Eine Ratte, die mit ihrem Nasenloch Flöte spielt
Philipp K. Dicks Roman, „Nach der Bombe“ neu gelesen. Von Max Sternbauer
Ein längerer Krankenhausaufenthalt bietet eine gute Gelegenheit – überraschend ähnlich wie lange Zugfahrten – ruhige Stunden für Lektüren zu haben. So eine Chance bot sich mir heuer mit Dicks Buch „Nach der Bombe“. Es hatte sich schon länger in meinem Regal befunden, doch hatte ich lange nicht die Muse gehabt es in die Finger zu nehmen.
Philipp K. Dick gehört zu den bekannteren Science-Fiction-Autoren der USA; ob das an seinen Lesern liegt, oder an der immensen Anzahl von Verfilmungen seiner Bücher, kann hier nicht beantwortet werden. Wahrscheinlich hält es sich dahingehend die Waage.
Dick war auch bekannt für seine gigantische Produktion von Texten, eine Legende besagt sogar, dass bis zu sechzig Seiten pro Tag an seinem Schreibtisch geschrieben worden seien.
Der Mann hatte also viel zu sagen, und was er zu sagen hatte: Künstliche Realitäten, Umweltzerstörung, Identitätskrisen des modernen Menschen; wir sind heutzutage fleißig dabei, Dicks Visionen wahr werden zu lassen. Ich warte schon sehnsüchtig darauf, wann mich mein Postroboter fragt, was das Wesen der Existenz sein soll. Vielleicht können wir es dann beide in Zusammenarbeit herausfinden.
Mit „Nach der Bombe,“ wagte sich Dick an ein Szenario, wie die Welt nach einem Nuklearkrieg aussehen könnte, z.B. der Alltag in einer verwüsteten Welt. Die ersten Pointen im Buch werden schon an dieser Stelle interessant, denn Dick lässt nicht viel Raum um die Angst VOR einem Krieg zu beschreiben und wie sie eine Gesellschaft lähmen könnte. Bei ihm fallen die Bomben schon auf den ersten Seiten.
In anderen Geschichten steht aber genau das im Vordergrund: die Furcht vor der Krise und wie man sie verhindern kann. Wenn es schlecht läuft, wie in einer Dystopie, sehen die Protagonisten noch die Atompilzwolken und das Picknick ist damit beendet. Dick schlägt aber einen anderen Weg ein.
Ein vergangener Gedanke über eine mögliche Zukunft
Das Buch ist 1964 verfasst worden, und deren Handlung spielt einige Jahre später, im Jahr 1972. Ort der Handlung, ist, wie meistens in seinen Büchern, Nordkalifornien. Wegen nicht genauer genannter Umstände kam es zum Einsatz von Nuklearwaffen. Die Überlebenden müssen sich mit den Umständen arrangieren, wie zerstörte Städte und mutierte Tiere. Hier kommt eine weitere Besonderheit des Buches zum tragen, Dick beschreibt diese Welt nicht als Dystopie.
Besonders fröhlich ist der Grundton dieses Buchen natürlich nicht, aber es wird nicht über ein Jammertal geschrieben, in denen die Menschen in einen Bunker hocken und sich gegenseitig auffressen. In dieser Welt, werden Autos von Pferden gezogen, Menschen betreiben Tauschhandel, und es gibt an manchen Stellen sogar den Versuch die Zivilisation im bescheidenen Maß wieder aufzubauen.
Die Handlung konzentriert sich auf einen Landstrich, West Marin County, nördlich von San Francisco gelegen. Das ist ein Markenzeichen von Dick, der sehr oft seine Handlungen in seiner Heimat der Bay Area in Kalifornien angelegt hat. Für einen Science-Fiction-Autor hatte Dick immer ein gutes Auge für seine Umgebung und seine Mitmenschen gehabt. Denn in „Nach der Bombe“ wird auch der US-amerikanischen Gesellschaft der Sechziger ein Spiegel vorgehalten. So wird an manchen Stellen des Buches, der alltägliche Rassismus gegenüber Afroamerikanern erwähnt, den selbst ein Atomvorfall nicht hatte auslöschen können.
Eine weitere Besonderheit, neben dem Lokalkolorit, zeigt sich auch hier, dass Dicks Fokus im alltäglichen Leben der Menschen liegt. Das war bei ihm keine Seltenheit, sondern die Regel. In vielen anderen Science-Fiction-Storys ging es um den Kampf einer Person, gegen ein repressives System (Big Brother). Meist dienten diese Geschichten als Warnung vor zukünftigen technischen Gefahren, z.B. kollektive Überwachung. Bei Dick war immer der Alltag von normalen Personen im Vordergrund und kein spannungsgeladener Plot, wie ein Agent einen Diktator stürzt. Die Handlung tröpfelt ganz im Gegenteil vor sich hin, es gibt zwar einen bösen Antagonisten, aber der schmiedet keine größenwahnsinnigen Pläne die Menschheit zu unterjochen.
So viel kann ich verraten, ich habe nicht ganz kapiert wie seine konkreten Ziele aussehen sollen. Dieser Punkt ist auch eine sehr gute Überleitung, um über die Ratte zu reden.
Die Ratte, alle sind verrückt, und Verschwörungen gibt es überall
Eine Figur hat sich Dick auf den Leib geschrieben, ob das Absicht war kann ich mit besten Willen nicht sagen. Diese Figur ist Dr. Bluthgeld (auf Englisch, Dr. Bloodmoney), ein Wissenschaftler der für das Atomprogramm tätig gewesen war, und sich wegen den Vorfällen große Vorwürfe macht und in der Gesellschaft versteckt hält.
Im Laufe der Geschichte, verliert der Wissenschaftler zunehmend den Verstand, bis er dann glaubt mit purer Kraft seines Geistes Atombomben fallen lassen zu können. Der schon erwähnte Antagonist ist dahingehend psychisch nicht viel stabiler.
Er ist ein körperlich eingeschränkter Mensch, der als Techniker tätig ist und mit seinen künstlichen Armen Gegenstände repariert und baut. Er hat auch noch einen Draht in das Jenseits und sieht das Ereignis der Katastrophe voraus. Nicht zu vergessen, dass er auch noch über die Fähigkeit der Telekinese verfügt, also er kann Dinge mit seinen Gedanken bewegen. Das scheint aber im Kalifornien, nach dem Tag X niemanden mehr groß zu wundern.
So verfügt ein Schäferhund über eingeschränkte Fähigkeiten zu verbaler Kommunikation, und eine Ratte spielt Flöte, wobei man das selbst nur von einer Figur erzählt bekommt.
Wie schon so oft bei Dick muss man sich auch in dieses Buch auf sehr viel schräges Zeug gefasst machen, was auch noch Leser:innen überraschen kann, die schon etwas Training in Sachen Dick genossen haben. Sein Hang zum Wahnsinn und Paranoia, können einem beim Lesen manchmal doch verstören, deswegen sollte man darauf vorbereitet sein. Mein Tipp dabei ist, sich vorzustellen eine sehr verstörende Version von Alice im Wunderland vor sich zu haben. Bei dem Buch ist sofort jedem klar: Das wird eine besondere Leseerfahrung.
Dicks Buch ist ohne jeden Zweifel eine tolle Erfahrung. Weil es – trotz seines Themas – ein sehr positives Buch ist, was auch zeigen soll, das Menschen auch in den schlimmsten sich vorzustellenden Katastrophen Menschen bleiben können. Und diese Nachricht war zu Dicks Zeiten, zwei Jahre nach der Kuba-Krise, genauso relevant wie heutzutage – und das wird wohl auch immer so bleiben.
Also können sich Menschen, trotz Pandemien, kompletten Nonsens-Kriegen und der EU-Richtlinie zur Unterscheidung von Marmelade und Konfitüre darüber trösten, dass möglicherweise auch nach einem Atomkrieg, Kontaktanzeigen in der Zeitung zu finden sein werden.
Titelbild: Coverbild „Nach der Bombe“ von Philip K. Dick, Fischer Klassik