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Wohnbau-Boom in Wien: Luxus im Preis, Mittelmaß in der Qualität

Der Wohnbau in Wien schießt im frei finanzierten Bereich in die Höhe. Der Markt ist von Anlagewohnungen, Investor:innen und Preissteigerungen geprägt. Die Folge sind Luxuspreise. Jedoch hält die Qualität des Gebauten in vielen Fällen nicht, was der Preis verspricht. Der Neubau zeichnet sich durch qualitatives Mittelmaß aus. Eine AK-Studie hat sich knapp 3.000 zwischen 2017 und 2021 frei finanziert errichtete Wohnungen in ganz Wien auf die produzierten Qualitäten hin angesehen.

Von Mara Verlic (A&W-Blog)

Wohnbau-Boom in Wien

Wie in einem ersten Teil der Studie gezeigt werden konnte, wurden in Wien zwischen 2018 und 2021 insgesamt ca. 1.200 Projekte mit einer Gesamtzahl von etwa 58.000 Wohneinheiten umgesetzt. Jährlich wurden also zwischen 12.000 und 17.000 Wohneinheiten gebaut. Der Großteil dieser Wohnungen wurde frei finanziert gebaut von gewerblichen Bauträgern, nur mehr 34 Prozent der Wohneinheiten waren gefördert. Trotz dieses hohen Angebots an neuem Wohnraum bremsen sich die Preise jedoch nicht ein. Im Gegenteil sehen wir seit 2008 konstantes Steigen. Die Eigentumspreise haben sich um 153 Prozent erhöht und die Mietzinse bei Neuverträgen sind in Wien um 67 Prozent gestiegen. Dahinter steht, dass der Markt in zweierlei Weise von Investor:innen geprägt wird. Erstens spielen Kapitalanlagegesellschaften, und hier vor allem internationale Investor:innen, eine zunehmend große Rolle: 2021 wurden ca. 5.000 Wohneinheiten durch Banken, Fonds, Versicherungen etc. gekauft, von denen 67 Prozent ausländische Investor:innen waren. Zweitens gibt es eine große Zahl von natürlichen Personen, vor allem aus dem Inland, die auf dem Markt aktiv sind. Sie haben zwischen 2018 und 2021 12.000 Wohnungen gekauft, die oft als Anlage dienen. Doch welche Qualität wird in diesem Wohnbau für die Bewohner:innen gebaut?

Wenig Vielfalt, kaum Flexibilität

Im Neubau überwiegen Wohnungen mit wenig Vielfalt und kaum Flexibilität, die kaum an sich ändernde Bedürfnisse angepasst werden können. Die Wohnungen weisen sehr ähnliche, großteils sogar idente Wohnungsgrundrisse auf. Es gibt keine Angebote für spezielle Zielgruppen wie betreubare Wohnungen, WGs, „Housing First“ oder Alleinerziehende.

Familienwohnungen Fehlanzeige

Im frei finanzierten Bereich werden zu insgesamt über 90 Prozent 2- und 3-Zimmer-Wohnungen gebaut. Die auf diesem Investor:innenmarkt produzierten Klein- und Kleinstwohnungen mit immer gleichen Grundrissen bieten kaum Wohnraum für Familien. Wohnungen mit mehr als einem Schlafzimmer gibt es selten, schon gar nicht mit mehr als zwei. Und auch Menschen mit speziellen Wohnbedürfnissen finden keinen Wohnraum, da die Grundrisse keine Flexibilität zulassen. Personen mit Betreuungsbedarf, Patchwork-Familien oder Wohngemeinschaften bleiben auf der Strecke.

Fokus auf maximale Raumausnutzung

Der Fokus auf Verwertbarkeit der Wohnungen für den Investor:innenmarkt bedeutet maximale Raumausnutzung für die größtmögliche Anzahl an Wohnungen. Das Augenmerk in der Gestaltung liegt klar auf den verwertbaren einzelnen Wohnungen. So sind die Ausstattungen überwiegend hochwertig. Parkettböden und private Freiflächen sind Standard und auch die Energiekennzahlen sind gut. Das Wohnumfeld hingegen leidet. Möglichkeiten für Nachbarschaft und Begegnung fehlen und gemeinschaftlich nutzbare Räume sind kaum vorhanden. Auch in der Gestaltung der Freiräume wird meist nur das Minimum an Aufenthaltsorten und Spielplätzen geschaffen. Etwa zwei Drittel der Erdgeschosse bieten keine Gewerbeflächen an. Es überwiegen in den Erdgeschossen Blindfassaden, Nebenräume und Garageneinfahrten.

Grafik: Minderwertige Standards im Hochpreissegment, unbelichtete Gänge und gleiche Grundrisse
Grafik: A&W-Blog

Wohnen ohne Licht

In den Häusern finden sich des Öfteren unbelichtete Mittelgangerschließungen – die eigentlich schon längst der Vergangenheit angehören sollten. Solche Stiegenhäuser wirken sich negativ auf das Sicherheitsempfinden und die Raumqualität aus. Und auch in den Wohnungen fehlt teilweise das Licht: Es gibt unbelichtete Kochnischen und teilweise Zimmer mit Belichtungsproblemen aufgrund der hohen Dichte am Bauplatz.

Grenzen der Möblierbarkeit

Auch in der Möblierbarkeit der Wohnungen ergeben sich Probleme durch die effiziente Verwertungsbauweise. Dazu ein Beispiel: Ein Paar zieht in eine Wohnung im frei finanzierten Neubau. Die Wohnung hat 50 Quadratmeter, aufgeteilt auf einen Vorraum, ein Bad, ein Schlafzimmer und eine Wohnküche. Bei Bezug im Katalog sah die Möblierung gut aus. Doch das Leben orientiert sich nicht an Katalogen. Das Paar könnte ein Kind bekommen, jedoch findet sich in der Wohnung kein passender Platz für ein Kinderbett, außer inmitten der Wohnküche. Oder das Paar könnte zur Arbeit im Homeoffice wechseln müssen. Doch auch ein Arbeitsplatz lässt sich in der Wohnung kaum unterbringen, außer man nimmt in Kauf, dass der Ausblick von der Couch nun nicht mehr auf den Fernseher reicht, sondern auf einen Schreibtisch.

Grafik: A&W-Blog

Bewerbung: „Lage, Lage, Lage“

Die Bewerbung von frei finanzierten Wohnbauprojekten hat zwei Besonderheiten. Erstens richtet sie sich in Slogans und Bildsprache überwiegend an Familien. Für Familien gibt es jedoch aufgrund der großen Zahl von Kleinwohnungen und unflexibler Grundrisse nicht die richtigen Angebote. Und zweitens wird fast ausschließlich mit dem Quartier, dem Bezirk und der Adresse der Wohnbauten geworben. Verkauft wird also oft die Stadt selbst mit ihren urbanen Qualitäten: öffentliche Infrastruktur wie Parks, ÖV-Anbindung, Märkte und Plätze. Zu diesem Wohnumfeld tragen wiederum die frei finanzierten Projekte selbst kaum bei.

Luxuspreise

Trotz dieser Qualitätseinbußen herrschen jedoch Luxuspreise am privaten Markt vor. Das fängt bei Eigentumswohnungen an, bei denen die Preise in den vergangenen vier Jahren um 31 Prozent gestiegen sind und jetzt bei durchschnittlich 7.300 Euro pro Quadratmeter in Wien liegen. Und es setzt sich in den Mietpreisen am privaten Markt fort, wo der Quadratmeterpreis 2021 bei frei finanzierten Wohnungen bei 12,85 Euro Nettomiete liegt.

Qualitätskontrolle dringend erforderlich

Die Analyse macht deutlich: Ohne wettbewerbliche oder qualitätssichernde Vorgaben ergibt sich am frei finanzierten Markt ein enormer Spielraum. Es obliegt den Entwickler:innen, höhere Qualitäten umzusetzen – oder eben nicht. Im Vergleich dazu wird im geförderten Wohnbau durch das Vier-Säulen-Modell in Bauträgerwettbewerben Qualität in den Bereichen soziale Nachhaltigkeit, Ökonomie, Ökologie und Architektur sichergestellt. Die Rahmenbedingungen, unter denen Wohnbau entwickelt wird, sind entscheidend: Gibt es qualitätssichernde Vorgaben, werden bessere Resultate erzielt. Fehlen derartige Verfahren, geht umgekehrt die Tendenz hin zur bloßen Erfüllung der Mindestanforderungen. In diesem Zusammenhang setzt die Stadt Wien gerade einen Qualitätsbeirat für frei finanzierte Wohnbauvorhaben um. Es wird für die Zukunft von entscheidender Bedeutung sein, dass dieser Beirat auch tatsächlich mit den nötigen Kompetenzen ausgestattet wird und bei möglichst vielen Bauvorhaben zum Einsatz kommt. Zusätzliche Instrumente wie verbesserte städtebauliche Verträge und Widmungsabgaben müssen umgesetzt werden, um den frei finanzierten Wohnbau stärker in die Pflicht zu nehmen.

Preisbremse beim Wohnen

Um die Leistbarkeit von Wohnen in Wien erhalten zu können, ist es wichtig, der Dynamik am frei finanzierten Markt entgegenzuwirken. Dazu sollte kurzfristig ein Anheben der Kategoriemieten nur mehr einmal im Jahr und begrenzt auf maximal 2 Prozent erlaubt sein. Langfristig braucht es eine Reform des Mietrechtsgesetzes. Weiters müssen befristete Mietverträge bis auf Ausnahmefälle abgeschafft werden, da sie ein Instrument für regelmäßige Mieterhöhungen sind. Drittens muss der Bund eine Leerstandsabgabe in wirksamer Höhe ermöglichen: Abgesehen vom privaten Markt ist vor allem der soziale Wohnbau weiter auszubauen, da hier leistbarer, stabiler und qualitätsvoller Wohnraum entsteht. Die wichtigste Drehschraube ist die Bodenpolitik: Öffentliche Grundstücke sollen nur mehr an den geförderten Wohnbau gehen und die Widmungskategorie „Geförderter Wohnbau“ muss weiter konsequent umgesetzt und ausgebaut werden.

Grafik: Forderungen für Besserungen im Wohnbau
Grafik: A&W-Blog

Dieser Beitrag wurde am 27.09.2022 auf dem Blog Arbeit & Wirtschaft unter der Creative-Commons-Lizenz CC BY-SA 4.0 veröffentlicht. Diese Lizenz ermöglicht den NutzerInnen eine freie Bearbeitung, Weiterverwendung, Vervielfältigung und Verbreitung der textlichen Inhalte unter Namensnennung der Urheberin/des Urhebers sowie unter gleichen Bedingungen.

Titelbild: Aneta Pawlik auf Unsplash

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