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Chiles vorerst verpasster Neuanfang

Trotz der (vorläufigen) Ablehnung der progressiven Verfassung in Chile durch die Bevölkerung können wir daraus lernen, meint Ilse Kleinschuster im Gastkommentar.

In diesem Beitrag zum Gastkommentar von Ulrich Brand in der „Wiener Zeitung“, möchte ich mich vornehmlich auf seine Bemerkung beschränken, dass Chile – vorbehaltlich des Ausgangs der Abstimmung – ein „ökologischer Staat“ werden könnte – folglich „wir“ diese neue zum Referendum vorgelegte Charta als Modell für Fragen zu einer sozialökologischen Reform sehen sollten. Ulrich Brand ist Professor für Internationale Politik an der Universität Wien und leitet dort den Forschungsverbund Lateinamerika. Er nahm Anfang August an einer internationalen Konferenz zum Verfassungsentwurf in Santiago de Chile teil.

Ulrich Brand meint, wenn „wir“ – die krisengeschüttelte Gesellschaft der reichen Industrieländer – den am 4. September 2022 in Chile vorerst abgelehnten  Entwurf zur neuen Verfassung als ‚Werkzeugkasten‘ hernähmen, könnte auch der ‚globale Norden‘ – „wir“ – von den ‚epochalen Veränderungen‘ in Chile etwas lernen?

Gedankt sei zunächst Ulrich Brand für diesen Beitrag –, gedankt sei aber auch seiner Veröffentlichung durch die „Wiener Zeitung“, die immer wieder ihre mediale Verantwortung beweist, nicht nur gegenüber ihrer Berichterstattung zu aktuellen Ereignissen, sondern auch in Hinblick auf das konstruktive Aufzeigen von Zusammenhängen.

Grundsätzlich waren und sind es immer starke Konflikte um Weltanschauungen und Werte, die, sich radikalisierend, zu sozialen Aufständen geführt haben und führen. Jedoch, warum kommt es im globalen Süden und jetzt speziell in Chile viel stärker als bei uns seit Jahren zu extremer Politisierung? Ich vermute, es ist nicht zuletzt wegen der mutigen Vertretung indigener Kräfte im Süden, wo es um weitreichende Landrechte geht und um relevante Konflikte mit aktuellen mächtigen Landbesitzern und ressourcengierigen internationalen Unternehmen. Könnte es sein, dass vor allem aus derartig existentiellen Konflikten heraus sich die Erkenntnis der hohen Bedeutung von Umwelt/Natur beschleunigt und dass dies für die Buen Vivir-Bewegung als Katalysator gewirkt hat, diesmal vielleicht zum Vorteil für eine mögliche „epochale Veränderung“?

Hopeful change

Könnte also diese neue Verfassung für Chile, eine in Zukunft mögliche positive Abstimmung dafür, der Katalysator für eine globale ökosoziale Transformation, einen Wandel, „the hopeful change towards wellbeing“ bedeuten!?!

Ulrich Brand schreibt: „Die Umsetzung der neuen Charta würde auch bedeuten, dass der Ressourcenhunger des globalen Nordens anders gestillt werden muss, als das bisher der Fall und geplant ist. Chile ist bisher nicht nur der weltweit größte Exporteur von Kupfer, sondern künftig soll mit dem als „weißes Gold“ bezeichneten Lithium der Umstieg auf Elektroautos in Ländern wie Deutschland und China vorangetrieben werden. Würden die neuen Bestimmungen umgesetzt, müsste viel stärker auf die sozialen und ökologischen Bestimmungen der Rohstoffförderung geachtet werden. Und die lokale Bevölkerung würde das Recht bekommen, gegebenenfalls die Ressourcenextraktion zu untersagen.

Insofern könnten von Chile, wohl im Verbund mit anderen linken Regierungen in Lateinamerika, wie etwa jener neuen in Kolumbien unter Gustavo Petro oder nach den Präsidentschaftswahlen im Oktober womöglich in Brasilien, Initiativen zur Reform der Weltwirtschaft ausgehen. Diese gerechter und ökologischer zu gestalten, ist eine internationale Grundbedingung, um viele zur Abstimmung stehenden Ziele der neuen Verfassung zu erreichen. Doch dafür bedarf es nicht nur eines angemessenen rechtlichen Rahmens, sondern einer viel umfassenderen Veränderung der extrem ungleichen Lebens- und Machtverhältnisse in Chile.“

Nun, das Volk der Chilen*innen hat sich leider gegen diese Charta entschieden. Aber, es wird an ihr weiter gebastelt und noch habe ich Hoffnung, dass wir daraus lernen werden, dass wir „ein gutes Leben für alle“, ein „wellbeing“- Programm dann endlich politisch umsetzen können, wie es ja jetzt schon vielfach propagiert und probiert wird.

Da taucht wiederum die grundsätzliche Frage eines neuen Wertedenkens auf: „Wie können wir lernen fairer zu verteilen?“, die Mathias Schütz kürzlich am Podium der Jubiläumsveranstaltung des Club of Rome so schön umformuliert hat in die Frage: „Wie kann man die Stärke des Rechts der fairen Umverteilung gegen das Recht des Stärkeren durchsetzen?!?“


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Titelbild: Luis Villasmil auf Unsplash

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