Sozialhilfe: Leben am Limit – Teuerung verschärft soziale Notlagen!
Sozialhilfe bzw. Mindestsicherung wird in Österreich erst dann gewährt, wenn die vorgelagerten sozialen Sicherungssysteme versagt haben. Bezieher:innen leben daher zumeist am Rande der Gesellschaft und sind oftmals sozial ausgegrenzt. Die Höhe dieser sozialen Transferleistung liegt meilenweit unterhalb der Armutsschwelle. Im Schnitt erhalten Sozialhilfebezieher:innen lediglich 712 Euro pro Monat. Die derzeitige Teuerung verschärft diese extreme Armut noch weiter. Es gilt daher, nachhaltig zu helfen und den Sozialstaat gerade in Krisenzeiten zu stärken.
Von Iris Woltran (A&W-Blog)
265.000 Menschen bezogen im Jahr 2021 in Österreich Sozialhilfe
Rund 1,3 Millionen Menschen bzw. 15 Prozent der österreichischen Bevölkerung lebten 2021 in Armut. Davon waren etwa 1 Million Menschen auf Sozialleistungen angewiesen, von diesen bezogen rund 265.000 Menschen (Jahressumme) Sozialhilfe oder Mindestsicherung. Mit rund 169.000 Personen bzw. 64 Prozent lebten die meisten Bezieher:innen in Wien. Mindestsicherung gebührt derzeit noch in den Bundesländern Wien, Burgenland und Tirol. In den anderen Bundesländern ist die Sozialhilfe bereits ab 2020 (Niederösterreich, Oberösterreich) bzw. 2021 (Salzburg, Kärnten, Vorarlberg, Steiermark) in Kraft getreten.
Einkommens- und Vermögensverwertung im Bereich der Sozialhilfe
Sozialhilfe ist eine subsidiäre Leistung. Menschen erhalten sie nur dann, wenn sie über ein sehr geringes Haushaltseinkommen verfügen und auch kein nennenswertes Vermögen im Haushalt vorliegt. Aktuell liegt der sogenannte Sozialhilferichtsatz für Alleinstehende bzw. Alleinerziehende bei maximal 977,94 Euro netto monatlich. Diese Leistungshöhe orientiert sich am sogenannten Netto-Ausgleichszulagenrichtsatz für Alleinstehende im Rahmen der Pensionsversicherung. Im Vergleich dazu beträgt die aktuelle Armutsgefährdungsschwelle laut Statistik Austria (= 60 Prozent des durchschnittlich gewichteten Medianeinkommens) 1.371 Euro netto pro Monat bei einem Einpersonenhaushalt. Die Sozialhilfe liegt also um rund 400 Euro unterhalb dieses Schwellenwertes und ist somit nicht armutsfest.
Durchschnittliche Sozialhilfeleistung 712 Euro pro Monat
Aufgrund der Einkommensanrechnung ergibt sich, dass die durchschnittlichen Auszahlungsbeträge laut Statistik Austria im Jahr 2021 nur rund 712 Euro netto pro Monat betrugen. Im Bundesländervergleich zeigt sich, dass die Leistungsbezüge sehr stark variieren. Am niedrigsten war der Auszahlungsbetrag in Oberösterreich mit lediglich 573 Euro pro Monat, am höchsten in Tirol mit rund 790 Euro im Monat. Diese sehr unterschiedlichen Bezugshöhen sind auch ein Ergebnis der sehr unterschiedlichen Rechtslagen bzw. Regelungen in den Bundesländern. Insbesondere in Tirol spielen natürlich auch die viel höheren Wohnkosten bzw. Unterstützungsleistungen eine zentrale Rolle. Man sieht aber auch, dass eine rechtliche Harmonisierung in diesem Bereich nicht gegeben ist und dies vor allem auf die Zerschlagung der vormaligen Mindestsicherung durch die türkis-blaue Bundesregierung zurückgeführt werden kann. Auch die aktuelle Novelle im Bereich der Sozialhilfe führt zu keiner wirklichen Leistungsverbesserung.
Somit ergibt sich, dass 2021 rund 70 Prozent Teilbeziehende waren, also neben der Sozialhilfe noch über weitere Einkünfte, z. B. Arbeitslosengeld, Kinderbetreuungsgeld etc., verfügten. Im Schnitt wurde die Sozialhilfe bzw. Mindestsicherung laut Statistik Austria neun Monate bezogen. Mehr als die Hälfte der Beziehenden verfügte über die österreichische Staatsbürgerschaft, und rund 37 Prozent waren Kinder, die in Familien mit Sozialhilfebezug lebten. Zwei Drittel (66 Prozent) der Familien mit Sozialhilfebezug waren alleinstehende Erwachsene, gefolgt von Alleinerziehenden (15 Prozent) und Paaren mit minderjährigen Kindern (rd. 13 Prozent dieser sogenannten Bedarfsgemeinschaften).
Teuerung verschärft soziale Lage überdurchschnittlich stark
Da die durchschnittlichen Bezugshöhen von Sozialhilfebeziehenden sehr gering sind und sie daher bereits vor der Teuerungswelle ihre Ausgaben kaum bestreiten konnten, verschärft die derzeitige Inflation die Situation noch beträchtlich. Relevant sind hier vor allem Wohn-, Energie- und Lebensmittelkosten.
Einen statistischen Einblick in die Ausgabensituation von einkommensarmen Haushalten liefert beispielsweise die Konsumerhebung von Statistik Austria (2019/20). Laut dieser Erhebung gibt das ausgabenschwächste Zehntel der Haushalte monatlich weniger als 981 Euro aus, die ausgabenstärksten zehn Prozent wenden pro Monat mehr als 3.610 Euro pro sogenanntem Erwachsenenäquivalent auf.
Einkommensschwache: zwei Drittel für Ernährung und Wohnen
Haushalte im ersten Ausgabenzehntel (in diesen Familien sind mehr als die Hälfte nicht erwerbstätig, bzw. in jedem fünften Haushalt liegt Arbeitslosigkeit vor) müssen nahezu zwei Drittel (64,5 Prozent) ihrer Verbrauchsausgaben für Ernährung und Wohnen aufwenden, wogegen Haushalte mit sehr hohen Ausgaben (10. Dezil) nur etwa ein Viertel (23,9 Prozent) der Ausgaben für diese Bereiche verwenden. Bei einer Inflation von aktuell 10,5 Prozent im September 2022 liegt es auf der Hand, dass armutsbetroffene Familien ihre Lebenshaltungskosten mit ihren derzeitigen Einkommen nicht mehr decken können. Sie sind somit auf private und öffentliche Unterstützung angewiesen bzw. müssen auf etwaige noch vorhandene Ersparnisse zurückgreifen oder sich verschulden. Ihre Lage ist somit mehr als prekär. Darüber hinaus ist damit zu rechnen, dass auch im Herbst/Winter 2022 die Teuerung weiter zunehmen wird.
Auch im aktuellen AK-Wohlstandsbericht wird ersichtlich, dass die größte Herausforderung die Bekämpfung der Armutsgefährdung ist, denn das unterste Einkommensdrittel hat kaum Erspartes, und es besteht die Gefahr, dass durch die derzeitige negative Entwicklung viele Haushalte in Armut verbleiben bzw. in diese abrutschen. Der Sozialstaat ist daher zu stärken und soziale Ungleichheit – wie etwa, dass das reichste Prozent geschätzt 40 Prozent des Vermögens besitzt, die untere Hälfte lediglich drei Prozent – aktiv zu bekämpfen.
Sozialhilfe/Mindestsicherung nachhaltig erhöhen und damit Sozialstaat stärken!
Für den Bereich der Sozialhilfe bzw. der Mindestsicherung bedeutet das, dass neben einer Harmonisierung der Regelungen österreichweit die Leistungshöhe an die Armutsgefährdungsschwelle heranzuführen ist. Es braucht auch Verbesserungen im Bereich der Bemessung der Wohnkosten (z. B. höhere Förderungen des Wohnaufwands bzw. Nichtanrechnung der Wohnbeihilfe) und eine Erhöhung der Regelsätze für minderjährige Kinder. Überdies bedarf es auch einer Leistungsverbesserung in den vorgelagerten sozialen Sicherungssystemen. Insbesondere sollte die Nettoersatzrate beim Arbeitslosengeld von derzeit 55 auf mindestens 70 Prozent erhöht werden. Auch eine spürbare und nachhaltige Valorisierung der Leistungen ist ebenfalls notwendig. Einmalzahlungen greifen in diesem zentralen Bereich zu kurz. Es bedarf einer nachhaltigen und strukturellen Verbesserung der sozialen Sicherung für Armutsbetroffene bzw. für Familien mit einem geringen Haushaltseinkommen.
Dieser Beitrag wurde am 25.10.2022 auf dem Blog Arbeit & Wirtschaft unter der Creative-Commons-Lizenz CC BY-SA 4.0 veröffentlicht. Diese Lizenz ermöglicht den NutzerInnen eine freie Bearbeitung, Weiterverwendung, Vervielfältigung und Verbreitung der textlichen Inhalte unter Namensnennung der Urheberin/des Urhebers sowie unter gleichen Bedingungen.
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