Charlie Hebdo: Eine barbarische Tat
Vor 8 Jahren, am 7. Januar 2015 ermordeten islamistische Terroristen neun Redakteure des Satiremagazins Charlie Hebdo und deren Personenschützer. Ein Anschlag auf das Recht der freien Meinung, einschließlich des Rechts auf Spott. Der Anschlag erinnert uns daran, gegen jede Form religiöser Anmaßung unsere Stimme zu erheben. Das sind wir den Opfern schuldig.
Von Helmut Ortner
Es war ein Mittwoch. Es war der 7. Januar 2015, als zwei maskierte Täter in die Pariser Redaktionsräume der Zeitschrift Charlie Hebdo eindrangen und elf Menschen bestialisch ermordeten (darunter ein zum Personenschutz abgestellter Polizist und ein weiterer Polizist auf der Flucht). Eine barbarische Tat. Es war der blutige Höhepunkt eines Prozesses, der seit einigen Jahren in Gange ist: die Einschüchterung des Denkens, das Bekämpfung des Rechts auf freie Meinung, einschließlich des Rechts auf Spott.
Doch auch nach dem mörderischen Terroranschlag gab es Stimmen, die die „Verantwortungslosigkeit“ des Satiremagazins beklagten. Kritiker – von rechtskonservativ bis links-intellektuell – machten Charlie Hebdo letztlich selbst für das Blutbad verantwortlich, weil Zeichnungen im Blatt immer wieder »islamfeindlich« gewesen seien. Beispielsweise auf einer Titelseite aus dem Jahr 2006, die Kurt Westergard gewidmet war, der wegen seiner Karikaturen in der dänischen Tageszeitung Jyllands-Posten ebenfalls von Fundamentalisten mit dem Tod bedroht worden war. Was war auf dem Titelblatt zu sehen? Ein bärtiger Mann mit Turban hält seinen Kopf zwischen den Händen. Er weint oder ist sehr ärgerlich. In der Sprechblase steht: „Schon hart, wenn einen Idioten lieben…“. Die Zeilen über der Zeichnung erläutern: „Mohammed beklagt sich… Er wird von Fundamentalisten überrollt!“. Der Prophet beklagt sich also über die Haltung seiner fanatischen Anhänger. In einer aufgeklärten, freien Gesellschaft nennt man das politische Karikatur.
Frankreich hat den Blasphemie-Paragraphen, dieses „imaginäre Verbrechen“ (Jaques de Saint Victor), schon 1871 abgeschafft. Anders in Deutschland. Obwohl die Meinungs- und Kunstfreiheit laut Art. 5 GG ein Grundrecht ist, gibt es anders als in Frankreich dort noch immer den sog. Blasphemie-Paragrafen, § 166 StGB. Und er findet noch Anwendung. Nach einer Demonstration gegen den politischen Islam hatte sich im Juli letzten Jahres in Stuttgart ein Redner nach Ansicht des dortigen Amtsgerichts der „Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen“ schuldig gemacht und war zu 30 Tagessätzen verurteilt worden. Erst im Berufungsverfahren wurde er freigesprochen.
Auch in Österreich drohen bei der Herabwürdigung religiöser Lehren bis zu 6 Monate Gefängnis; dabei reicht es schon aus, dass ein „Verhalten geeignet ist, berechtigtes Ärgernis zu erregen“.
Tatsache ist: Viele halten politische Karikaturen, in denen über Propheten Witze gemacht werden und ihre Anhänger verspottet werden, noch immer für ein strafwürdiges Vergehen, mitunter für ein Verbrechen. Pochten früher nur ultra-religiöse und konservative Kreise auf unbedingte Einhaltung der „Gewissens- und Religionsfreiheit“ (deren Einschränkung ja nirgendwo propagiert wird, allenfalls das Recht, Religionen, ihre Dogmen und Verkünder zu kritisieren oder diese zu verspotten), machen sich mittlerweile auch vermeintlich progressive, antirassistische Bewegungen für die Einschränkung oder Abschaffung der Meinungsfreiheit stark. Eine irritierende Allianz, die religiöse Dogmen und deren Eiferern hier einen Vorrang einräumt, statt das Grundrecht auf Meinungsfreiheit zu verteidigen.
Religiöse Fanatiker dürfen sich ermuntert fühlen. Auch nach dem mörderischen Anschlag auf die Charlie Hebdo-Redaktion setzen verwirrte Bodentruppen Allahs ihren mörderischen Amoklauf fort: im November 2015 das Massaker im Club Bataclan und in den Straßencafes des 11. Bezirks, am 14. Juli 2016 – am französischen Nationalfeiertag – der Anschlag von Nizza, als ein Attentäter mit einem LKW in eine Menschenmenge raste, und 84 Menschen tötete und über 400 Menschen zum Teil schwer verletzte, schließlich im Oktober 2020 , als der 47-jährigen Lehrer Samuel Paty nahe seiner Schule in einem Pariser Vorort auf offener Straße von einem jungen islamistischen »Gotteskrieger« ermordet wurde. Sein »Verbrechen«: In einer Unterrichtsstunde zum Thema Meinungsfreiheit hatte er Mohammed-Karikaturen aus Charlie Hebdo gezeigt. Samuel Paty wollte Denken lehren, nicht Glauben.
Die Gegenwart zeigt: In vielen Ländern werden Menschen von Staats wegen und von religiösen Eiferern eingeschüchtert, verfolgt und mit dem Tod bedroht – nur weil sie es wagen, sich mit religiösen Glaubensvorstellungen kritisch zu befassen oder sich darüber lustig machen. Der Anschlag auf Charlie Hebdo vom 7. Januar 2015 erinnert uns daran, gegen jede Form religiöser Anmaßung unsere Stimme zu erheben. Das sind wir den Opfern schuldig.
Titelbild: Wikimedia Commons / CC BY-SA 4.0
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