Chile: Ökonomische Fehlentscheidungen verantwortlich für Großbrände
Die Misswirtschaft im Forst und der Anbau schädlicher Baumarten für den industriellen Gebrauch sind die Hauptgründe für Waldbrände in Chile.
Von open democracy / NPLA
Wieder steht das Land in Flammen, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Ein Bericht von Chiles Innenministerin Carolina Tohá über die aktuellen Waldbrände zeigt, dass die Katastrophe sich weiter fortsetzt. Bis zum 22. Februar wurden bereits 266 aktive Brände gezählt. Der mittlere Süden Chiles brennt seit zwei Wochen. Über 2.000 Häuser wurden zerstört. Das Nationale Forstinstitut, das die Ausbreitung von Waldbränden überwacht, meldet dazu: 25 Prozent der Feuer wurden absichtlich gelegt. Über 7.000 Personen haben durch die Großbrände Schaden genommen, 25 Menschen starben. Der chilenische Präsident Gabriel Boric hat unterdessen eine schnelle Errichtung von Notunterkünften vor dem Wintereinbruch in wenigen Wochen angeordnet. Gleichzeitig hat der chilenische Katastrophenschutz die Evakuierung von vier Gebieten der Provinz Concepción in der Mitte des Landes angeregt, die aufgrund der Entwicklungen verschiedener Feuer gefährdet sind.
„Mitschuld der Wildtiere“
Doch die Situation ist komplex, weil die Ursachen für die Brände vielfältig sind. Die seit mehr als zehn Jahren anhaltende Dürre, die hohen Temperaturen, starker Wind, die immer geringere Distanz zwischen Siedlungen und Wäldern sowie vorsätzlich gelegte Brände bilden eine breite Ursachenpalette, die seitens der Politik schon zu abseitigen Positionen geführt hat. So sieht Carlos Montes, Minister für Wohnen und Stadtbau, eine Mitschuld für die Waldbrandkatastrophe bei den Wildtieren. „Brennende Kaninchen schleppen das Feuer dann in Gebiete, die zuvor noch nicht in Flammen standen”, so Montes. Im Zuge der hitzig geführten Debatte meldete sich Rodrigo Santander, Biologe für die Bewirtschaftung natürlicher Ressourcen, zu Wort und erklärte, für diese Theorie gebe es keine Belege. Ein brennendes Kaninchen sei gar nicht in der Lage, weiter als 50 Meter zu laufen und könne somit nicht für die Verbreitung eines Feuers verantwortlich sein. Der Wind sei hingegen ein viel entscheidenderer Faktor, so Santander gegenüber der chilenischen Zeitung La Tercera. Die Vereinten Nationen betrachten die globale Erderwärmung als schwerwiegendsten Faktor. In einem Bericht ihres Umweltprogramms heißt es, der Klimawandel sei für die anhaltende Dürre und die Häufung der Waldbrände verantwortlich.
Hauptursache: Misswirtschaft im Forst
Mehrere Expert*innen sehen jedoch in der Misswirtschaft im Forst die Hauptursache der Brandkatastrophen. Miguel Castillo, Brandexperte an der Abteilung für Forstwirtschaft und Umwelt an der Wissenschaftlichen Fakultät der Universität Chile, erklärte, im mittleren Chile seien heimische Baumarten abgeholzt und in den letzten fünf Jahren vor allem mit invasiven Spezies wie Kiefern und Eukalyptus ersetzt worden, und das erhöhe das Waldbrandrisiko erheblich. Inzwischen verfügt das Land über drei Millionen Hektar an Kiefern und Eukalyptus, die zur Wiederaufforstung in den Regionen Maule, Ñuble, Biobío und Araucanía angepflanzt wurden. Ungewöhnlich ist das nicht: Kiefern und Eukalyptus sind zwei der meistgenutzten Baumarten in der Wiederaufforstung Lateinamerikas. Beide sind jedoch keine einheimischen Gewächse, dazu verbrauchen sie viel Wasser, und außerdem warnen Expert*innen und Umweltschützende immer wieder vor Monokulturen. Diese verhindern, dass sich der natürliche Wald und vor allem der Boden erholen kann. Der kolumbianische Umweltingenieur Óscar Castillo erklärt die deutlichen Auswirkungen auf heimische Bäume der Zone folgendermaßen: Um zu überleben, absorbieren Kiefern und Eukalyptusbäume viel Wasser aus unterirdischen Speichern, von nahe gelegenen Quellen oder Bächen und verbrauchen so die Wasservorräte angrenzender Siedlungen. „Auch die wenigen Nacederos (Tropenbäume), die es noch gibt, haben keine Überlebenschance.“ Die einheimische Tierwelt leidet ebenfalls unter dem Wasserverbrauch: Vögel und andere Tiere kommen nicht mehr in die künstlich aufgeforsteten Regionen, weil ihnen die Nahrung dort fehlt. Denn: Das größte Problem dieser beiden Pflanzen besteht darin, dass es allelopathische Bäume sind: Um sie herum kann nichts wachsen, weil durch das herabfallende Laub der Boden versauert. Mittelfristig bildet sich eine Art Wüste, und die Region wird noch trockener. Groß angelegte Wiederaufforstungsprojekte in ganz Chile mit Kiefern und Eukalyptus haben also letzten Endes eine Umgebung geschaffen, die viel anfälliger für Waldbrände ist.
Die Waldbrandprophylaxe muss noch breiter angelegt werden
Präsident Boric hat zwar schnell gehandelt, um den Opfern zu helfen. Seine Regierung muss aber einen Schritt weiter gehen, um die aktuellen Waldbrände zu stoppen und um zu verhindern, dass neue entstehen. Dazu sind Änderungen in der Bodennutzung unvermeidlich. Zudem müssen Samenbanken angelegt werden, um die einheimischer Spezies wieder anzusiedeln, die Erosion muss bekämpft und die Böden mit frischen Nährstoffen angereichert werden. Die Wiederaufforstung der einheimischen Wälder, die resistenter gegenüber Waldbränden sind als Monokulturen, steht weiterhin aus. Die Regulierung der industriellen Forstwirtschaft, die die Monokulturen favorisiert, sollte als wichtiges Instrument in Betracht gezogen werden.
Trotz aller Schwierigkeiten muss die chilenische Gesellschaft diese Herausforderung entschlossen angehen. Um Großbrände von solch katastrophalem Ausmaß zu verhindern, wie Chile sie Jahr für Jahr erlebt, sind wirklich effiziente Strategien vonnöten.
Übersetzung: Patricia Haensel
Dieser Beitrag erschien am 11.03.2022 auf npla.de, lizensiert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international. Originalartikel: opendemocracy.net