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Warum der Klimawandel unserem Wohlstand mehr schadet, als Ökonom:innen annehmen

Gängige Wirtschaftsmodelle unterschätzen die Folgen des Klimawandels. Sie ignorieren Kipppunkte, können Krisen nicht vorhersagen und schätzen den Wert einer unversehrten Natur zu niedrig ein.

Von Lukas Bayer (MOMENT)

William D. Nordhaus hat in den 1980er Jahren ein Modell entwickelt, um die Kosten des Klimawandels zu berechnen. Vergleicht man diese mit den Kosten für Klimaschutz und Anpassung, ergibt sich ein optimaler Temperaturanstieg – “optimal” aus wirtschaftlicher Sicht: 3,5 Grad Erderhitzung im Jahr 2100. 2018 wurde Nordhaus der Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften verliehen. 

Das “DICE”-Modell von Nordhaus wurde gefeiert und kritisiert zugleich. 2020 erschien eine aktualisierte Studie, an der Nordhaus nicht mehr beteiligt war. Das Ergebnis ist ein anderes: Eine Erderhitzung von 1,5 bis 1,7 Grad sei aus wirtschaftlicher Sicht optimal. Ups.

Das deckt sich mit den Grenzen der Erderhitzung, auf die sich 2015 im Pariser Abkommen fast alle Staaten der Welt geeinigt haben. Allerdings ist für unsere Gesellschaft nicht unbedingt optimal, was wirtschaftlich optimal ist. Denn gängige Wirtschaftsmodelle tun sich schwer mit dem Klimawandel, komplexen Systemen und dem Wert einer unversehrten Natur.

#1 Wirtschaftsmodelle ignorieren Kipppunkte im Klimasystem

Der Weltklimarat IPCC geht davon aus, dass die weltweite Wirtschaftsleistung (BIP) in einer 4 Grad heißeren Welt gegen Ende des Jahrhunderts um 10 bis 23 Prozent niedriger sein wird als in einer Welt ohne Erderhitzung. Dafür wurden zahlreiche Studien miteinander verglichen, die die Kosten des Klimawandels berechnen. Was in den IPCC-Berichten steht, gilt für viele Expert*innen als Goldstandard der Forschung.

Allerdings sind die verwendeten Studien teils fehlerhaft, wie zwei Berichte zeigen, die beide diesen Juli veröffentlicht wurden. Viele Wirtschaftsmodelle gehen nämlich von einem linearen Klimawandel ohne Kipppunkte aus. 4 Grad Erderhitzung sind doppelt so schlimm wie 2 Grad, so die Annahme. Das Klima verändert sich aber exponentiell und mit ihm die Schäden. Mit jedem Zehntelgrad mehr steigt des Risiko, dass Regenwälder, Permafrostböden und Eisschilde unumkehrbar kippen. Wie ein Kartenhaus, das in sich zusammenbricht, könnte dadurch unser Wohlstand stark einbrechen. 

Ein möglicher Grund: Viele Studien aus dem Wirtschaftsbereich, die sich auf die Klimakrise beziehen, werden ausschließlich von Wirtschaftsexpert*innen begutachtet – und nur selten auch von Klimaforschenden. Anders verlief eine Studie der Universität Graz, an der IPCC-Leitautorin Birgit Bednar-Friedl beteiligt war. Die Studie schätzt die Kosten des Nichthandelns gegen die Klimakrise für Österreich auf 15 bis 20 Milliarden Euro pro Jahr, Tendenz steigend. Das sei eine „untere Schätzung der zu erwartenden Schäden“, erklärt die Umweltökonomin gegenüber MOMENT.at. Denn wie sich Ökosysteme verändern, wenn das Klima kippt, sei schwer zu berechnen – und noch schwieriger sei es zu sagen, was das für die Wirtschaft bedeuten könnte. Nichts Gutes jedenfalls.

#2 Finanzkrise, Corona, Containerschiff: Kleine Zwischenfälle mit großen Folgen

Unsere Wirtschaft ist wie das Klima ein komplexes System. Wer an einem der Zahnräder dreht, verändert mehr als beabsichtigt In den letzten Jahrzehnten ist das weltweite Wirtschaftssystem immer effizienter und vernetzter geworden. Viele Güter sind jederzeit verfügbar, wir haben uns an diese ”Just-in-Time”-Wirtschaft gewöhnt. Das Problem: Effizienz geht zu Lasten der (Versorgungs-)Sicherheit. Güter werden kaum noch gelagert und fehlen, wenn etwa ein Schiff feststeckt. Das kann am anderen Ende der Welt sein und trotzdem bis nach Vorarlberg Folgen haben. Im März 2021 gab uns das Containerschiff “Ever Given” eine kleine Kostprobe davon, als es mehrere Tage lang im Suez-Kanal stecken blieb. Es “steckte quasi auch der Welthandel im Schlamm”, ist auf ORF.at zu lesen. Solche Zwischenfälle sind nicht vorhersehbar. Aber sie häufen sich und lösen eine Kettenreaktion an Problemen aus.

Auch die Finanzkrise 2008 oder die Corona-Pandemie konnten von Ökonom:innen nicht vorhergesagt werden, wie in den beiden zuvor zitierten Berichten kritisiert wird. Deshalb rät Bednar-Friedl: “Unternehmen sollten aus der Coronakrise lernen und auf Handelspartner aus möglichst unterschiedlichen Regionen setzen.” Die vielen Schocks der Klimakrise würde aber auch das wohl kaum merklich ausgleichen können.

#3 Eine intakte Natur ist mehr wert als ihr Marktpreis

Was ist eine unversehrte Natur überhaupt wert? Wenn Studien versuchen, das zu beantworten, kommt oft Überraschendes heraus: Ein lebender Wal beispielsweise wäre 100-mal so viel wert wie ein toter am Fischmarkt. Und ein Moor wäre viermal so viel wert wie der Mais, der stattdessen darauf angebaut wird. Am Markt zahlt man nur einen Bruchteil des wahren Werts. 

In Wirtschaftsmodellen wird aber meist mit Marktpreisen gerechnet und der Wohlstand eines Landes wird im Bruttoinlandsprodukt (BIP) angegeben. Es umfasst alle Güter und Dienstleistungen, die innerhalb eines Jahres in einem Land hergestellt und zu Marktpreisen gehandelt wurden. Das führt zu absurden Berechnungen: Ein Ölkonzern, der CO2 verursacht, trägt genauso zur Wirtschaftsleistung bei wie ein Unternehmen, das dieses CO2 wieder einfängt und speichert. Der lebende Wal dagegen? Nichts wert. Obwohl er so viel CO2 wie 1.500 Bäume binden. Krieg und Umweltkatastrophen steigern das BIP, sofern die Häuser, Straßen und Stromleitungen später wieder aufgebaut werden – Care-Arbeit tut das nicht, solange sie unbezahlt bleibt.

Robert Kennedy, der Bruder des früheren US-Präsidenten John F. Kennedy, sagte bereits vor 50 Jahren: “Das Bruttoinlandsprodukt misst alles, außer dem, was das Leben lebenswert macht.” Auch Umweltökonomin Bednar-Friedl sieht darin keinen geeigneten Indikator für ein gutes Leben. Es kann nicht messen, wie Wohlstand verteilt ist, unterschätzt die Schäden der Klimakrise und schätzt gering, was viel wertvoller wäre: eine intakte Natur und eine lebenswerte Zukunft.

Die Wirtschaft solle mehr auf Qualität statt Quantität ausgerichtet werden, auf Klimaschutz und Resilienz, empfiehlt die Expertin: „Es braucht weniger Produkte, die stattdessen länger genutzt werden. Und einen Staat, der die Strukturen dafür schafft.“

In der Reihe „Die Klima-Verkleber“ entkräftet Lukas Bayer die beliebtesten Ausreden, mit denen Klimaschutz verzögert wird.


Titelbild: NOAA auf Unsplash

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