In den Untiefen der Ukraine-Berichterstattung
Wenn man die medialen Stürme vergangener Tage Revue passieren lässt, können interessante Entdeckungen getätigt werden.
Ein Gastbeitrag von Max Sternbauer
Interessant könnte. z.B. sein, alte Artikel zum Irakkrieg von 2003 zu lesen, um die damalige Situation mit der heutigen zu vergleichen. Ein spannendes Interview findet sich auf der Website der Zeitschrift “Analyse und Kritik”.
Der Interviewte war Jürgen Elsässer, ein bekannter politischer Wendehals, der bei verschiedenen linken Zeitungen Halt gemacht hatte, um dann sein eigenes rechtsradikales Blatt zu gründen. Zur damaligen Zeit, war er aus der Redaktion von Konkret geflogen, weil er eine konträre Meinung zum Irakkrieg geäußert hatte; konträr zu konkret-Herausgeber Hermann Gremliza. Was die Lektüre, zumindest in diesem Fall, wieder zu Tage fördert, ist das alte Dilemma der linken Friedensbewegung: Wann ist es legitim in den Krieg zu ziehen?
Aber, nicht nur aufseiten der Linksextremen wurde und wird dieses Thema heiß debattiert. Sondern auch Liberale und Konservative, können sich die Köpfe heiß reden. Heute wollen wir uns vier Beiträgen widmen, die jeder für sich schon einen eigenen Artikel wert wären.
Überhaupt könnte man sagen, dass wir uns gerade im Abteil der Projektionen befinden. Autor*innen jeglicher Disziplin tun so etwas gerne, Konflikte in fernen Ländern ihre eigenen analytischen Stempel aufzudrücken, um auf gesellschaftliche Phänomene bei sich zuhause hinzuweisen.
Zwar hat der Artikel von Waltraut Schwab „Krieg ist das Ding mit Gemächt,“ erschienen in der TAZ, schon in den sozialen Kanälen diverse Ehrenrunden hinter sich, und ist streng genommen vor dem Krieg erschienen.
Aber naja, thematisch handelt es sich um einen Text, der einen kriegerischen Akt zum Thema hat. Jetzt ist dieser Essay so gesehen nicht schlecht geschrieben; das Thema scheint aber von einem anderen Planeten zu stammen. Denn, Waltraut Schwab analysiert toxische Männlichkeit anhand eines Angriffskrieges, und führt als Beweise beispielsweise auf, dass Kanonenrohre als Phallussymbole interpretiert werden können, und dass der Einmarsch in die weibliche Ukraine einer Vergewaltigung gleichkommt. Interessant ist auch ihr Beispiel, anhand der Beschreibung einer Szene, in der ihr ein Exhibitionist sein Penis in einem Berliner U-Bahnhof zeigt. Das Beispiel endet mit der Feststellung: „Krieg ist das Ding mit Schwanz.“
Was mir bei der TAZ immer öfter auffällt in letzter Zeit, sind Artikel wo ich nicht weiß ob das Satire sein soll, oder nicht. Frau Schwab beschreibt in ihrem Essay, keine Kunstausstellung eines mental entgleisten sexistischen Künstlers, sondern einen realen Krieg. Warum man dieses Thema unter einem Berg Vergewaltigungsmetaphern begraben muss, erschließt sich mir nicht.
Das Spannungsfeld von Kultur und Krieg, hat ein recht interessanter Text auf achgut.com, im Fokus. Unter dem Titel, „Der Woke Weltkrieg,“ thematisiert Daniel Greenfield, inwieweit Twitter-Tweets als Panzerabwehrwaffen praktikabel sein können. Ja, das war jetzt leicht satirisch spitz formuliert, trifft den Nagel aber auf den Kopf.
Eine Überschrift im Artikel lautet. „Cancel Culture taugt nicht als Waffe gegen echte Kriege,“ und in dem Sinne wird US-Präsident Biden vorgeworfen, diese „Cancel Culture“ in dem zwecklosen Versuch die russische Invasion aufzuhalten, eingesetzt habe.
Im Grunde wird über den Begriff „Woke,“ herumgejammert, mit dem Unterton versehen, dass der dekadente verweichlichte Westen wieder lernen muss, gegen die aggressiven Despoten des Osten sich zur wehr zu setzen. Also, von der US-Westküste aus gesehen, wäre die Volksrepublik China dann der despotische Westen.
Für die österreichischen Leser*innen interessant ist Christian Ortners Kolumne, erschienen bei exxpress.at, in der ein brennendes Plädoyer für den Beitritt Österreichs zur NATO, verfasst worden ist.
Die Alpenrepublik könne es sich nicht mehr leisten, in der Bequemlichkeit der Neutralität zu verharren, während andere Länder ihren Beitrag leisten, um den europäischen Way of Life zu verteidigen. Wo jetzt der ganz große systematische Unterschied zwischen der Russischen Föderation und der Republik Österreich sein soll, ich meine grassierende Korruption und Demokratiedefizite gibt es da auch, und dass die geopolitischen Unterschiede von Ländern wie Österreich und Finnland überhaupt nicht beachtet werden, ist schon ein starkes Stück.
Ortner fordert, dass für die kommenden Herausforderungen die Rüstung hochgefahren werden muss, und ist sich den daraus erwachsenden sozialen Problemen durchaus bewusst. Man müsse halt wieder lernen, Verzicht zu üben.
Präsident Autorenvereinigung PEN in Deutschland, ist zurzeit der Journalist Deniz Yücel, der mit seiner Aussage, er befürworte die Errichtung einer Flugverbotszone im Luftraum der Ukraine, hatte aufhorchen lassen. Daraufhin war ein Schreiben von PEN-Mitgliedern veröffentlicht worden, die den Rücktritt Yücels forderten.
Im Zuge der Debatte über Flugverbotszonen, war die Angst vor einem Atomkrieg hie und da aufgetaucht. So auch in einem Youtube-Video der rechtskonservativen Wochenzeitung „die Weltwoche.“ Die betreibt das Format: „Weltwoche daily,“ wo regelmäßig auch der Chefredakteur Roger Klöppel zum Mikro greift und das politische Tagesgeschäft kommentiert. Der Verleger Peter Wanner wurde dafür kritisiert, dass er angeblich einen Atomkrieg billigen würde.
Zumindest stand das im Titel des Videos: „Schweizer Verleger fordert den Atomschlag.“ Klöppel zitiert den Verleger, mit einem Auszug aus seinem Kommentar, erschienen im St. Gallener Tagblatt vom 19.03, in dem auch eine Flugverbotszone von Wanner gefordert wurde. „Denn wer Angst vor einer atomaren Bedrohung äußert, hat schon verloren.”
Ich habe mir diesen Kommentar durchgelesen, und in der Tat wird darin z.B gefordert, dass die NATO sich stärker und vehementer in den Konflikt in der Ukraine involvieren müsse. Und wenn Putin mit Atomraketen droht, soll der Westen dass nicht unkommentiert lassen.
Der Fairness halber muss man anmerken, das der russische Präsident zuerst seine Nuklear-Streitkräfte in Alarmzustand versetzt hatte.
Aber Wanner wird hier nur unvollständig zitiert:
„Nur weil der russische Machthaber droht, Atomwaffen einzusetzen, darf man noch nicht in die Knie gehen. Auf diese Drohung hätte die Nato mit einer Gegendrohung antworten müssen. Denn wenn man Angst vor einer atomaren Drohung äussert, hat man schon verloren.“
Ist zwar in beiden Fällen nicht die feine englische Art, aber Klöppel hat aus meiner Sicht die journalistische Sorgfaltspflicht übelst schleifen lassen. Nur um eine plakative Überschrift zu produzieren, wird ein Vorwurf plump zusammengezimmert. Ja, im Falle der Errichtung einer Flugverbotszone durch die NATO, kann eine atomare Eskalation nicht ausgeschlossen werden. Aber, das hätte man auch nüchterner adressieren können, weil so etwas ist auf dem Niveau der BILD-Zeitung.
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Titelbild: Utsav Srestha auf Unsplash
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