Jämmerliches Bild des Journalismus
Die jüngste ORF-Pressestunde haben Medienkritiker*innen als besonderen journalistischen Tiefpunkt erlebt.
Von Udo Bachmair, Präsident der Vereinigung für Medienkultur
Zu Gast in der TV-Pressestunde war die Grazer Bürgermeisterin Elke Kahr (KPÖ). Dazu zunächst folgende Eingangsfrage, die der Chefredakteur der Kleinen Zeitung, Hubert Patterer, in der Sendung an Elke Kahr gerichtet hat:
„Frau Bürgermeisterin, wir haben ja heute dieselbe Anfahrt gehabt von Graz aus und Sie haben mich leider mit Ihrem rumänischen Flitzer auf den letzten Metern noch abgefangen und überholt; ich lebe selbst in der Stadt und jetzt hat man ja nach diesem Beben von Graz, wie es von den Medien bezeichnet worden ist, noch nicht allzu viel mitbekommen an größeren Veränderungen, es ist auch noch viel unklar, was Sie mit dieser bürgerlichen Stadt denn eigentlich vorhaben. Was man mitbekommen hat, war, dass Sie Eingriff in die Stilistik vorgenommen haben. Sie haben zum Beispiel die Designmöbel Ihres Vorgängers weggeräumt und haben Ihre abgewohnten IKEA-Möbel, was die steirischen Tischler nicht sehr gefreut hat, wie wir mitbekommen haben, hingestellt mit der Kinderspielecke. Jetzt schätz ich Ihre Bescheidenheit, aber unterliegen Sie hier nicht einem Missverständnis, was das Rollenbild betrifft? Sie sind jetzt nicht mehr die Sozialarbeiterin, Sie sind die Managerin der zweitgrößten Stadt in diesem Land, ist Ihnen das bewusst und nehmen Sie diese Rolle an überhaupt?“
So leitete der Chefredakteur der Kleinen Zeitung also die ORF-Pressestunde mit Elke Kahr ein. Kahr ist seit 3 Monaten Bürgermeisterin von Graz und hat sich weit über die Grenzen ihrer Partei, der KPÖ, einen positiven Namen als besonders engagierte und ehrliche Sozialpolitikerin gemacht.
Ein im Zusammenhang mit einer ORF-Pressestunde bisher beispielloser Shitstorm hat in den Social Media als Reaktion auf herablassende und untergriffige Fragen an die Grazer Bürgermeisterin eingesetzt. Gemeinsamer Tenor der Reaktionen: Patterer sowie die ORF-Redakteurin Claudia Dannhauser hätten ein jämmerliches Bild des österreichischen Journalismus gezeigt.
„Selbst auf wirklich dumme und feindliche Fragen gibt es g`scheite Antworten,“ schreibt etwa Martin Margulies aus Wien. Und Franz Schnabl, nö. Landeshauptmannstv. (SPÖ) ebenfalls auf Twitter: „Das Ende der Ära Kurz muss für manche ja wirklich schmerzhaft sein, wenn man einer gewählten Bürgermeisterin derart arrogant und besserwisserisch begegnet“. Stellvertretend für viele andere ortet auch Lukas Resetarits einen „Tiefpunkt des österreichischen Journalismus“.
Und die Journalistin Cathrin Kahlweit von der Süddeutschen Zeitung resümiert:
„Habe mir die Pressestunde angeschaut: Man kann von Elke Kahr viel lernen: cool bleiben, sachlich bleiben, bei sich bleiben, nicht auftrumpfen, nicht augenrollend verraten, was man denkt.“
Titelbild: Gerhard W. Loub, MSc auf Flickr / CC BY-NC 2.0
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