Wasserknappheit in Österreich: Streiten wir uns bald ums Wasser?
Im Osten Österreichs sind die Grundwasserstände so niedrig wie selten zuvor. Bund und Länder arbeiten an einem Notfallplan für Wasserknappheit. Es geht nicht mehr nur um Wasser für Pool und Garten, sondern um grundlegende Fragen: Wer darf wie viel Wasser entnehmen? Wer wird im Notfall eingeschränkt? Und müssen wir um unser Trinkwasser bangen?
Von Lukas Bayer (MOMENT)
Der Achtersee, der einzige öffentliche Badesee Wiener Neustadts, ist kaum mehr. Nur mehr eine Lacke ist übrig, wo früher das Wasser zehn Meter tief stand; sein Spitzname “Achterlacke” ist nun treffend. Die Badesaison wird heuer wohl ins Trockene fallen. Ähnlich geht es auch dem nahe gelegenen Anemonensee sowie dem Föhrensee. Der Wasserstand hängt vom Grundwasser ab. Dieses ist in Wiener Neustadt auf “extrem niedrigem Niveau”, wie auch an den meisten Messstationen in Niederösterreich, Wien und Burgenland.
Österreichs Trinkwasserversorger sprechen bereits von einer “beunruhigenden Situation”, das Landwirtschaftsministerium arbeitet an einem Notfallplan. Langsam wird klar: Wir müssen uns vom Traum des ewigen Wassers verabschieden. Es fehlt immer öfter. Und wir merken auch: Wir wissen gar nicht so genau, wer wie viel Wasser entnimmt, und noch weniger, wer im Notfall eingeschränkt werden würde.
Der Grundbedarf im Haus – also jene 130 Liter pro Tag für Waschmaschine, Geschirrspüler, WC, Dusche und Küche – sind gesichert. “Wiener Neustadt liegt mitten in der Mitterndorfer Senke, dem größten Grundwasserkörper in Mitteleuropa. Wir haben genug Wasser für den Sommer. Derzeit sind keine Einschränkungen geplant”, erklärt ÖVP-Gemeinderat Franz Dinhobl. Er ist auch Landtagsabgeordneter in Niederösterreich und Geschäftsführer der EVN Wasser. Diese versorgt über 600.000 Menschen mit Trinkwasser. Die Brunnen in der Mitterndorfer Senke reichen bis zu 80 Meter tief, sagt Dinhobl. Trotz historischer Tiefststände seien da immer noch zehn bis 30 Meter Wasser darunter.
Wasserknappheit durch Tiefststände
Die Tiefststände kommen nicht von ungefähr. Österreich erhitzt sich wegen seiner kontinentalen Lage in der Klimakrise doppelt so stark wie der weltweite Durchschnitt: um bereits mehr als zwei Grad. Bis 2050 könnten die Grundwasserreserven deshalb um rund 20 Prozent zurückgehen, zeigt die Studie “Wasserschatz Österreich” im Auftrag des Landwirtschaftsministeriums. Für Niederösterreich ist einer weiteren Studie nach mit bis zu zehn Prozent weniger zu rechnen. Wie sich das auf die heimische Wasserversorgung auswirkt, dazu forscht Roman Neunteufel an der BOKU Wien. Der Trend ist eindeutig: “Trockenperioden oder Trockenjahre werden immer wahrscheinlicher”, sagt Neunteufel.
Aktuelle Grundwasserstände findest du hier. (Reiter „aktuelle Daten“)
“So niedrige Grundwasserstände hat es noch nie gegeben”
Seit 2015 hat es in Wiener Neustadt stark unterdurchschnittlich geregnet. Hinzu kommt der trockene, schneearme Winter. “So niedrige Grundwasserstände hat es noch nie gegeben”, sagt Neunteufel. Deshalb könnte heuer die Bewässerung von Pool und Garten und das Autowaschen stärker als bisher eingeschränkt werden, vermutet er. Das Grundwasser sei in manchen Regionen bereits zu rund 70 Prozent ausgenutzt. “Es müssen schon mehrere feuchte Jahre kommen, damit sich das wieder glättet”, erklärt der BOKU-Forscher.
Im Wald- und Weinviertel war es dagegen immer schon trocken. Deshalb wurde 1962 die EVN Wasser vom Land Niederösterreich gegründet, um Wasser in diese Mangelgebiete zu leiten. Deren Geschäftsführer Franz Dinhobl erzählt von 1.600 Kilometer langen Leitungen durch ganz Niederösterreich. Bis 2030 will sein Unternehmen 150 Millionen Euro in die Trinkwasserversorgung investieren. Diese habe “oberste Priorität”, sagt Dinhobl genau wie alle anderen, mit denen wir gesprochen haben. Doch bei der Prioritätensetzung zwickt es.
Wer bekommt bei Konflikt das Wasser?
Im aktuellen Regierungsprogramm von Türkis-Grün ist eine “gesetzliche Vorrangstellung der Trinkwasserversorgung bei Nutzungskonflikten” vorgesehen. Mit solchen Konflikten ist laut der zitierten Wasserschatz-Studie in den kommenden Jahrzehnten zu rechnen, sollte die Politik nicht gegensteuern. Derzeit sei im Wasserrechtsgesetz “nicht explizit geregelt”, wie dann mit bestehenden Wasserrechten umgegangen wird, erklärt BOKU-Forscher Roman Neunteufel. Bei neuen Bewilligungen wäre zwar grundsätzlich die Trinkwasserversorgung gegenüber der Landwirtschaft und Industrie zu bevorzugen, bestehende Rechte könne man aber nicht so einfach entziehen. Allerdings könne der Staat mit Verordnungen eingreifen.
“Wichtig wäre die Datenerhebung zu tatsächlich entnommenen Wassermengen besser gesetzlich zu regeln”, betont Neunteufel. Die Behörden legen zwar fest, wie viel maximal entnommen werden darf, aber man wisse nicht, wie viel der vereinbarten Menge wirklich entnommen wird. Es gibt keine zentrale Behörde, die das erhebt. “Jeder Wassernutzer ab einer bestimmten Größe sollte einmal jährlich seinen Wasserverbrauch angeben müssen”, sagt Neunteufel.
Denn sie wissen nicht, was sie tun
Auch Manfred Eisenhut von der österreichischen Vereinigung für das Gas- und Wasserfach (ÖVGW) ist mit den aktuellen Regelungen “noch nicht ganz zufrieden”. Er leitet den Bereich Wasser, vertritt also die österreichischen Trinkwasserversorger. Mit den Instrumenten im Wasserrechtsgesetz habe man noch keine Erfahrung. Deshalb müsse noch einiges ausdiskutiert werden – etwa im Rahmen des “Vorsorge- und Notfallplan Wasser”, der bis zum Sommer im Landwirtschaftsministerium erstellt wird. Positiv sei aber, sagt Eisenhut, dass nun über das Grundwasser mehr geredet wird.
Etwa darüber, wer wie viel benötigt und tatsächlich verbraucht: 60 Prozent des Grundwassers wird von den Trinkwasserversorgern selbst entnommen. Sie sind verpflichtet zu messen, wie viel sie entnehmen, erklärt Eisenhut. Die Industrie nutzt 25 Prozent des Grundwassers. Aus deren Produktionsdaten lässt sich ablesen, wie viel sie beziehen. Die meisten hätten einen Wasserzähler, sagt Eisenhut. Dieser kostet rund 20 Euro. Bei den meisten Brunnen in der Landwirtschaft werde aber nicht gemessen.
Für die Bewässerung der Felder werden österreichweit zwar nur fünf Prozent des Grundwassers verbraucht, in einigen Regionen in Niederösterreich, Wien und Burgenland ist die Landwirtschaft aber der größte Verbraucher. Deshalb müsse man nachbessern. Es brauche mehr Daten und bessere Prognosemodelle, sagt Eisenhut: “Sonst können wir kein ordentliches Wassermanagement machen.” Denn wenn man nicht weiß, wie viel entnommen wird, könne man auch nicht entscheiden, wie stark ein Verbraucher eingeschränkt werden muss.
Der Sommer wird zeigen, wo wir stehen
Aus dem Landwirtschaftsministerium heißt es, dass ein optimiertes Monitoring ein “wichtiger Teil” des neuen Notfallplans sein werde. Man wolle künftig noch besser abschätzen können, in welchen Regionen Trockenheit zu Wassermangel führen kann. Ob größere Wasserentnehmer aus Industrie und Landwirtschaft zukünftig angeben müssen, wie viel sie jährlich entnehmen, wurde nicht beantwortet. Auch zu möglichen Nutzungskonflikten, vor denen die vom Ministerium beauftragte Wasserschatz-Studie warnt, fiel die Antwort vage aus: “Österreich verfügt glücklicherweise generell über ausreichend Wasserressourcen, sodass mit entsprechender Planung zukünftig Nutzungskonflikte vermieden werden können.”
Wie diese Planung aussehen könnte, bleibt unbeantwortet. Möglicherweise wird der “Vorsorge- und Notfallplan Wasser” Antworten geben. Auch Manfred Eisenhut, der für die Trinkwasserversorger am Plan beteiligt ist, kann nichts Konkretes sagen. Man werde aber keinen österreichweit gültigen Plan einfach aus der Schublade zaubern können, erklärt er. Die Situation sei von Ort zu Ort unterschiedlich. “Da ist sehr viel Sachverstand und Augenmaß nötig”, so Eisenhut. Franz Dinhobl von EVN Wasser erklärt, dass so ein Notfallplan immer eine Prioritätenreihung brauche – je nach Wasservorkommen und Bedarf. “Trinkwasserversorgung muss als höchste Priorität gesehen werden”, betont Dinhobl.
Nicht den Fehler wie beim Erdgas wiederholen
Die nächsten Monate werden zeigen, ob es Österreich schafft, mit Wasser besser umzugehen als mit Erdgas, bei dem man sich von Russland abhängig gemacht hat. Auch hier gab es entsprechende Gesetze bei denen die praktischen Erfahrungen in der Anwendung fehlten.
Österreich bekam im Jänner rund 80 Prozent seines Erdgases aus Russland – ähnlich viel wie vor dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine -, und fährt weiterhin einen unklaren Kurs. Beim Wasser braucht es nun Klarheit, denn neue Infrastruktur kann nicht von heute auf morgen gebaut werden. “Man muss jetzt schon wissen, was in 30 bis 40 Jahren passieren wird, damit ich bei einer Bauzeit von bis zu zehn Jahren die Infrastruktur sinnvoll nutzen kann und nicht sofort wieder nachjustieren muss”, erklärt BOKU-Experte Roman Neunteufel. Der Sommer 2023 wird hierfür richtungsweisend sein.
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