Stadt für alle braucht öffentlichen Raum
Von Malena Haas, Mara Veric und Sina Moussa-Lipp (A&W-Blog)
Während zunehmend internationale Investor:innen sich mit gut gekühlten Anlegerwohnungen bereichern, ist ein Großteil der Wiener Bevölkerung auf Erfrischung in Straßen, Plätzen und Parks angewiesen. Zusätzlich rollt im dritten Pandemiesommer nicht nur die nächste Corona-Welle an, sondern längst brach eine massive Teuerungswelle über uns herein. Das führt unter anderem dazu, dass viele Wienerinnen und Wiener den Sommer in der Stadt verbringen. Für die Arbeiterkammer Grund genug, eine dritte Auflage der Veranstaltungsreihe „Summer in the City“ zu machen, mit einem dichten kostenlosen Programm und Rechtsberatung in Grätzeln mit wenig finanziellen Ressourcen. Was brauchen wir, um das „Betongold der vielen“, den öffentlichen Raum, angenehm zu gestalten?
Ein guter Sommer für alle in der Stadt?
Die Pandemie brachte Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit, Homeschooling, psychische und körperliche Belastungen – dazu kommt jetzt eine massive Teuerungswelle. Im 3. Corona-Sommer werden daher noch mehr Menschen bei hohen Temperaturen in der Stadt bleiben. Allerdings besitzt die Hälfte aller Wiener:innen keinen eigenen Balkon oder Garten. Öffentlicher, frei zugänglicher Raum mit hoher Aufenthaltsqualität in der Stadt ist daher eine der wertvollsten Ressourcen für Gesundheit, Erholung und Freizeit.
Im Zuge der Pandemie und insbesondere während der Lockdowns entdeckten viele Stadtbewohner:innen den öffentlichen Raum neu. Die Verfügbarkeit und Zugänglichkeit von Raum und Frischluft sind im urbanen Kontext keine Selbstverständlichkeit. 28,5 Prozent der städtischen Bevölkerung leben in überbelegten Wohnungen, das betrifft insbesondere armuts- und ausgrenzungsgefährdete Haushalte. Die Sicherstellung und großzügige Ausstattung mit qualitativen, nicht kommerzialisierten Räumen tragen einen wesentlichen Teil dazu bei, dass sich auch Menschen, die weder in großzügigen Wohnungen leben noch sich den täglichen Schanigartenbesuch leisten können, entsprechende Möglichkeiten haben, sich zu regenerieren. Das ist entscheidend für die psychische Gesundheit und wirkt kompensierend für hohen emotionalen Stress, der durch räumliche Dichte und beengte Wohnverhältnisse entstehen kann.
Prognose: Gesteigerter Nutzungsdruck
Die Jahre der Pandemie machten bereits eine deutliche Zunahme an sozialer Ungleichheit sichtbar. Die allgemeine Teuerung der letzten Monate bringt nun für noch breitere Bevölkerungsgruppen merkbare Einschränkungen und Auswirkungen auf das Sozialleben. Für die Betroffenen führt dies zum Rückgang bzw. Verzicht von Urlauben und kostenpflichtigen Kunst- und Kulturerlebnissen, aber auch Abstrichen bei Mitgliedschaften, etwa bei Sportvereinen. Treffpunkte werden an konsumfreie Orte ausgelagert, zum einen aus Gründen der Kostenersparnis, zum anderen um dem Risiko einer Covid-Infektion vorzubeugen.
Der öffentliche Raum erfreut sich schon jetzt einer gesteigerten Nutzung – dies wirft neue Fragen auf und stellt jene Orte mit hoher Aufenthaltsqualität auf die Belastungsprobe: Gibt es ausreichend Angebot für unterschiedliche Nutzer:innengruppen? Wird der öffentliche Raum den Bedürfnissen von armuts- und ausgrenzungsbetroffenen Menschen ebenso gerecht wie kaufkräftigen Spaziergänger:innen auf Flaniermeilen? Gibt es ausreichend kostenfrei zugängliche Toiletten bzw. Sitzmöbel und Erholungsräume für jene, die über keinen qualitativen Wohn- und Rückzugsraum verfügen?
Ungleiche Verteilung von Freiraum
Ressourcen wie finanzielle Reserven, Einkommenshöhe, gesicherte Arbeitsverhältnisse, Betreuungs-, und Versorgungsarbeit und auch körperliche wie psychische Gesundheit und
Fähigkeiten sind nicht zufällig über die Wiener:innen verstreut. Sie verteilen sich sozialstrukturell entlang von Klasse, Gender und Migrationshintergrund und führen dazu, dass manche Wiener:innen deutlich weniger Möglichkeiten für den Sommer vor sich haben als andere. Wie gut jedoch die öffentlichen Infrastrukturen und Angebote sind, hängt in Wien auch davon ab, wo man wohnt. Die Erreichbarkeit von Grünraum und Parks, die Ausstattung mit Spielplätzen, Sitzgelegenheiten, Schattenplätzen, Sportmöglichkeiten und Bädern, die Verfügbarkeit von öffentlichen Verkehrsmitteln und von Infrastrukturen für Fahrrad und Fußgänger, die Angebote von Betreuung und Unterhaltung von Kindern und Jugendlichen – all das trägt zum Gelingen eines Sommers in der Stadt bei.
Rund die Hälfte der Fläche der Stadt Wien ist Grünraum – eine vergleichsweise nahezu luxuriöse Ausstattung. Theoretisch stehen rund 95 Quadratmeter Grünraum pro Person zur Verfügung, jedoch ist das Grün sehr ungleich über den Stadtraum verteilt. Während einer Person in Hietzing durchschnittlich bis zu 500 Quadratmeter zur Verfügung stehen, sind es in Bezirken wie Margareten, Rudolfsheim-Fünfhaus oder Neubau gerade einmal fünf. Und auch innerhalb der Bezirke ergeben sich große Diskrepanzen, für wen eine Grünfläche fußläufig leicht erreichbar ist und für wen nicht. Auch Sportplätze, Parkangebote und Kinderspielorte sind nicht in allen Wiener Bezirken in gleicher Anzahl zu finden und nicht für alle Wiener:innen gleich leicht zu erreichen. Hinzu kommt, dass die Erreichbarkeit mancherorts durch fehlende Fahrradwege oder eingeschränkte Gehwege erschwert wird. Damit in Zusammenhang steht auch die Verteilung von Hitze in der Stadt, die dieses Jahr bereits im Juni deutlich zu spüren war.
Städtische Erlebnisräume für junge Menschen
Seit 2015 ist Wien jüngstes Bundesland. Gerade junge Menschen mussten in den letzten Jahren mehrfache Herausforderungen stemmen. Einerseits ist das Auskommen mit dem Haushaltseinkommen („sehr gut“ oder „einigermaßen“) von insgesamt 85 Prozent im Jahr 2008 auf 74 Prozent 2018 gesunken. Andererseits steigt die Wohnkostenbelastung junger Menschen, sofern sie sich das Ausziehen von daheim leisten können. Bereits vor der aktuellen Teuerung machten die Wohnkosten junger Wiener:innen 2018 durchschnittlich 30 Prozent ihres Haushaltseinkommens aus. Hinzu kommt, dass immer mehr junge Wiener:innen nicht mitbestimmen dürfen, in welche Richtung sich ihre Stadt entwickeln soll. In Wien sind 30 Prozent der über 16-jährigen Bürger:innen nicht wahlberechtigt, bei den jüngsten Bevölkerungsgruppen noch mehr.
Und auch in der Freizeit gibt es Herausforderungen, die den öffentlichen Raum betreffen. Besonders Kids und junge Menschen sind auf ein qualitätsvolles Wohnumfeld angewiesen, nicht jeder hat ein eigenes Zimmer oder Haus mit Garten. Außerdem ist ein bunter Blumenstrauß an Freizeitmöglichkeiten wichtig, in jungen Jahren wird der Grundstein für eine lebenslange Begeisterung für Sport und Kultur gelegt. Stadträume, um sich auszutoben, laut zu sein, sich entfalten zu können, sind deswegen besonders essenziell. Junge Menschen müssen die Stadt entdecken können, auch diejenigen, die sich teure Unterhaltungsprogramme nicht leisten können.
Öffentlicher Raum für alle
Es gibt bereits eine Vielzahl an wertvollen Überlegungen zu hochwertigem öffentlichem Raum in Wien. Dennoch ist das weitläufige Netz an kapitalgetriebenen Gestaltungen und konsumorientierter Infrastruktur der Stadt nicht zu übersehen. Die zunehmende Sichtbarkeit von Armut auf Wiens Straßen mag für die gewinnorientierten Geschäftsleute dabei wie ein störender Fremdkörper wirken. Damit Menschen mit wenig finanziellen Ressourcen in Wien nicht zum „unerwünschten“ Hintergrundpublikum werden, bedarf es eines Umdenkens in der Kultur des öffentlichen Raumes. Die Menschenrechtsstadt Wien ist jetzt mehr denn je gefordert, sich mit ihren Angeboten gezielt an „die vielen“ zu richten und die Erfolgskriterien für gelungene Gestaltung an deren Nutzungsbedürfnissen auszurichten.
Die Arbeiterkammer Wien möchte auch heuer einen Beitrag für einen guten Sommer in der Stadt für alle leisten und geht daher mit der Veranstaltungsreihe „Summer in the City“ in die dritte Auflage. Das Programm soll zur vielfältigen und flexiblen Nutzung öffentlicher Räume ermutigen und Möglichkeiten von unkonventioneller Mehrfach- und Zwischennutzung aufzeigen.
Damit Wiens öffentlicher Raum den sozialen Anforderungen der Zukunft gerecht wird, braucht es gezielte Maßnahmen:
Titelbild: Arno Senoner auf Unsplash