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Demokratie braucht Jugend

Sozioökonomisch Benachteiligte wenden sich verstärkt vom politischen System ab, ein immer größerer Teil der Bevölkerung ist vom Wahlrecht ausgeschlossen, und junge Menschen fühlen ihre Interessen in dramatischem Ausmaß von der Politik nicht mehr berücksichtigt.

Von Boris Ginner und Katharina Hammer (A&W-Blog)

Nicht gehört – trotz Mehrfachbelastung und trüber Aussichten

Corona-Pandemie, Klimakatastrophe, Krieg in Europa und eine galoppierende Teuerung. Das sind trübe Zukunftsaussichten – nicht nur, aber speziell für junge Menschen! Laut einer aktuellen SORA-Studie machen sich 87 Prozent der Jungen Sorgen wegen des Kriegs, 67 Prozent wegen des Klimawandels, 59 Prozent wegen der auseinandergehenden Schere zwischen Arm und Reich und weitere 55 Prozent wegen der Pandemie und ihren Folgen. Drei Viertel (74 Prozent) der 16- bis 25-Jährigen fühlen sich und ihre Interessen von der Politik nicht gehört. Ein Wert, der unter Schüler:innen, Lehrlingen und Jugendlichen aus finanziell schwieriger Lage noch deutlich höher liegt. Das Missmanagement der Corona-Pandemie, monatelanges „Distance Learning“, aber auch Vereinsamung, Isolation und fehlende Sozialkontakte haben die psychischen Belastungen junger Menschen auf Rekordwerte ansteigen lassen: Bei 62 Prozent der Mädchen und 38 Prozent der Burschen zeigte sich 2021 zumindest eine mittelgradige depressive Symptomatik. Angesichts dieser Entwicklung fühlen sich Junge – verständlicherweise – im Stich gelassen.

Steigender Druck und Konkurrenz

Zusätzlich steigt der Druck auf junge Menschen weiter – sowohl in der Schule als auch am Arbeitsmarkt. Jugendliche sind mit wesentlich größeren Unsicherheiten konfrontiert, wenn es um Zukunftsplanung und das Arbeitsleben geht. Sie haben es heute mit prekären Arbeitsverhältnissen zu tun und sind stärker von Arbeitslosigkeit bzw. von der damit einhergehenden Bedrohung von Selbstwert und Selbstvertrauen betroffen als die Generation ihrer Eltern. Diese waren noch an nahezu Vollbeschäftigung und stabil steigende Löhne wie Wohlstandsgewinne gewöhnt.

Junge Menschen sind heute laufend Wettbewerbssituationen ausgesetzt, ob privat, im Bildungssystem oder auch beruflich. Sie konkurrieren und nehmen zugunsten der eigenen Marktpositionierung auch schlechte Arbeitsbedingungen, unbezahlte Praktika oder längere, „flexible“ Arbeitszeiten in Kauf. Und sie müssen dies oft auch tun. Denn Vereinzelung und Leistungsdruck stehen im Schul- und Arbeitsleben auf der Tagesordnung. Hinzu kommt, dass das Leben immer schwieriger leistbar ist, die galoppierende Teuerung trifft Junge besonders hart, denn sie sind mit geringerem Einkommen besonders stark betroffen. Die explodierenden Wohnkosten und die steigenden Energiekosten bedrohen zusätzlich soziale wie räumliche Mobilität.

Möglichkeiten zur Mitbestimmung schaffen – vor allem für sozioökonomisch Schwächere

Es geht ans Eingemachte! Der Weg in die Zukunft ist mit vielen Herausforderungen, Problemen, Risiken, aber auch Versprechen gepflastert. Ganz egal, ob jemand viele oder wenige Ressourcen mitbekommen hat, junge Menschen müssen quer durch alle Schichten die Möglichkeit zur Mitbestimmung bekommen. Sie haben ein Recht auf Mitbestimmung, denn sie sind es, die mit den Folgen der jetzt getroffenen Entscheidungen im Alter leben müssen. Es braucht mehr Möglichkeiten zur Mitbestimmung. Wer gewöhnt ist, mitzureden und sich einzubringen, wird sich generell leichter tun, sich Gehör zu verschaffen. Wenn Demokratie eine Selbstverständlichkeit und ein Fixpunkt im eigenen Alltagserleben ist, wird sie auch vehementer eingefordert und sind auch höhere demokratiepolitische Kompetenzen vorhanden. Speziell sozioökonomisch benachteiligte junge Menschen haben das Gefühl, zu wenig über politische Beteiligungsmöglichkeiten gelernt zu haben – wie eine SORA-Studie aus dem Jahr 2021 zeigt: 56 Prozent der 16- bis 26-Jährigen in finanziell prekärer Lage gaben dies an. Doch auch 38 Prozent derjenigen, die meinen, gut bis sehr gut mit ihrem Einkommen auszukommen, gaben an, zu wenig über Formen politischer Partizipation gelernt zu haben.

Fehlendes Wahlrecht bei den Jungen

Besonders dramatisch ist der Faktor fehlendes Wahlrecht. Denn wie der Integrations- und Diversitätsmonitor der Stadt Wien zeigt, haben in Wien 30 Prozent der Wohnbevölkerung kein Wahlrecht, besonders stark betroffen davon sind junge Menschen: 38 Prozent der 20- bis 24-Jährigen und ganze 42 Prozent der Wiener Wohnbevölkerung zwischen 25 und 44 Jahren haben kein Wahlrecht aufgrund der fehlenden österreichischen Staatsbürgerschaft. Verheerend ist die Situation gerade für jene jungen Menschen, die schon in Österreich geboren wurden, aufgrund der fehlenden Staatsbürgerschaft aber keinen Zugang zum Wahlrecht haben. Diese jungen Menschen werden von der demokratischen Mitbestimmung komplett ausgeschlossen.

Wiener Wohnbevölkerung ohne Wahlrecht, in vielen Altersgruppen dürfen mehr als 40% nicht wählen
Grafik: A&W-Blog

In Österreich geborene Jugendliche mit ausländischer Staatbürgerschaft
Grafik: A&W-Blog

Solidarität als Leitprinzip

Junge Menschen sehnen sich nach Gemeinschaftserlebnissen, Kooperation und kollektiven Gegenerfahrungen zu Konkurrenz und Druck. So stößt in der SORA-Studie „Generation Corona“ der Wert der Solidarität bei ganzen 94 Prozent der jungen Menschen auf Zustimmung – ein Plus von 16 Prozentpunkten seit 2016. Auch die Zustimmung zum Sozialstaat ist gestiegen: Auf die Frage „Welche Sozialleistung ist übertrieben?“ antworteten 68 Prozent mit „Keine“ – 12 Prozentpunkte mehr als 2016. Und junge Menschen wollen auch mitbestimmen. So meinten etwa 68 Prozent der Lehrlinge, sie könnten ohne das Recht zu wählen nicht glücklich sein – ein Plus von neun Prozentpunkten gegenüber 2016.

Junge Menschen, die hier geboren und aufgewachsen sind, brauchen deshalb einen gerechten und fairen Zugang zur Staatsbürgerschaft. Denn ohne Staatsbürgerschaft gibt es auf Landes- und Bundesebene kein Wahlrecht (lediglich EU-Bürger:innen sind in Österreich bei Gemeinderatswahlen bzw. EU-Wahlen wahlberechtigt) und damit keine Möglichkeit, am demokratischen System teilzuhaben.

Darüber hinaus braucht es Räume und Möglichkeiten zur Mitgestaltung: in der Schule, der Gemeinde und im Betrieb. Schuldemokratie muss massiv ausgebaut werden – etwa im Zuge von inhaltlicher Schwerpunktsetzung im Unterricht, einem Klassenrat oder Schüler:innenparlamenten. Denn Demokratie lernt man nicht über Schulbücher, sondern muss man erfahren und leben. Auch in der innerbetrieblichen Mitbestimmung sollten junge Arbeitnehmer:innen gefördert werden, etwa durch eine Stärkung der Jugendvertrauensräte.

Die Politik muss sich öffnen und jungen Menschen mehr Mitgestaltung ermöglichen. Zukunftsentscheidende Themen, wie Absicherung des Sozialstaates, Pandemiebekämpfung oder Klimakrise, müssen mit den Jungen diskutiert werden – nicht über ihre Köpfe hinweg!


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