Brasilien: Anteil Indigener an Gesamtbevölkerung wächst deutlich
Als Ursache sehen Forschende eine zunehmende Selbstanerkennung indigener Menschen. Dies könnte sich positiv auf die Politik auswirken.
Von Murilo Pajolla (Brasil de Fato /NPLA)
Im aktuellen brasilianischen Zensus haben sich mehr als 1,65 Millionen Menschen der Gruppe der Indigenen zugeordnet. Das sind fast doppelt so viele wie in der letzten Umfrage vom Jahr 2010, als es 896.000 Menschen waren. Die Zahl wurde am 3. April vom brasilianischen Institut für Geografie und Statistik (Instituto Brasileiro de Geografia y Estatistica, IBGE) veröffentlicht mit dem Hinweis, dass sie vorläufig ist und noch steigen könnte.
Grundlage für die aktuelle Zahl war u. a. die Erhebung von Daten im Territorium der Yanomami. Die Bevölkerung dort ist einer humanitären Krise ausgesetzt, verursacht durch den illegalen Bergbau in der Region. Die Mitarbeiter*innen des Instituts berichteten von Schwierigkeiten, im Yanomami-Territorium an einige abgelegene Orte zu gelangen, an denen immer noch Minenarbeiter präsent sind, obwohl die Regierung mittlerweile mit Polizei und Militär gegen sie vorgeht.
Der Einfluss der indigenen Selbstanerkennung auf die Politik
Leonardo Barros, Professor an der Bundesuniversität von Pará (Universidade Federal do Pará, UFPA) und Forscher für indigene Politik in Brasilien, sagt, dass bereits ein erhebliches Wachstum der indigenen Bevölkerung erwartet worden sei. Eine der Erklärungen ist seiner Ansicht nach die durchschnittliche Geburtenrate in indigenen Gemeinschaften, die höher ist als bei den nichtindigenen Bevölkerungsgruppen.
„Der zweite Faktor ist ein intensiver Prozess der Selbstanerkennung indigener Menschen, der in den letzten 20 Jahren zugenommen hat infolge der Ausweitung der Möglichkeiten zur politischen Teilhabe dieser Gruppen sowie ihrer tatsächlichen politischen Aktivität. Dadurch haben sie angefangen, sich selbst Indigene zu nennen, hauptsächlich im Nordosten aber auch in anderen indigenen Regionen, die sich selbst vorher nicht als solche identifiziert hatten“, erklärt Barros. D, dass die neuen Daten Grundlage sein können für eine Politik, die sich auch an dieser Bevölkerungsgruppe orientiert.
In diesem Jahr schuf die Regierung von Präsident Luiz Inácio Lula da Silva das erste Ministerium für indigene Gruppen. Geleitet wird es von Vertreter*innen, die von indigenen Organisationen als legitim anerkannt wurden. „Ich glaube, dass neben der bisherigen Politik der Festlegung indigener Territorien die Notwendigkeit zu einer soliden Bildungs- und Gesundheitspolitik sowie einer grundlegenden sanitären Versorgung sehr deutlich werden wird. Aus diesen Zahlen können sich weitere Erkenntnisse entwickeln, wie zum Beispiel ein besseres Verständnis derjenigen indigenen Bevölkerung, die in urbanen Räumen lebt“, sagt der UFPA-Professor.
Ein erster Anstieg im Jahr 2000 überraschte das IBGE
Der Zensus erfasst seit 1991 Daten auf der Grundlage von ethnischen Selbstbeschreibungen. Im Jahr 2000 übertraf die Zahl der Menschen, die sich als indigen identifizieren, die Erwartungen des IBGE: Innerhalb von neun Jahren stieg die Zahl von 294.000 auf 734.000. Daraus folgerte das Institut, dass der erhebliche Anstieg nicht nur mit höheren Geburtenraten zusammenhing, sondern auch mit einem möglichen Anstieg der Selbstanerkennung dieser Bevölkerungsgruppen, vor allem in städtischen Gebieten Brasiliens.
Denn die spezifischen Fragen, die sich auf die ethnische Zugehörigkeit oder die Sprache beziehen, wurden erstmals im Rahmen des Zensus 2010 gestellt. Im selben Jahr enthielt die Erhebung erstmalig auch Fragen darüber, ob sich der Wohnort innerhalb oder außerhalb der von der Bundesregierung anerkannten indigenen Gebiete befindet.
Dieser Beitrag erschien am 10.04.2022 auf npla.de, lizensiert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international. Originalartikel: Brasil de Fato
Titelbild: Bruno Kelly/Amazônia Real (Fotos Públicas)