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Kohei Saito im Interview: „Wir müssen das Smartphone nicht aufgeben. Es muss nicht alles verringert werden“

Das Klima steckt in der Krise, die Auswirkungen sind im aktuellen Sommer drastisch spürbar. Auf der Suche nach der Ursache der Klimakrise stoßen manche auf einen Zusammenhang mit dem Kapitalismus. Auch der japanische Philosoph Kohei Saito beschäftigt sich damit und teilt seine Gedanken im nun neu ins Deutsche übersetzte Buch „Systemsturz: Der Sieg der Natur über den Kapitalismus“. In Japan schaffte er es damit überraschend auf die Bestseller-Listen. Im Gespräch mit MOMENT.at spricht er über Kapitalismus, Klima und Kommunismus – und warum wir das Smartphone dafür nicht aufgeben müssen.

Interview: Benedikt Namdar (MOMENT)

MOMENT.at: Wenn wir gleich vom Kapitalismus sprechen, klären wir vorab eine grundlegende Frage: Was ist Kapitalismus überhaupt?

Kohei Saito: Eine einfache Definition ist: Kapitalismus ist ein System konstanten Wachstums, unendlicher Profitsteigerung. Es geht darum, Kapital durch Gewinn zu vermehren. 

Es geht nicht um Umweltschutz. Es geht nicht um das Wohlergehen von Menschen. Was auch immer Profit bringt, wird gemacht.

MOMENT.at: Sie sagen, der Kapitalismus und die Klimakrise hängen zusammen. Wie?

Saito: Die Natur hat Grenzen. Durch das ständige Wachstum verletzen Menschen im Kapitalismus genau diese Grenzen. Denn im Kapitalismus verbrauchen wir zu viele natürliche Ressourcen, emittieren zu viele Treibhausgase. Wenn das passiert, entstehen ökologische Krisen wie die Klimakrise.

Portrait von Kohei Saito
Star-Autor Kohei Saito hofft auf den DeGrowth-Kommunismus. Foto: Rosa-Luxemburg-Stiftung, CC BY 3.0, via Wikimedia Commons

MOMENT.at: Was wird passieren, wenn wir beim Kapitalismus bleiben?

Saito: Die Klimakrise wird drastischer werden. Es wird aufgrund von Naturkatastrophen zu Wassermangel und Mangel an Essen kommen. Viele Menschen, vor allem im globalen Süden, werden ihre Grundbedürfnisse nicht befriedigen können. Die wirtschaftliche Ungleichheit wird ebenso zunehmen. Es wird zu mehr Wettkampf kommen, weil Ressourcen knapper werden. Dadurch wird es zu geopolitischen Spannungen kommen, das wiederum führt zu Krieg.

MOMENT.at: Es wird oft von grünen Technologien geredet, mit denen der Kapitalismus das Klima retten kann. Das wäre doch eine Lösung?

Saito: Ich denke nicht, dass das funktioniert. Wir müssen Energieverbrauch und Produktion verringern, um die Klimakrise zu stoppen. Kapitalist:innen versuchen jedoch, zu wachsen und stets mehr zu verkaufen; zum Beispiel mehr Elektroautos im Falle grüner Technologie. Dafür werden, unter anderem für Batterien, Ressourcen gebraucht. Die stammen oft aus dem globalen Süden. Dafür werden Grenzen der Natur verletzt, wodurch es zu ökologischen Krisen kommt. Vielleicht nicht im globalen Norden, aber grün ist das dennoch nicht. 

MOMENT.at: Wenn nicht Kapitalismus, was dann?

Saito: Ich schlage einen „Degrowth-Kommunismus“ vor. Mit Sowjetunion und Stalin hat das übrigens nichts zu tun. Degrowth will unendliches Wachstum stoppen, daher kann es nicht im Kapitalismus stattfinden. Eine kommunistische Gesellschaft ist in meiner Auffassung eine, die auf Gemeingütern basiert, die wir miteinander teilen. Ich verbinde Degrowth mit Kommunismus, weil wir vermehrt teilen müssen, wenn wir nicht mehr unendlich wachsen und der Kuchen nicht größer wird. Ich schlage vor, dass Güter wie Internet, Mobilität, Wasser, Elektrizität und andere Gemeingüter werden. Wir sollten diese miteinander teilen und für alle garantieren. Dann hätten wir die Befriedigung von Grundbedürfnissen garantiert und müssten nicht so viel arbeiten, um Bedürfnisse zu befriedigen.

MOMENT.at: Kürzlich gab es ein großes Porträt in der New York Times über Sie. Dafür haben Sie sich beim Mitarbeiten auf einem Bauernhof ablichten lassen. Das Bild macht einen eher ärmlichen Eindruck. Viele würden so ein Leben wohl als Rückschritt betrachten. Ist das die Zukunft, die Sie sich für uns alle vorstellen?

Saito: Nein, das ist ein häufiges Missverständnis über Degrowth. Es geht bei Degrowth vorrangig darum, ständiger Vermehrung von Kapital ein Ende zu machen. Es muss nicht alles weniger werden. Wir sollten bessere Technologien haben, müssen Smartphones nicht aufgeben. Wir sollten Wachstum in gewissen Gebieten haben, aber verringern, was unnötig ist. Wir brauchen keine Ferraris, Privatjets, Kreuzfahrtschiffe oder Kurzstreckenflüge. Wenn wir auf solche Dinge verzichten, müssen wir auch nicht so viel arbeiten. So kann man mehr Zeit mit Aktivitäten verbringen, die einen glücklich machen.

MOMENT.at: Wie kann man einen Wandel zum Degrowth-Kommunismus schaffen?

Saito: Dazu schlage ich die schrittweise Einführung von politischen Maßnahmen vor: zum Beispiel könnten Kurzstreckenflüge und Privatjets verboten werden. Ich schlage auch ein Maximaleinkommen von einer Million Euro pro Jahr vor. Solche Politik kann das Verhalten und die Wünsche von Menschen beeinflussen. So hätten Menschen zum Beispiel dann keinen Anreiz mehr, reich zu werden, um einen Privatjet kaufen zu können. Sie müssten nicht so viel arbeiten, würden weniger Ressourcen verbrauchen. Ich argumentiere für revolutionäre Realpolitik, von der auch Rosa Luxemburg gesprochen hat. So könnten wir zu Degrowth-Kommunismus gelangen.

MOMENT.at: Das scheint ein radikales Unterfangen zu sein: Werden wir das rechtzeitig schaffen? 

Saito: Ich bin optimistisch. Es gibt, vor allem in Europa, Verlangen nach solchen Umstellungen. Ideen wie das durchgesetzte Verbot von Kurzstreckenflügen in Frankreich gehen in diese Richtung. In Wien habe ich Streetart mit den Worten “Fuck Cars” gesehen. Da wird eine Gesellschaft, die auf Autos basiert, kritisiert. Immer mehr Personen leben vegan. Das ist alles Degrowth. Ich denke, junge Menschen tendieren mehr und mehr dahin.

MOMENT.at: Sie sind momentan international auf Tour für Ihr Buch. Sie reisen viel und arbeiten sehr hart. Ist das mit Ihrer Weltsicht vereinbar?

Saito: Ich arbeite momentan sehr viel, reise, will mein Buch vermarkten. Das ist nicht besonders Degrowth. Aber wir sind momentan an einem Punkt, an dem wir den Kapitalismus schnell überwinden müssen. Um das zu schaffen, müssen wir gerade ironischerweise sehr viel arbeiten und investieren. Wenn wir das Ziel aber einmal erreicht haben, wird sich das ändern.


Titelbild: Kamiel ChoiPixabay

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