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„Es ist noch ein langer Weg bis zu einer inklusiven Gesellschaft.“

Hannah Wahls Streitschrift „Radikale Inklusion“ ist mehr als ein Büchlein über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, es ist ein systemkritisches Plädoyer für Gerechtigkeit in unser aller Interesse.

Sonntag ist Büchertag (+ GEWINNSPIEL) von Michael Wögerer

„Unsere Gesellschaft, und das ist staatenübergreifend gemeint, grenzt Menschen mit Behinderungen systematisch aus, bietet ihnen nicht annähernd gleiche Chancen und unterdrückt sie als marginalisierte Gruppe in allen Lebensbereichen“, konstatiert Hannah Wahl im Vorwort ihrers (ersten) Buches „Radikale Inklusion“, das Ende Februar 2023 im Leykam Verlag erschienen ist.

Beinahe nirgends, wo Inklusion draufsteht, ist Inklusion drin. (Hannah Wahl)

Trotz Ratifizierung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK) vor über zehn Jahren durch Österreich und Deutschland, sei in beiden Ländern „nicht ansatzweise das passiert, was man erwarten sollte“, kritisiert die Autorin, die seit 2018 für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des Unabhängigen Monitoringausschusses zur Umsetzung der UN-BRK verantwortlich ist. Obwohl landauf landab von „Inklusion“ die Rede ist, habe „sich gezeigt, dass sich der Inklusionshype auf kosmetische Veränderungen beschränkt.“

Von einer wirklich inklusiven Welt sind wir noch weit entfernt. (Hannah Wahl)

Wie wenig das Ziel einer echten Inklusion ernst genommen wird, sieht man auch an der Aufrechterhaltung zahlreicher Einrichtungen, die „exklusiv“ für Menschen mit Behinderungen geschaffen wurden und weiterhin werden (Sonderschulen, Behindertenwerkstätten etc.). Es gibt – insbesondere in Österreich – kaum Ambitionen, hier das „bewährte“ Feld zu verlassen und sich einer tatsächlichen Inklusion anzunähern.

Innerhalb unserer Gesellschaft existiert eine, bildlich gesprochen, hermetisch abgeriegelte Blase, in der Menschen mit Behinderungen unter sich bleiben (müssen). (Hanna Wahl)

Die Autorin plädiert deshalb für eine „Radikale Inklusion“, also Maßnahmen „die nicht nur an der Oberfläche“ kratzen. Gleichzeitig ist es ihr wichtig klarzustellen, dass die Behinderung nicht vom Menschen mit Behinderungen ausgeht, sondern erst durch „multidimensionale Barrieren im Lebensumfeld von Menschen“ entsteht. Kurz gesagt: Menschen sind nicht behindert. Sie werden behindert bzw. daran gehindert, „selbstbestimmt und unabhängig zu leben und zu handeln.“

Ein Plädoyer für Radikale Inklusion muss die Auflösung der Parallelwelten fordern. (Hannah Wahl)

Doch was soll diese Radikale Inklusion sein? Die Autorin skizziert das Konzept mit folgenden Worten:

Radikale Inklusion geht davon aus, dass wir genau so viel Inklusion leisten müssen, dass allen Menschen gleiche Chancen zuteil werden und sie ein selbstbestimmtes, erfüllendes Leben führen können – unabhängig von Beeinträchtigungen bzw. Behinderungen, Migrationserfahrung, Klassenherkunft, sexueller Orientierung oder Geschlechtsidentität.

Am Beispiel von Menschen mit Sehschwäche zeigt Wahl anschaulich auf, dass diese radikale Inklusion in den letzten Jahrzehnten auch problemlos funktioniert hat. Dank medizinischer Behandlung und Sehhilfen, spielt es heutzutage keine Rolle mehr, ob jemand ohne Brille „fast blind“ ist. Es ist „normal“ geworden und kein gesellschaftliches Thema mehr wieviele Dioptrien jemand hat. 

Auch hier wird deutlich, dass eine strikte Einteilung in Menschen mit und ohne Behinderungen keiner wissenschaftlichen Überprüfung standhält. Jeder Mensch hat Schwächen und muss mit Einschränkungen leben (lernen).

Beeinträchtigungen gehören zum Leben dazu, und in dieser Selbstverständlichkeit und Vielfalt sollen sie auch gesehen werden. (Hannah Wahl)

Notwendiger Bruch mit dem Kapitalismus

Die fehlende Inklusion von Menschen mit Behinderungen lässt sich laut Wahl in hohem Maße durch unser derzeitiges Wirtschafts- und Gesellschaftssystem erklären. 

Menschen, die ökonomisch als nicht verwertbar gelten, werden in Parallelwelten gedrängt, wo sie fernab von den ‚leistenden‘ Menschen leben und arbeiten. (Hannah Wahl)

Radikale Inklusion bedeutet demnach auch sich vom Zwang der Verwertbarkeit des Menschen zu lösen. Dies kann allerdings nur dann gelingen, wenn wir „alle Verhältnisse umwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist“. (Karl Marx, MEW 1: 385).

 Wir dürfen nicht an unserem System festhalten, wenn wir uns eine gerechte und inklusive Gesellschaft wünschen. (Hannah Wahl)

Oder einfacher* gesagt:

Radikale Inklusion funktioniert im Kapitalismus nicht.
Denn beim Kapitalismus geht es um Geld
und nicht um Menschen.

* Zusammenfassung der zentralen Aussagen in Leichter Sprache (A2)

Das Buch:

Hannah Wahl
Radikale Inklusion
Ein Plädoyer für Gerechtigkeit
€ 14,50 | 128 Seiten
ISBN 978-3-7011-8278-7
Leykam Verlag
ET: 27.02.2023

Die Autorin:

Hannah Wahl (Foto: © Minitta Kandlbauer)

Hanna Wahl, Jahrgang 1992, studierte Geschichtswissenschaften mit Schwerpunkt Zeitgeschichte an der Universität Salzburg. Als freie Journalistin schreibt sie über Menschenrechte, Inklusion und Gesellschaftspolitik für verschiedene Fach-, Online- und Printmedien – auch für Unsere Zeitung. Die Wahlwienerin ist seit 2018 für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit im Verein zur Unterstützung des Unabhängigen Monitoringausschusses zur Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen verantwortlich. Als Redakteurin im Filmbereich entwickelt sie seit 2020 Konzepte und schreibt Texte für Dokumentationen.


GEWINNSPIEL

Unsere Zeitung verlost 2 Exemplare des Buches “Radikale Inklusion” von Hannah Wahl. Um teilzunehmen, schreibe einfach eine E-mail mit dem Betreff „Sonntag ist Büchertag” mit deinem Namen und deiner Anschrift an gewinnspiel@unsere-zeitung.at und mit etwas Glück findest du das Buch bald in deinem Postkasten. Teilnahmeschluss ist der 31.03.2023. Der*die Gewinner*in wird per E-mail benachrichtigt.

Teilnahmebedingungen Gewinnspiel:

Teilnahmeberechtigt sind Personen ab dem vollendeten 18. Lebensjahr. Schriftverkehr und Rechtsweg sind ausgeschlossen. Der Gewinn ist nicht in bar auszahlbar. Eine mehrmalige Teilnahme ist nicht möglich. Die Auslosung erfolgt unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

Datenschutz:

Die Teilnahme am Gewinnspiel erfordert die Angabe personenbezogener Daten. Der*Die Teilnehmer*in erklärt sich ausdrücklich damit einverstanden, dass die von ihm*ihr übermittelten Daten vom Verein “Unsere Zeitung – DIE DEMOKRATISCHE” (Gentzgasse 17/3/4, 1180 Wien) für die Durchführung und Abwicklung des Gewinnspiels erhoben und verarbeitet werden dürfen. Widerruf der Datenverwendung ist jederzeit per E-Mail an redaktion@unsere-zeitung.at unter der Angabe des Betreffs „Widerruf Gewinnspiel“ möglich.

Titelbild: Leykam Buchverlag (fb)


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