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Plädoyer für den zivilen Friedensdienst

Sind wir verdammt zu einem einsamen Weg aus der Krise? Oder wollen wir zur neuen europäischen Friedensarchitektur einen Beitrag leisten?

Ein Gastbeitrag von Ilse Kleinschuster

Könnte es sein, dass die derzeitige konfliktreiche Lage, in der sich die Welt befindet, in einer kritischen Analyse mündet, die uns Frieden, aktive Neutralität und Gewaltfreiheit dringlich nahelegt, wollten wir uns einen Rest an „Wohlstand“ erhalten? So hab‘ ich mich vor einem Jahr gefragt. 

Heute, ein Jahr später, frage ich mich, ob uns dieses einseitige Bemühen einer Friedens- und Umweltbewegung aus der universellen konfliktreichen Gegenwart wirklich noch heraushelfen kann – solange es nicht gleichzeitig einen Rest an „Anstand“ aktiviert. Mit „Anstand“ meine ich jene ethische Haltung, die fähig wäre, den Politiker*innen ein Leitbild zu sein, das von der Aufgabe bestimmt ist, ein zivilisiertes Überleben zu ermöglichen.

Vor kurzem nahm ich an einer ‚Heiligen Taufe‘ eines meiner Urenkel teil. Da wurde nicht nur nach der Taufe am Taufbrunnen die schöne Komposition von Leonhard Coen, ‚Halleluja‘, gesungen, sondern auch die ‚Fürbitten‘ vom Bruder des Täuflings verlesen. Es wurde da um Kraft, Energie und Mut, um das Leben zu meistern, um einen Engel, der den Bruder auf all seinen Wegen behüten möge, gebeten, sondern auch um viel Liebe und Schutz vor allem Bösen. Auch sollte der Bruder stets spüren, dass seine Familie immer für ihn da sei und er sollte sich die Sorglosigkeit und Freude seiner Kindheit bewahren und ein gesundes und glückliche Leben führen können – das alles mit dem Segen Gottes.

Ziemlich viel verlangt auf einmal! Nun, der Knirps wird’s brauchen, so dachte ich! Aber wird der Glaube an den Schutzengel, an die Liebe seiner Eltern und an den Segen Gottes auf Dauer genügen? Hängt und hing nicht das Wohlergehen der Menschen immer mehr von äußeren Geschehnissen ab? Wird es nicht immer mehr darauf ankommen, dass sie erkennen, wie wichtig es ist, sich nicht nur auf den Vater oder den Staat zu verlassen, sondern, dass man als Einzelner in Hinblick auf sich aber auch auf die Gesellschaft Verantwortung tragen muss, dass man auch Pflichten übernehmen sollte.

Verantwortungsgefühl zu entwickeln, sich in Pflichtbewusstsein zu üben waren immer schon und sind auch heute zentrale Aufgaben, die es zu erfüllen gilt, wollen wir weiter in einer liberalen Demokratie (über)leben. Wer oder was aber könnte das Entwickeln dieses Pflichtgefühls übernehmen, wenn dies im Elternhaus oder in der Schule nicht gelingt? 

Einen diesbezüglichen Vorschlag macht der Philosoph, Publizist und Autor, einer der profiliertesten Intellektuellen im deutschen Sprachraum, Richard David Precht (2011). Er meinte, so eine allgemeine Dienstpflicht, oder ‚Gesellschaftspflicht‘ böte die Chance, dass sich sowohl Männer als auch Frauen gleichberechtigt für die Gesellschaft einsetzen könnten. Ein soziales Pflichtjahr nach dem Schulabschluss findet ja schon allgemeine Anerkennung – hat sich auch als sozialer Zugewinn von unschätzbarem Wert erwiesen. Was aber neu und auf große Ablehnung gestoßen ist, ist sein Vorschlag eines zweiten Pflichtjahres, das sich auf die Gruppe der Rentner*innen und Pensionist*innen bezog. 

Aus meiner Sicht eine gute Idee, der ja viele ältere Menschen ohnedies nachkommen, aber eben freiwillig (siehe dazu z.B. die jährliche „Freiwilligen Messe“, demnächst bei uns im Wiener Rathaus). Die Einwände dagegen waren vielfältiger Art, unter anderem sorgte man sich um die dann ausfallenden Zuverdienstmöglichkeiten im Alter. Nun, an dieser Stelle oute ich mich als eine Verfechterin der Idee eines Bedingungslosen Grundeinkommens (von mindestens 1200 Euro) für jedermann und damit selbstverständlich auch für Rentner*innen.

Precht zählte Fallbeispiele auf, wie z.B. entsprechend ausgebildete Coaches, die in die Schulen geschickt werden, damit sie dort benachteiligten Kindern und Jugendlichen mit Rat und Tat unter die Arme greifen. Er meint, es wäre nicht nur eine große Chance für diese, sondern auch eine Entlastung der Sozialkassen. Demnach könnte in diesem sogenannten Plicht-Jahr auch in Sachen Friedens -, Toleranz-, Sinnstiftung usw. unterrichtet werden. Das wäre doch ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer neuen Bürgerkultur und – wie ich meine – einer neuen Friedenskultur.

Friedenskultur

Eine Kultur des Friedens, was braucht’s heute dringlicher? Wie sonst sollen Klimakrisen bewältigt, erbitterte Verteilungskämpfe um knapper werdende Ressourcen verhindert, die großen sozialen Ungerechtigkeiten überwunden werden?

Was die Weltgesellschaft jetzt braucht, ist ein friedliches Zusammenleben der Menschen, um die großen universellen Herausforderungen der Zukunft zu bewältigen. Darum geht es doch auf dem Raumschiff Erde. Dazu braucht’s aber Mut, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen (Immanuel Kant). Diesen Mut sehen viele jungen Leute nicht mehr in den Reihen ihrer Verantwortungsträger*innen, sie machen sich Sorgen und reagieren mehr oder weniger radikal („nicht normal“!?). Der moralische Imperativ des Verzichts, der schon aufgrund ökologischer Notwendigkeiten seit langem zum Teil eines politischen Leitbilds hätte werden können, hat in der Leitkultur der Verschwendung aber keine Chance. 

Als ich jung war, lebten wir aufgrund des weit geringeren Wohlstandsniveaus nicht nur nachhaltiger, es gab auch die Unmengen der kumulierten Emissionen, Müllmengen, Mikroplastikteilchen, ausgelaugten Landschaften und zerstörten Lebensräume nicht. All dies zu überwinden, den Prozess der Zerstörung aufzuhalten, um zivilisiert überleben zu können, kostet jetzt viel mehr. Wie soll der Klimawandel aber ‚entschärft‘ werden können, wenn es in den Redaktionen der führenden Tageszeitungen keinerlei Wahrnehmung für die Zusammenhänge zwischen Klimawandel und Krieg gibt? Wenn die Steigerung der Menge an Kriegsgerät nicht als Verschärfung der Klimakrise wahrgenommen wird? Wenn es klimapolitisch das Militär gar nicht gibt, obwohl es schon in Friedenszeiten ein gewaltiger Emittent ist.

Ich plädiere daher für einen „zivilen Friedensdienst“ in Österreich. Darunter wird die Entsendung von Friedensfachkräften verstanden, von Frauen und Männern, die für einen gewaltfreien Umgang mit Konflikten ausgebildet sind und die vorbereitet sind, diese Aufgabe auf Anfrage von und in Zusammenarbeit mit lokalen Partnerorganisationen in Konfliktgebieten für eine bestimmte Zeit auszuüben. Ziviler Friedensdienst wird von Zivilpersonen („Friedensfachkräften“) durchgeführt, von NGOs in breiter Partnerschaft organisiert und umgesetzt – er wird auch staatlich gefördert.

In Deutschland gibt es ihn schon länger und in Österreich wird an ihm seit 2020 gearbeitet, derzeit noch an operativ arbeitsfähigen zivilgesellschaftlichen Strukturen, damit nach dem Startsignal auch rasch gemeinsam losgelegt werden kann. Thomas Roithner ist neben Peter Hämmerle vom Internationalen Versöhnungsbund in Österreich Mit-Initiator der Kampagne „Entwicklung und Durchführung eines zivilen Friedensdienstes in Österreich”, er meint: „Gleichzeitig werben wir in der Öffentlichkeit für dieses eigenständige Instrument zur zivilen Gewaltprävention und Friedensförderung. Die Rückmeldungen sind unglaublich ermutigend!“  

Es wäre höchste Zeit, den zivilen Friedensdienst in Österreich bekannter zu machen, um ihn auch im Alltag der breiten Öffentlichkeit spürbar zu machen, damit eine ‚neue europäische Friedensarchitektur wirklich gelingen möge.


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Titelbild: Zaur Ibrahimov auf Unsplash

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