängigkeit, Preisschwankungen, Monopolstellungen oder politischer Instabilität der Produktionsländer) sind die Kriterien der EU, um einen Rohstoff als „kritisch“ einzustufen. Seltene Erden haben in dieser Liste den Höchstwert bei „Versorgungsrisiko“.
Trotz aller Kriterienkataloge bleibt die Einstufung als „kritischer Rohstoff“ politisch. Wer definiert zum Beispiel, welche Zukunftstechnologie uns allen nützt? Wird etwas „kritisch“ genannt, kann das auch als Rechtfertigung dienen, um zum Beispiel die Umwelt- und Sozialverträglichkeitsprüfungen für neue Minenprojekte weniger gründlich durchzuführen und letztendlich beim Rohstoffabbau hohe Kosten für Menschen und Umwelt in Kauf zu nehmen. Vereint sich die Suche der Bergbaukonzerne nach profitablen Neuprojekten mit der politischen Diskussion um „kritische Rohstoffe“, werden in dieser Dynamik auf einmal auch das Grönlandeis, die Tiefsee oder gar der Mond als mögliche Abbauorte Seltener Erden ins Gespräch gebracht. An anderen Orten sind die Bergbauprojekte schon länger in Planung, wie das folgende Fallbeispiel zeigt.
Widerstand gegen den Abbau Seltener Erden in Madagaskar
Auf der Halbinsel Ampasindava führte 2011 ein deutsch-singapurisches Konsortium Probebohrungen durch. 6.460 Löcher mit 1 m² Durchmesser und 10 m Tiefe bestätigten Funde von Praseodym, Neodym, Terbium und Dysprosium. Die Schächte wurden oft ohne Zustimmung der Landwirt:innen gegraben. Das war Anlass für erste Widerstandsbewegungen innerhalb der lokalen Bevölkerung. Langfristig fürchten sie, durch den Bergbau ihre Einkommens- und Lebensgrundlage zu verlieren.
Folgende Kritikpunkte gibt es:
- Mangelnde Mitbestimmung und Transparenz: Der 2013 von der Bergbaufirma erstellte verpflichtende Bericht zu sozialen und ökologischen Folgen des Projekts ist bis heute nicht öffentlich einsehbar. Bei öffentlichen Anhörungen wurden Vorteile wie Arbeitsplätze und regionale Steuereinnahmen betont, Informationen über negative Auswirkungen aber zurückgehalten.
- Arbeitsplätze für die Menschen vor Ort entstehen vor allem während der Konstruktionsphase. Langfristigere Stellen werden eher von Expert:innen aus der Hauptstadt oder dem Ausland besetzt. Die Firma diskriminierte insbesondere Frauen, indem sie von Jobs als Bauarbeiterinnen oder Sicherheitspersonal ausgeschlossen wurden.
- Bei dem Abbauverfahren der In-Situ-Laugung werden die Seltenen Erden mithilfe von Ammoniumsulfat, Ammoniumbikarbonat und Schwefelsäure aus dem Boden herausgelöst. Zwischen 15 und 50 Prozent dieser Chemikalien verbleiben im Boden und gelangen in Flüsse und Küstengewässer.
- Absetzbecken sind gefährdet von Zyklonen, die Madagaskar immer wieder treffen, wie zuletzt im März 2023.
- Wenn auch in geringerem Ausmaß als bei einem Tagebau, muss auch bei der In-Situ-Laugung Vegetation weichen: Auf ca. 2.200 Hektar müssten Wälder gerodet und Ackerflächen vernichtet werden (das wäre viermal der Wiener Prater). Die Abholzung vergrößert die Gefahr von Hangrutschungen, vor allem seit infolge der Klimakrise Regenfälle in der Zyklon-Saison teils stärker ausfallen. Somit tragen Rohstoffe, welche auch für klimaschonende Technologien verwendet werden, ironischerweise am Ort ihres Abbaus dazu bei, die Widerstandsfähigkeit gegenüber der Klimakrise zu schwächen.
Soziale Bewegungen vor Ort recherchierten zu den Finanz- und Warenströmen hinter dem Minenprojekt. Der Ertrag soll an chinesische Weiterverarbeitungsbetriebe gehen, welche wiederum europäische und US-amerikanische Firmen der Elektronik- und Automobilindustrie mit Seltenen Erden versorgen. Bisher konnte verhindert werden, dass die Mine in Vollbetrieb geht. Doch immer wieder finden sich Investor:innen – trotz aller menschenrechtlicher und ökologischer Bedenken.
Bausteine für eine gerechte Rohstoffpolitik
Wie können wir dazu beitragen, dass der Etappenerfolg der Menschen in Madagaskar von Dauer ist? Im besten Fall lassen sich zwei Ziele verbinden: Was hier zu einer sozial und ökologisch gerechteren Gesellschaft beiträgt, kann in Madagaskar (oder andernorts) gleichzeitig mehr Raum für eine selbstbestimmte Entwicklung schaffen. Drei Vorschläge dazu:
- Reduktion des Rohstoffverbrauchs: Wenn beispielsweise elektronische Geräte aufgrund von Gesetzen langlebig, nachrüstbar und leicht reparierbar sein müssen oder wenn wir mit gut ausgebauten und leistbaren Öffis mobil sein können, anstatt die Seltenen Erden in Akkus und Motoren vieler einzelner E-Autos mit uns herumzufahren – dann senkt all das die Nachfrage nach diesen Rohstoffen und nimmt Bergbaukonzernen die Argumentationsgrundlage, neue Projekte selbst gegen Widerstand durchzusetzen. In der Kreislaufwirtschafts-Strategie ist festgeschrieben: Der Materialfußabdruck soll bis 2050 auf sieben Tonnen pro Person und Jahr sinken. Eine auf Reparatur, Recycling und geteilte Nutzung ausgerichtete Wirtschaft benötigt darüber hinaus auch die dafür qualifizierten Arbeitskräfte, was interessante und sinnstiftende Berufsfelder eröffnet.
- Freie, vorherige und informierte Zustimmung: Bei den dann noch verbleibenden Bergwerken müssen offene Konsultationen mit der lokalen Bevölkerung zur Regel werden, frei von Zwang und unter Einsicht aller verfügbaren Informationen. Die demokratisch getroffene Entscheidung muss respektiert werden, auch ein „Nein“ zu Bergbauplänen („Right to Say No“).
- Verbindliche Regeln für Konzerne: Ein UN-Vertrag zu Wirtschaft und Menschenrechten und ein starkes europäisches Lieferkettengesetz, das Unternehmen zur Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards entlang ihrer gesamten Lieferkette verpflichtet – bis hin zur ersten Stufe: der Rohstoffgewinnung.
Dieser Blogbeitrag basiert auf einer Recherche (Teil A und Teil B) im Rahmen eines Projektes zur Förderung gerechter Rohstoffpolitik und fairer Arbeitsbedingungen in der Elektronikindustrie, welches vom Digitalisierungsfonds der AK Wien finanziell gefördert wurde.
Der Beitrag wurde am 06.11.2023 auf dem Blog Arbeit & Wirtschaft unter der Creative-Commons-Lizenz CC BY-SA 4.0 veröffentlicht. Diese Lizenz ermöglicht den NutzerInnen eine freie Bearbeitung, Weiterverwendung, Vervielfältigung und Verbreitung der textlichen Inhalte unter Namensnennung der Urheberin/des Urhebers sowie unter gleichen Bedingungen.
Titelbild: Six30, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons