Auf dem rechten Auge blind?
Vieles deutet darauf hin, dass der Rechtsradikale, der einen Anschlag auf das Volksstimmefest 2021 geplant hatte, kein Alleingänger war.
Von Josef Stingl
Ein Rechtsradikaler hat eine Feindesliste geführt und einen Anschlag auf das Volksstimmefest 2021 der KPÖ geplant. Das geht aus dem jüngst veröffentlichten Verfassungsschutzbericht hervor. Weder die Betroffenen der Feindesliste noch die Veranstalter wurden von der bevorstehenden Gefahr gewarnt. Laut Innenministerium und Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) wurde darauf “verzichtet”, weil es sich um einen Alleingänger handelte und daher nach seiner Inhaftierung keine Gefahr mehr gegeben war.
Ist die Alleingänger-Rechtfertigung richtig oder nur eine nachträgliche Schutzbehauptung? Interessant dazu ist ein aktueller Blog-Beitrag des zivilgesellschaftlichen Recherchenetzwerk zu Rechtsextremismus und Neonazismus in Österreich Rechtsaußen Österreich (oera). Es nimmt Bezug auf Der neue Mahnruf des KZ-Verbandes/VdA. Demnach war der angebliche Anschlagsplaner und rechtsradikale Rudolf P. alles andere als allein. Seine Bekanntschaften lesen sich wie ein Who-is-Who des deutschsprachigen Nazitums und Rechtsextremismus:
“Er taucht als Kassier bei der neonazistischen „Nationalen Volkspartei“ (NVP) auf und hatte Kontakt zum oberösterreichischen Neonazi und NVP-Vorstandsmitglied Stefan Schmalnauer (…) darüber hinaus intensiveren Kontakt zum langjährigen NVP- und JNVP-Aktivisten Mario Aulabauer, der erst November 2020 erneut zu einer vierjährigen Haftstrafe wegen Wiederbetätigung verurteilt worden ist (…) Das Social Web von P. zeigt, dass er auch rechtsextreme, verhetzende Propaganda oftmals und intensiv nutzte (…) Es finden sich Interaktion mit dem ebenso im NVP-Vorstand aktiven Wolfgang B., der schon 1968 an der „4. Phase“ des sogenannten „Südtirol-Terrorismus“ beteiligt war (…)
“Auch die Zeit, die der Angeklagte in Ungarn verbracht hat, ist von besonderer Bedeutung. Der Zeitraum, den P. für den Aufenthalt preisgab, belief sich auf 2017 bis 2019. 2017 war auch der greise Neonazi Gerd Honsik nach Sopron gezogen, Horst Mahler taucht dort etwa zur gleichen Zeit auf (…) Wieder in Österreich knüpfte er Kontakte zur Identitären Bewegung, vor allem zum steirischen Projekt „Kulturfestung“. Obmann des „Kulturvereins Kreidfeuer“, der die „Kulturfestung“ legalistisch betreibt, ist der langjährige IB-Aktivist Erik Freischütz (…) Aber auch mit Harald Peter Wiedner, ebenso ein langjähriger Kader der IB Steiermark (und gleichermaßen in der „Kulturfestung“ aktiv).“
Gegen die Alleintäter-Annahme sprechen aber auch zahlreiche Funde der Hausdurchsuchung. Gefunden wurden neben gerahmten Porträts der Rechtsterrorist*innen Franz Fuchs, Beate Zschäpe und Anders Breivik, zahllose NS-Devotionalien, Waffen und Materialien zum Rohrbomben-Bau und eine Art Handbuch “Für den rechten Aktivisten”. Darin fanden sich Anleitungen zu Terrorakten und Anschlägen, Vorsichtsmaßnahmen gegenüber staatlicher Überwachung, Anleitungen zur sauberen Durchführung von Bombendrohungen, zur Rohrbomben- und Handgranatenherstellung, Herstellung von Zündern und Sprengstoff, Erzeugung simpler biologischer Kampfstoffe, Manipulation von Alltagsgegenständen, um Personen zu schaden oder zu ermorden.
Laut oera-Bericht kam das Landesamt Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (LVT) bei den Ermittlungen zum Schluss, dass der dringende Verdacht bestehe, dass es sich hierbei um ein ideologisches Analogon zur „Bajuwarischen Befreiungsarmee“ (BBA), also einen Überbau für neonazistischen Terror handelt.
Beim Prozess im Landesgericht Eisenstadt im März 2022 wurde die Behauptung, P. habe einen konkreten Anschlag in Wien geplant, zurückgewiesen und als falsche Effekthascherei kritisiert. Die Alleintäter-Erzählung und die sogenannte falsche Effekthascherei – das wissen wir heute – waren eine gefährliche Falsch-Enten-Story der Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienstes, des österreichischen Innenministeriums, der österreichischen Gerichtsbarkeit.
Übrigens: Der zuständige Innenminister zur Zeit der Festnahme im Juli 2021 und dieser brandgefährlichen Informations-Versäumnis an die Volksstimmefest-Veranstalter*innen und die Betroffenen der Feindesliste war kein anderer als unser jetziger Bundeskanzler Karl Nehammer.
Titelbild: Tom Def auf Unsplash
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