Englischer Rekordsommer
Mehr als zwei Milliarden Euro gaben die Klubs der englischen Premier League in diesem Sommer auf dem Transfermarkt aus. Ein neuer Rekord, der sinnbildlich für die ungleichen Kräfteverhältnisse im europäischen Männer-Fußball steht.
Von Moritz Ettlinger
23 Jahre lang mussten die Fans auf diesen Moment warten, am 29. Mai 2022 war es dann endlich soweit: Nottingham Forest besiegte Huddersfield Town im Finale des Championship-Playoffs mit 1:0 und kehrte damit nach langer Zeit im englischen Unterhaus in die Premier League zurück. „Ich bin seit 1993, als ich fünf Jahre alt war, ein Forest-Fan. Es ist wirklich aufregend, wieder dabei zu sein“, sagte Tom Newton (34) der BBC.
Und Nottingham Forest will dabei bleiben. Dafür sollen neben Erfolgstrainer Steve Cooper vor allem die im Sommer verpflichteten Neuzugänge sorgen. Morgan Gibbs-White kam für knapp 30 Millionen Euro von den Wolverhampton Wanderers, für Taiwo Awoniyi bezahlte Nottingham 20,5 Millionen Euro an Union Berlin, 20 erhielt der FC Liverpool für Neco Williams. Allzu große Namen waren keine dabei, doch die Summe hat es in sich: 162 Millionen Euro investierte der Premier-League-Rückkehrer in insgesamt 16 Spieler, nur vier Klubs gaben europaweit in den letzten Wochen mehr aus.*
Premier League auf anderem Stern
Es ist ein Sinnbild für die Kräfteverhältnisse im europäischen Männerfußball des Jahres 2022. Niemand kann in finanzieller Hinsicht auch nur ansatzweise mit England mithalten. Allein die drei Aufsteiger Bournemouth, Fulham und eben Nottingham Forest haben höhere Ausgaben zu Buche stehen als die gesamte portugiesische Liga.
Generell war es in Sachen Transfers ein weiterer Rekordsommer für die womöglich beste Liga der Welt. Erstmals in der Geschichte knackten die Gesamtausgaben der Premier-League-Klubs die 2-Milliarden-Marke, das Einnahmen-Ausgaben-Minus von 1,35 Milliarden Euro stellt ebenfalls einen neuen Höchstwert dar. Lukrative TV-Verträge, hohe Sponsoring-Einnahmen und schwerreiche Eigentümer*innen machen’s möglich.
Da wirken die Zahlen der verbleibenden Top-5-Ligen vergleichsweise mickrig: Rund 750 Millionen Euro investierten die Teams der italienischen Serie A in neue Spieler (bei einem Transferplus: von ca. 7 Million Euro), in der französischen Ligue 1 gaben die 20 Mannschaften etwa 558 Millionen Euro aus (Transferplus 40,6 Millionen Euro), in der spanischen Primera División waren es rund 506 (Transferminus: 50 Millionen Euro), in der deutschen Bundesliga 484 Millionen Euro (Plus: 44,7 Millionen Euro).
Noch deutlicher wird der Klassenunterschied bei einem Blick auf die einzelnen Vereine: Unter den 13 Klubs mit den meisten Ausgaben in diesem Transferfenster sind mit dem FC Barcelona, Bayern München und Paris St. Germain nur drei am europäischen Festland beheimatet, die restlichen zehn kicken auf der Insel. Allein die ersten vier Teams dieser Liste, namentlich Chelsea, Manchester United, West Ham United und Tottenham, legten mehr Geld für neue Stars auf den Tisch als alle Klubs der Serie A zusammen.
Rasante Entwicklung
Ein Blick zurück zeigt, wie rasant sich die Zahlen auf dem Transfermarkt entwickelt haben. Schon vor zehn Jahren, im Sommer 2012, waren die Summen, die zwischen den Teams und Ligen verschoben wurden, für die meisten Menschen kaum greifbar. Thiago Silva wechselte etwa für 42 Millionen Euro zu Paris St. Germain, Javi Martinez für 40 Millionen Euro zu Bayern München und Eden Hazard für 35 Millionen zum FC Chelsea.
Auch damals lag die Premier League mit rund 626 Millionen Euro an der Ausgaben-Spitze Europas, dahinter folgten Serie A und deutsche Bundesliga. Die Gesamtausgaben der fünf größten Ligen beliefen sich auf ca. 1,66 Milliarden Euro, das Transferminus lag bei knappen 400 Millionen. Summen, die in der Jetzt-Zeit wohl maximal eine Randnotiz wären.
Im Sommer 2022 gaben die Vereine der höchsten englischen Spielklasse alleine mehr Geld für Transfers aus als alle Top-5-Ligen im Jahr 2012 gemeinsam. Das Transferminus jener fünf Ligen zusammengerechnet beläuft sich nicht einmal auf ein Drittel des Verlustes, den Manchester United, Chelsea und Co. nach der aktuellen Transferphase zu verbuchen hatte. Zwischen den beiden Sommern liegen Welten.
Rekorde auch in Österreich
Zurück in die Gegenwart: Die heimische Bundesliga darf sich ein paar Stufen unter den Top-Teams über einen neuen Einnahmen-Rekord freuen. Um insgesamt 122,7 Millionen Euro verkauften Österreichs Klubs Spieler ins In- und Ausland, bei Ausgaben von rund 40 Millionen Euro macht das ein Transferplus von über 83 Millionen Euro. Der Großteil der Transfers geht auch in diesem Jahr auf Serienmeister Red Bull Salzburg zurück, der seinen Kader um 29,5 Millionen Euro verstärkte und Aaronson, Adeyemi und Co. um über 90 Millionen Euro verhökerte.
Für Aufsehen sorgte der Transfer des Dänen Rasmus Højlund, der sich dem italienischen Erstligisten Atalanta Bergamo anschloss und Sturm Graz damit eine Rekordsumme von 17 Millionen Euro bescherte – ein Novum in der Bundesliga außerhalb von Salzburg. Noch Anfang August hatte Sturm-Sportchef Andreas Schicker einen Verkauf des 19-Jährigen in diesem Sommer im Interview mit dem kicker ausgeschlossen.
„Mir geht es nicht um irgendwelche Ablösesummen. Meine Pflicht als Sportdirektor ist, den Zeitpunkt für einen Transfer zu erkennen. Das ist bei Rasmus noch nicht der Fall und wird in diesem Transfersommer kein Thema sein“, meinte Schicker damals. Wenige Wochen später sah die Sache dann anders aus: “Diese Summe ist eine neue Dimension”, sagte der Sportgeschäftsführer dem Standard. Da könne Sturm Graz nicht Nein sagen.
*Quelle für alle Zahlen: transfermarkt.at (Stand: 02.09.2022, 10 Uhr)
Titelbild: Larry RW auf Unsplash
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