Anklage erhoben: Späte Genugtuung im Fall Mouhamed
Die Dortmunder Staatsanwaltschaft erhebt Anklage gegen fünf Polizisten, die bei einem Einsatz im August 2022 den Tod eines jungen Senegalesen herbeigeführt haben sollen. Der Druck der Öffentlichkeit habe auch zu der Anklage geführt, glauben Aktivist*innen.
Von David Bieber
Dortmund. Die polizeiliche und staatsanwaltschaftliche Ermittlungsarbeit im Fall des von der Dortmunder Polizei im August vergangenen Jahres erschossenen Flüchtlings Mouhamed Lamine Dramé ist beendet und mündet in eine Anklage. Auf die Verkündung der Ermittlungsergebnisse wurde in Politik und Öffentlichkeit lange erwartet. Die Ermittlungen zogen sich über viele Monate. Dabei kann es immer wieder zu Verzögerungen und Irritationen wie Rassismusvorwürfen gegenüber der Polizei.
Nach Informationen von Unsere Zeitung müssen sich gleich fünf an dem umstrittenen wie tödlichen Einsatz beteiligte Polizisten vor dem Landgericht Dortmund verantworten. Der Todesschütze ist wegen Totschlags angeklagt. Der Einsatzleiter wegen Anstiftung zur gefährlichen Körperverletzung. Drei weitere Polizisten wegen gefährlicher Körperverletzung.
Der Solidaritätskreis Mouhamed, der sich seit dem Polizeieinsatz für eine lückenlose und unabhängige Aufarbeitung des Falls einsetzt, wertet die Anklageerhebung als Erfolg in der Aufarbeitung tödlicher Polizeiarbeit. „Die Anklage ist eine logische Konsequenz aus den Fakten, die über Mouhameds Tod bekannt sind“, erklärt die Sprecherin der Vereinigung, Sarah Claßmann, auf Anfrage unserer Redaktion. Die offizielle Einschätzung von Mouhameds Tod als Tötungsdelikt sei demnach ein „großer Schritt hinsichtlich einer öffentlich kritischen Wahrnehmung von tödlicher Polizeigewalt“.
Dem Vernehmen nach war der entscheidende Punkt in den Ermittlungen die Bewertung der sogenannten Auffind- und Antreffsituation von Mouhamed. Der erst 16 Jahre alte Senegalese ist von den Beamten mit einem Messer mit einer langen Klinge vor dem Bauch im Innenhof einer katholischen Jugendhilfeeinrichtung sitzend angetroffen worden. Eine suizidale Absicht sei bei dem offenkundig psychisch labilen Jugendlichen zu erkennen gewesen, hieß es damals wie heute von der Polizei. Die Staatsanwaltschaft Dortmund geht von einer „statischen Lage“ aus, da Mouhamed sich nicht regte. Er soll mit dem Gesicht zu einer Mauer gesessen haben.
Als der junge Mann die Polizisten bemerkte und sich aufrichtete, sei der Einsatz mit zwölf Beamten an einem sommerlichen Montagnachmittag in der Dortmunder Nordstadt vollkommen aus dem Ruder gelaufen. Von Deeskalation keine Spur, hieß es bereits kurz nach der Tat von Aktivist*innen und Anwohner*innen, die den Einsatz hautnah miterleben mussten.
Zuerst war auf den jungen Mann mit abgelaufenen Pfefferspray eingewirkt und dann mit sogenannten Tasern geschossen worden. Beides missglückte, sodass innerhalb von Sekunden ein Polizist mit einer Maschinenpistole das Feuer auf den mit einem Messer hantierenden Flüchtling eröffnete. Dass der Polizist das Zugehen Mouhameds auf die Polizisten als Angriff wertete, dem widersprach offensichtlich die Staatsanwaltschaft. Vielmehr wollte der unbegleitete Mouhamed weglaufen. Dabei habe er das Messer auf den Boden gerichtet und nicht auf die Polizisten.
Der Einsatz war seitens der Polizei nicht – wie sonst üblich – audiovisuell dokumentiert worden, da keiner der zwölf Beamten seine BodyCams eingeschaltet hatte. Das könnte zu einer neuen Debatte über den Umgang mit den Uniform-Kameras führen, die genauso wie die Tasergeräte von NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) befürwortet werden. Kritik an Kameras und Tasern kommt ausgerechnet vom Koalitionspartnern der CDU, den Grünen.
Dass es letztlich zu einer Anklage gegen die Polizisten gekommen ist, liegt nach Ansicht von Claßmanns Solidaritätskreis auch daran, dass der zivilgesellschaftliche Druck seither hoch war. Im November 2022 fand noch eine große Solidaritätskundgebung für Mouhamed und andere Opfer von tödlicher Polizeigewalt in Dortmund statt. Am Mittwoch war in Dortmund eine erneute Mahnwache und Kundgebung für Mouhamed mit dem Titel „Die Täter werden angeklagt. Wann werden endlich die Strukturen hinterfragt?“ geplant. Claßmann und Co. kritisieren nach wie vor, dass hier zwei Polizeidienststellen gegeneinander ermittelten. Sie fordern für künftige Fälle eine „unabhängige Ermittlungsstelle“.
„Wir werden das Prozessgeschehen eng begleiten. Wir werden weiter an Konsequenzen und Gerechtigkeit für Mouhamed arbeiten und hoffen, dass sich durch diese beispielhafte Anklage auch Täter in anderen Fällen von tödlicher Polizeigewalt verantworten müssen“, erklärt Claßmann. Wie der Solidaritätskreis Mouhamed wird auch Nebenklägerin Lisa Grüter den Prozess mitverfolgen.
Sie vertritt die Familie von Mouhamed im entfernten Senegal. Die Anwältin sieht die Anklageerhebung „als einen sehr kleinen Schritt auf dem Weg zu Gerechtigkeit, doch dabei kann es aus Sicht der Familie Dramé nicht bleiben.“
Das Dortmunder Landgericht hat nun die Aufgabe ergebnisoffen zu prüfen, wie viel Schuld die Polizei auf sich geladen habe. Dies sei bei Ermittlungen gegen Polizeibeamte leider in den meisten Fällen nicht der Fall. Grüter ergänzt: „Aus unserer Sicht trägt der Einsatzleiter der Dortmunder Nordstadtwache jedenfalls die moralische Verantwortung für das Leiden von Mouhamed und seiner Familie.“
Die Familie wolle eine vollumfängliche Aufklärung der Tat. Grüter erklärt, dass die Anklageerhebung Konsequenzen für die Dortmunder Nordstadtwache nach sich ziehen müsse. „Anwohner beklagen seit Langem den rauen Umgang durch die Beamten der Nordstadtwache. Mouhameds Tod ist ein tragischer Höhepunkt.“
Titelbild: PxHere
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