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Kolumbien: Kaffeeanbau und Mode für den Frieden

Nach offiziellen Schätzungen haben mehr als 13.000 ehemalige FARC-Kämpfer*innen die Waffen niedergelegt und führen heute ein ganz anderes Leben.

Text und Foto: Paulina Cwiartka (NPLA)

Die kolumbianische Regierung und die Guerillagruppe FARC haben 2016 den Friedensvertrag unterschrieben. Seitdem haben laut den offiziellen Zahlen der kolumbianischen Regierung mehr als 13.000 ehemalige Kämpfer*innen nicht nur die Waffen niedergelegt, sondern führen heute ein ganz anderes Leben (Quelle: reincorporacion.gov.co).

In der kolumbianischen Region Tolima im Zentrum Kolumbiens leiten einige der ehemaligen Mitglieder der FARC bemerkenswerte Projekte. Diese verfolgen nicht nur das Ziel, nachhaltige Produkte herzustellen, sondern tragen auch dazu bei, durch stabile Arbeitsverhältnisse den Frieden in der Region zu fördern.

Modelabel Avanza

Gonzalo Beltrán steht in dem Laden von Avanza in der Kleinstadt Icononzo, hinter ihm hängen T-Shirts der kleinen kolumbianischen Modemarke auf Kleiderbügeln. Er erzählt, dass er sich als gesetzlicher Vertreter der Marke Avanza im sogenannten Wiedereingliederungsprozess befindet: „Vor sechs Jahren haben wir mit 22 Personen beschlossen, das Textilprojekt Avanza als Wiedereingliederungsprojekt in unserem Gebiet zu gründen. Wir haben uns ziemlich große Ziele für dieses Projekt gesetzt.  Am Anfang war es kompliziert, da wir nicht das nötige Wissen und die Werkzeuge hatten. Ich glaube aber, dass die Menschen, die hinter Avanza stehen, unser größtes Potenzial sind“. Die ehemaligen FARC-Mitglieder, die heute Kleidung produzieren und sich für Frieden einsetzen, sind Bewohner*innen einer Wiedereingliederungszone in der Nähe von Icononzo. Es ist der Ort, an dem 2017 unter der Beobachtung der Vereinten Nationen die FARC-Kämpfer*innen ihre Waffen abgegeben haben. Aktuell wird die Zone von mehr als 300 Menschen bewohnt. Der Zugang zu diesem Ort ist aufgrund der schlechten Infrastruktur alles andere als leicht. Wenn es zum Beispiel um medizinische Versorgung geht, sind die Bewohner*innen auf Hilfe von außen angewiesen. Es kommt regelmäßig ein medizinischer Dienst, um die Grundversorgung abzudecken und auch die vielen kleinen Kinder, die dort aufwachsen, zu impfen. Außerdem stellt die Logistik die Mitglieder von Avanza immer wieder  vor neue Herausforderungen. Die nötigen Stoffe, Maschinen oder andere Utensilien zwischen dem ETCR und Icononzo zu transportieren ist ohne Unterstützung der vor Ort agierenden Organisationen oft nicht möglich.

Unterstützung durch den Staat unzureichend

Der kolumbianische Staat bietet seit der Unterzeichnung des Friedensabkommens diversen unternehmerischen Projekten finanzielle Unterstützung und stellt ihnen nach einer erfolgreichen Begutachtung ein Startkapital zur Verfügung. So sollen langfristig FARC-Kämpfer*innen in die Gesellschaft integriert und der Frieden gesichert werden. Auch soll dadurch eine konstante Einkommensquelle für die Projektmitglieder geschaffen werden. Außer der finanziellen Hilfe garantiert der Staat auch professionelle Unterstützung von Spezialist*innen, im Fall von Avanza sind das Menschen, die Beratungen zur Textilverarbeitung und Marketing durchführen. Die Umsetzung sei nicht immer leicht, berichtet Gonzalo: „Nun, für diesen Wiedereingliederungsprozess wurden einige Ämter und Agenturen ernannt, wie das ARN und das UNDP. Ihre Begleitung hat jedoch nicht zu 100 Prozent den Erwartungen entsprochen. Es war schwierig, weil die jeweiligen Berater und Techniker nur für einen bestimmten Zeitraum eingesetzt wurden. Meistens bekamen sie Einjahresverträge. Sie geben ihr Bestes, aber in Wirklichkeit ist ein Jahr eine sehr kurze Zeitspanne, so dass die Projekte oft nur halbfertig sind“.

Das ARN steht für Agentur für Wiedereingliederung und Normalisierung, und das UNDP ist das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen. Beide Träger sind seit der Entwaffnung in Icononzo aktiv, und mit verschiedenen Maßnahmen unterstützen sie den Wiedereingliederungsprozess. Die Hilfe bei der Gründung und Führung der Projekte ist lediglich ein Teil davon. Sie sind oft die ersten Ansprechpartner*innen bei allen Schwierigkeiten, die im Alltag der Ex-Guerrilleros auftauchen.

Das Modelabel Avanza hat sich trotz schwieriger Anfänge zu einer erfolgreichen Marke für nachhaltige Mode in Kolumbien entwickelt. Es stellt damit auch eine Alternative zur konventionellen Fast-Fashion-Industrie dar, wie Gonzalo erklärt: „Das aktuelle Ziel von Avanza ist es, den Verkauf zu steigern, die Produktion zu erhöhen und menschenwürdige, sichere Arbeitsplätze mit einem ausreichenden Einkommen zu schaffen. (…) Unser Traum ist es, andere Teile des Landes zu erreichen, damit noch mehr Leute Avanza kennenlernen. Und es geht darum, mit unserer Entstehungsgeschichte und dem, wer wir sind, zu zeigen, dass es möglich ist, Frieden zu schaffen“.

Gründung von Café Esperanza y Paz

Ein ähnliches Projekt ist Café Esperanza y Paz, das genauso wie Avanza in Icononzo gegründet wurde. Auch diese Initiative wurde von ehemaligen FARC-Kämpfer*innen ins Leben gerufen. Unter dem Motto „Hoffnung und Frieden“ bauen sie qualitativ hochwertigen Kaffee an, berichtet Alfredo Lombana, der vom Anfang an Teil des Projektes war: „Wir waren 19 Gründungsmitglieder, heute sind wir bereits 36. Wir hatten erst die Idee einer Fischzucht, aber das ging nicht, weil man dafür viele Genehmigungen einholen muss. So kamen wir auf die Idee, dass wir als gute Landwirte, die wir sind, mit Kaffee arbeiten sollten. Also beschlossen wir, drei produktive Einheiten zu bepflanzen, mit einem Durchschnitt von ca. 75.000 Kaffeebäumen“.

Zusammenarbeit für den Frieden

Das Besondere an Café Esperanza y Paz ist, dass an dem Kaffeeanbau und dem Produktionsprozess nicht nur die ehemaligen Guerillamitglieder, sondern auch Opfer des bewaffneten Konflikts aus der Gegend beteiligt sind. Die Vereinigung sei offen für alle, sagte uns Alfredo, einer der Gründungsmitglieder: „Mit den Opfern des Konfliktes zusammenzuarbeiten ist für uns eine Ehre. Bei uns gibt es sowohl Opfer der Guerilla, des Staats selbst, als auch Opfer der paramilitärischen Gruppen. Wir freuen uns sehr darüber, und ich denke, hier zeigt sich, dass wir wirklich Frieden schaffen und auf Frieden in unserem Land setzen“.

Die Mitglieder von Esperanza & Paz leben in Unterschied zu den Mitgliedern der Bekleidungsmarke außerhalb des ETCR. Auch sie werden vom Staat unterstützt, jedoch sind sie öfter auf sich allein gestellt. Auch hier spielt die schlechte Infrastruktur eine große Rolle und erschwert die tägliche Logistik. Meistens müssen die Kaffeesäcke auf Motorrädern von den Plantagen und dem Verarbeitungsstandort bis nach Icononzo transportiert werden.

Herausforderungen

Alfredo erklärt auch, dass die Unterstützung vom Staat nicht immer ganz einfach umzusetzen ist.  Einrichtungen wie das UNDP und ARN leisteten zwar bereits viel, aber die Ressourcen seien auch immer begrenzt. Projekte vollständig umzusetzen sei daher noch immer schwer. Wir fragten, woran die Vereinigung aktuell arbeitet: „Unsere aktuelle Herausforderung besteht darin, eine Verarbeitungsanlage zu haben. Ich meine, wir haben bereits die Maschinen; jedoch fehlt uns immer noch eine Konstruktion, um die Verarbeitungsanlage komplett aufzubauen. Nur so können wir den ganzen Kaffee verarbeiten, den wir produzieren. Außerdem brauchen wir Hilfe bei der Kommerzialisierung. Das ist das Wichtigste, denn ohne sie läuft gar nichts. Ich denke, dass wir in den nächsten Jahren einfach noch ehrgeiziger sein müssen“.

„Friedensprodukte“

Fest steht: In Kolumbien entschließen sich heute immer mehr Ex-Kombattant*innen dazu, unternehmerische Ideen umzusetzen und ihre Fähigkeiten und Erfahrungen im Kampf in den Dienst der Gemeinschaft zu stellen. Manche der Unternehmen im Wiedereingliederungsverfahren werden zum Beispiel nur von Frauen gegründet. Sie stehen nicht nur für Frieden, sondern auch für Women Empowerment. In der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá gibt es somit heute Läden, in denen man zahlreiche sogenannte „Friedensprodukte“ wie Kaffee, Bekleidung, Schokolade oder Kosmetik kaufen und dadurch direkt die Initiativen unterstützen kann.

Um mehr über die Kaffeemarke Esperanza y Paz zu erfahren, empfiehlt es sich, einen Blick auf ihr Instagram-Profil unter cafe_epz.col zu werfen. Für die aktuellen Bestseller der Marke Avanza lohnt es sich, das Profil unter avanza.col zu besuchen.

Hier findet ihr einen spannenden Audiobeitrag über diese Projekte bei Radio onda.


Dieser Beitrag erschien am 11.06.2022 auf npla.de, lizensiert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.

Titelbild: Alfredo Lombana, Geschäftsführer der Kaffeemarke Esperanza & Paz in Balcones, Icononzo. Foto: Paulina Cwiartka

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