„Aussichten auf den Öko-Leviathan?“: konkrete Fragen, abstrakte Antworten
Was tun, wenn der drohende ökologische Kollaps auf demokratischem Wege nicht abzuwenden ist? Dimmel und Noll stellen drängende und unangenehme Fragen, konkrete Antworten bleiben sie schuldig. – Sonntag ist Büchertag
Von Johannes Greß
An markanten, ja provokanten Worten mangelt es dem Buch gewiss nicht. „Öko-Leviathan“, „Climate-Mao“, „Ökodiktatur“, um nur einige zu nennen. Nikolaus Dimmel und Alfred J. Nolls „Polemik“ über die „Aussichten auf den Öko-Leviathan“ (bahoe books, 2021) trifft den Zahn der Zeit – aber den falschen Ton.
Dimmel und Noll werfen Fragen auf, die sich wohl viele, zumindest insgeheim, schon mal gestellt haben: wäre nicht alles einfacher, wenn wir langwierige demokratische Verfahren beiseitelassen, um den Herausforderungen unserer Zeit – Klima, Corona – adäquat zu begegnen? Ist ein autoritärer Regierungsstil nicht sogar unsere einzige Überlebenschance, weil demokratische Institutionen schlichtweg zu ineffizient sind? Unterton: In China scheint‘s ja auch zu funktionieren…
Ein Billigschnitzel ist an sich nichts Schlechtes
Es sind drängende, brisante und unangenehme Fragen, die die Autoren stellen. Denn Regierungen tendieren nicht nur in China, sondern auf der ganzen Welt, nicht zuletzt in Österreich zu stetig autoritärerem Handeln. Gleichzeitig – und das legen Dimmel und Noll schonungslos offen – scheinen repräsentative Demokratien unfähig, die ökologische Krise und die Corona-Pandemie in adäquater Weise zu bearbeiten. Zu sehr hängen gewählte Regierungen ab vom „Zuspruch eines instrumentell orientierten Elektorats“, zu sehr hängt die Gunst des Wahlvolkes davon ab, welche Partei am Ende mehr verspricht. Mehr Wohlstand, mehr Wachstum, mehr Freiheit, mehr Autos, Urlaubsreisen, Smartphones. Als Partei weniger zu fordern gleicht einem demokratiepolitischen Suizidkommando.
Was den „Öko-Leviathan“ von (den meisten) anderen Büchern zum Thema unterscheidet: Dimmel und Noll suchen den Grund für die ökologische Misere nicht beim Individuum. Ein Billigschnitzel oder ein Inlandsflug ist an sich nichts Schlechtes – es ist die schiere Menge der verzehrten Tiere und der geflogenen Kilometer. Doch hinter ökologisch hochgradig destruktiven Konsum- und Mobilitätsnormen steckt kein hirnverbranntes, irregeleitetes Konsumentenvolk, das unfähig wäre, die ‚wahren Verhältnisse‘ zu durchblicken; dahinter stehen knallharte ökonomische Interessen und ein „politisches Personal“, das diese unterstützt. Diese agieren inmitten einer „Spielanordnung“, in welcher „die Verwertung der Natur (fast) nichts kostet“ und ein abstrakter Markt darüber entscheidet, was gesellschaftlich ‚nützlich‘ ist. Diese Spielanordnung mitsamt ihrer Akteure gilt es laut den Autoren zu bekämpfen, notfalls mit politischen Mitteln jenseits rechtlicher Normen.
Staat und Kapital
Braucht es also einen autoritären Staat, einen „Öko-Leviathan“, um den drohenden „Ökozid“ noch abwenden zu können? Eine eindeutige Antwort darauf bleiben Dimmel und Noll schuldig. So präzise ihre Analyse des Status quo, so abstrakt, wenn es ans Eingemachte – den Staat – geht. Ihr spitzzüngiger Ton mag an vielen Stellen zum Lesevergnügen beitragen, zeichnet dadurch aber an ebenso vielen Stellen ein Schwarz-Weiß-Bild, an denen sich viele Grautöne finden. Einerseits warnen die beiden vor den Gefahren eines autoritären Staates, andererseits „gibt [es] keine ökosoziale Wende ohne einen starken, direktiven, und ja: autoritär agierenden Staat“.
Einerseits streichen Dimmel und Noll in einem, wenn auch kurzen, „wirtschaftshistorischen Rückblick“ heraus, wie kapitalistische Interessen und staatliches Handeln stets aufs Engste miteinander verwoben waren. Folglich sei vom Staat als willfährigen Unterstützer der reichsten Klasse nichts zu erwarten. Nur um andererseits ein paar Seiten weiter festzuhalten, dass nun ausgerechnet der Staat, noch dazu in autoritärer Form, Teil der Lösung sein sollte.
Außerordentliche Rolle in zweierlei Hinsicht
Woraus der „Staat“ denn nun besteht (Regierung, politisches Personal, Exekutive, Legislative, Justiz, …?), bleibt unklar. Ebenso unklar bleibt, ob die Autoren Potential für eine ökologische Wende abseits des Staates, etwa in sozialen Bewegungen, ausmachen (wie Ulrich Brand in seiner Replik am Ende des Buches anmerkt).
Im Staat und in staatlichen Apparaten bündeln sich enorme politische, ökonomische und organisatorische Ressourcen. Im Zuge einer ökosozialen Wende spielt staatliches Handeln unzweifelhaft eine außerordentliche Rolle – und zwar in zweierlei Hinsicht: als großer Verhinderer in Form eines Garanten eines „Weiter-so-wie-bisher“; und als großer Ermöglicher in Form eines mächtigen Hebels, der mit gezielten Investitionen und Gesetzen eine ökosoziale Wende vorantreibt.
Auf diesen Zwiespalt und dessen Brisanz deuten Dimmel und Noll hin und genau diese Widersprüche gilt es auszuloten – bestenfalls nicht in Form einer „Polemik“, sondern mit etwas mehr analytischem Fingerspitzengefühl als das im „Öko-Leviathan“ der Fall ist.
Alfred J. Noll, Nikolaus Dimmel – Aussichten auf den Öko-Leviathan? Eine Polemik. Mit einer Replik von Ulrich Brand.
bahoe books – 2021, 122 Seiten
ISBN 978-3-903290-64-8
Titelbild: Collage (Wikimedia Commons/Pixabay)
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