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Klima-Kollaps, Polizeistaat und COP27: Wieso die Klimakonferenz in Ägypten anders ist

Ab 7. November tagen bei der UN-Klimakonferenz für zwei Wochen alle Parteien, die die UN-Klimaverträge unterzeichnet haben. Schon in den vergangenen Jahren waren die Erwartungen an Ergebnisse niedrig. Diesmal ist die Kritik noch größer. Denn die COP27 findet in Sharm El-Sheikh in Ägypten statt. Was genau dahinter steckt, erklären wir dir hier.

Von Charlotte Koi (MOMENT)

Wie steht es um das Klima?

Schlecht. Die globale Erhitzung dürfte schon bei 1,5 Grad Erhitzung seit der Industrialisierung irreversible und katastrophale Schäden verursachen. Diesen Höchstwert haben sich 196 Länder mit dem Paris-Agreement 2015 bei der COP21 zum Ziel gesetzt. 1,2 bis 1,3 Grad davon dürften bereits erreicht sein. Um das Ziel einzuhalten, müssten wir die Emissionen bis 2030 halbieren. 

Davon sind wir weit entfernt. Die Emissionen steigen sogar noch immer. Die drastischen Veränderungen, die notwendig sind, werden nicht gesetzt. Noch immer vergeben Länder wie Großbritannien und die USA neue Bohrlizenzen und Ölkonzerne erwirtschaften massive Profite. Shell und TotalEnergie verdoppelten ihre Quartalsgewinne und auch die OMV erwartet für 2022 Rekordgewinne von 6,5 Milliarden Euro.

Was könnte die COP27 verändern?

Das Zeitfenster, um unumkehrbare Veränderungen aufzuhalten, schließt sich. Wir rasen auf historische Kipppunkte zu. Werden diese überschritten, wie das Schmelzen von Gletschern oder das Auftauen von Permafrost, löst das Kettenreaktionen aus, die die Erde noch weiter erhitzen. Das macht internationale Zusammenarbeit umso wichtiger.

Wichtige Punkte in den Diskussionen der COP27 werden das 1,5-Grad-Ziel betreffen, Anpassungsstrategien an das veränderte Klima und den Umgang mit Verlusten und Schäden.

Bleiben wir unter 1,5 Grad Erderwärmung?

Laut Klimaforscher Stefan Schleicher, Professor am Wegener Center der Uni Graz und Konsulent des Wifo, reichen die bisherigen Zusagen der Staaten nicht aus. Selbst wenn die Versprechen eingehalten werden, was niemand garantiert, bewegen wir uns auf eine Erderwärmung von 2,8 Grad zu. Schleicher bemerkt mangelnde Ambition: „Die 196 Staaten, die an den Klimaprotokollen teilnehmen, wurden aufgefordert, bekannt zu geben, wie sie ihre Maßnahmen anpassen wollen, um im Plan zu bleiben. Nur 24 Staaten haben das getan“, sagt er zu MOMENT.at.

Was sind Mitigation- und Adaptation-Strategien?

Bisher wurde hauptsächlich dazu verhandelt, wie die fortschreitende Klimakrise abzuschwächen (Englisch: to mitigate) wäre. „Wir müssen aber zu der Einsicht kommen, dass die nächsten 30 bis 50 Jahre gelaufen sind“, sagt Stephan Schleicher, „Große Änderungen sind nicht mehr drin.“ Das bedeutet, es muss mehr an Strategien gearbeitet werden, wie wir uns an geänderte Bedingungen anpassen (Englisch: to adapt) können. Das ist besonders für den globalen Süden von großer Bedeutung. Dort ist die Situation jetzt schon katastrophal.

Was ist Loss and Damage?

Die Klimakrise ist Ursache für extreme Naturereignisse, wie Flut, Trockenheit, Stürme und Hitzewellen. Die Bevölkerung wird mit zerstörten Häusern, verstorbenen Angehörigen und verwüsteten Äckern zurückgelassen. Das Leben wird in manchen Regionen nicht mehr lange möglich sein. Dafür sorgen langsame, aber dauerhafte Veränderungen, wie etwa der steigende Meeresspiegel. Diese Katastrophen sind jedoch nicht gleich verteilt. Besonders sind meist jene betroffen, die am wenigsten zur Klimakrise beigetragen haben.

Für alle Verluste und Schäden (Englisch: Loss and Damage) verlangen betroffene Staaten eine Kompensation. Im Sinne der Klimagerechtigkeit soll sie von jenen Staaten kommen, die massiv zum Klimawandel beigetragen haben. Das sind besonders jene im globalen Norden. Diese Reparationszahlungen werden den Schaden, der oft irreparabel ist, nicht rückgängig machen können. Aber es soll dazu beitragen, Kosten und Verantwortung gerechter zu verteilen.

Welche Konflikte sind zu erwarten?

Spannungen zwischen Nord und Süd werden die COP27 vermutlich stark prägen. Besonders die Gespräche rund um “Loss and Damage” werden für große Diskussionen sorgen. Auch Staaten im Süden sind skeptisch. In der Vergangenheit haben sie schlechte Erfahrungen mit versprochenem Geld gemacht.

Schon 2009 wurde ärmeren Staaten mit dem Green-Climate-Fund 100 Milliarden Dollar pro Jahr versprochen, um auf klimafreundliche Technologien umzusteigen und sich den neuen Verhältnissen anzupassen. Laut Klimaforscher Schleicher war es ein Lockvogel, der sie an den Verhandlungstisch bringen sollte. Die Geldmittel wurden jedoch nie ausgegeben. 2021 waren es 84 Milliarden, wobei laut Schleicher viele Geld dazugezählt wurde, das ohnehin schon für Entwicklungshilfe eingeplant war. Nun möchten sie keinen weiteren Topf für versprochene Mittel öffnen, wenn diese nie fließen werden. Die Bereitschaft für einen Vertrauensvorschuss ist gering.

Welche Ergebnisse sind zu erwarten?

„Das wahrscheinlichste Ergebnis ist gar kein Ergebnis“, meint Schleicher. „Delegationen hängen an der kurzen Leine ihrer Regierungen.“ Viel Spielraum haben sie nicht. Noch dazu haben sich die Interessenskonflikte verhärtet. Zwischen Nord und Süd, zwischen reich und arm, zwischen den Menschen und den Konzernen.

„Die Erwartungen sind dieses Jahr so tief wie noch nie“, sagt der ägyptische Klimajournalist Mohamed Elsonbaty zu MOMENT.at. Neben der politischen Atmosphäre haben sich auch andere Faktoren verschlechtert. Reiche Länder haben mit dem Krieg in der Ukraine, der Energiekrise und der hohen Inflation andere akute Probleme, die sie vorschieben. Ihre Antworten auf diese Krisen sind kontraproduktiv. Anstatt die Gaskrise zu nutzen, um sich auf nachhaltige Lösungen zu konzentrieren, wird Gas aus anderen Ländern importiert werden. Für diese ist das ein Grund, Gasproduktion zu steigern.

Ist die COP Greenwashing?

An der COP nehmen auch Klimazerstörer teil – und manche kaufen sich damit ein besseres Image. So zählen zu den Sponsor:innen der COP27 General Motors, Microsoft, Coca Cola, Bauunternehmen und Banken. Ihre Logos werden auf Pressefotos zu sehen sein und Vertreter:innen werden Vorträge halten dürfen. Gleichzeitig sind sie bei den Klimaverhandlungen präsent.

Lobbyist:innen sind traditionsgemäß auf der Klimakonferenz stark vertreten. Im Gegensatz zu den Sponsor:innen bleiben sie lieber im Hintergrund. Wären die Lobbyist:innen der Ölindustrie eine Delegation, wäre sie mit 503 Personen bei der COP26 im vergangenen Jahr größer gewesen als jede Landesdelegation. Mehr als 100 Ölkonzerne waren für die Konferenz registriert.

Auch die OPEC wird an Verhandlungen teilnehmen. Aber nicht, um das Klima zu retten, sondern ihre Gewinne. Allen Ernstes, werden auch sie im Rahmen von Loss and Damage Zahlungen verlangen, um Gewinneinbußen zu kompensieren. Das, obwohl das geförderte Öl dieser Staaten eine gewaltige Verantwortung an der Klimakatastrophe trägt, und obwohl sie besonders 2022 gewaltig abkassiert haben.

Was ist die Kritik am Gastgeber Ägypten?

Die Aktivistin Greta Thunberg hat im Vorfeld angekündigt, nicht an der COP teilzunehmen. Sie bezeichnet die Konferenz als „Greenwashing-Forum“. Besonders für das austragende Land ist die mediale Wirkung groß.

Die Klimakonferenz ist eine Gelegenheit, um sich als Vorreiter:in zu inszenieren. Währenddessen baut Ägypten eine zweite Hauptstadt, von der die Bevölkerung ausgeschlossen werden soll, achtspurige Autobahnen direkt durch Wohngebiete und einen Hafen für die Yachten der Superreichen, der die natürliche Strömung verändert und Strände verschmutzt. 

Diese Themen möchte das ägyptische Regime vermeiden. Darum mussten Personen und Organisationen, die die ägyptische Gesellschaft bei der Konferenz repräsentieren wollen, um eine spezielle Genehmigung ansuchen. Dort sollen sie nur über Themen sprechen, die dem Regime angenehm sind, wie Recycling, erneuerbare Energie und Ernährungssicherheit. Seit 2019 dürfen Wissenschaftler:innen auch nur Themen veröffentlichen, die von der Regierung genehmigt worden sind. Das macht es nicht möglich, sich über die tatsächliche Verschmutzung Ägyptens zu informieren.

Ägypten will nicht nur seine Klimabilanz waschen. Das Regime, das seit dem Militärputsch 2013 unter der Führung des Militärratschefs Abd al-Fattah as-Sisi, an der Macht ist, ist eines der brutalsten und repressivsten in der Geschichte des Landes.

Wer ist Alaa?

Alaa Abd El-Fattah ist wohl der bekannteste politische Gefangene Ägyptens. Er ist einer von 60.000 Inhaftierten, für die das Regime bereits über 20 neue Gefängnisse gebaut hat. Menschenrechts- und Umweltaktivist:innen, Journalist:innen und Akademiker:innen werden festgehalten, belästigt, bespitzelt und am Reisen gehindert. So wurde am 31. Oktober ein indischer Klimaaktivist festgenommen, der mit einem Plakat von Kairo nach Sharm El-Sheikh gehen wollte. Nach einer internationalen Protestwelle wurde er am nächsten Tag wieder freigelassen.

Alaa befindet sich seit April im Hungerstreik. Mit Beginn der COP hat er auch angekündigt, Wasser zu verweigern. Ändert sich nichts, wird er sterben, während sich Vertreter:innen von internationalen Demokratien in seiner Heimat über Klima und Gerechtigkeit unterhalten werden.

Eine COP ohne Zivilgesellschaft?

Die Klimabewegung hat ihre Wurzeln im politischen Aktivismus und baut auch heute noch darauf. Ohne Druck aus der Zivilgesellschaft gäbe es wohl auch jetzt kaum Anstrengungen, die Klimakrise zu bekämpfen. Auf der COP27 in Sharm El-Sheikh wird davon wenig zu spüren sein.

Gegenveranstaltungen und Proteste vor Ort wird es dieses Jahr kaum geben. Einerseits, weil Veranstalter:innen für die „Verbreitung von Fake News“ oder das Verstoßen gegen das Protestverbot im Gefängnis landen. Andererseits, weil viele Aktivist:innen bereits im Gefängnis sind. Mona Seif, die Schwester Alaas twitterte: „Was die meisten Teilnehmer:innen der COP27 lieber ignorieren, ist, dass in Ländern wie Ägypten die wahren Verbündeten, die sich tatsächlich um die Zukunft des Planeten scheren, in den Gefängnissen schmachten.“

Gibt es Klimaschutz ohne Menschenrechte?

Die Kontroverse um die COP27 weist auf ein weiteres Problem: Reparationszahlungen und Klimafonds werden auch an Länder fließen, die von autoritären Regimen geführt werden. Kann man von einem Regime, das Menschenrechte mit Füßen tritt, erwarten, die Natur mit Vorsicht zu behandeln? 

Geld, das dringend für Klima und Bevölkerung benötigt wird, landet in korrupten Netzwerken und Militärkassen. Das wird auf der COP leider nicht adressiert werden.

Klimafeindliche Aktivitäten, wie Ölförderung und Abholzung, betreffen auch direkt indigene Gemeinschaften, deren Rechte missachtet werden.

Was bringt die COP?

Die Konferenz steht stark in der Kritik. Expert:innen, Aktivist:innen und Organisationen bezeichnen es als Greenwashing. Öl-Lobbies sind stärker vertreten als von der Klimakrise betroffene Länder. Ägyptische Menschenrechtsverletzungen, das schwarze Tuch der Konferenz, werden wohl nicht angemessen diskutiert werden. Bahnbrechende Ergebnisse für das Klima werden ausbleiben.

Während sich autoritäre Regime inszenieren und internationale Konzerne ihre Agenda durchsetzen, werden Aktivist:innen, die die Klimakatastrophe verhindern wollen, kaum eine Stimme bekommen – ebenso wie die vielen Menschen, die heute schon unter der Klimakrise leiden.


Titelbild: Ministry of Environment – Rwanda (CC BY-ND 2.0)

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