Befristete Mietverträge – Entrechtung der Mieter*innen
Mittlerweile werden österreichweit bei Vermietung von Privatpersonen und Immobilienunternehmen drei von vier neuen Mietverträgen befristet vergeben. Beinahe jeder zweite bestehende Vertrag in diesem Segment ist befristet.
Von Simone Brunnhauser (A&W-Blog)
Nicht zuletzt aufgrund der sogenannten Flucht ins Betongold ist das private Mietwohnungssegment in der letzten Dekade stark gewachsen. Letztes Jahr waren nahezu 150.000 Wohnungen mehr privat vermietet als 2010. Die Zahl der unbefristeten Mietverträge hat im selben Zeitraum aber um über 8.000 abgenommen.
Damoklesschwert Vertragsverlängerung
Die gängige Praxis, Verträge nur befristet abzuschließen, führt zum Entzug der Mieter*innenrechte und höhlt das Mietrecht stetig aus. Über den Mieter*innen schwebt während des gesamten Mietverhältnisses das Damoklesschwert einer möglicherweise nicht gewährten Vertragsverlängerung. Jene Rechte, die Mieter*innen unzweifelhaft zustehen, werden aus Angst nicht durchgesetzt bzw. werden Kosten, die eigentlich den Vermieter*innen anzulasten wären, lieber selbst getragen, um ja nicht anzuecken. Wenn die Heiztherme etwa ausfällt, haben Mieter*innen für die Dauer der Beeinträchtigung Anspruch auf Mietzinsminderung. Zudem sind Vermieter*innen dazu verpflichtet, die Therme zu reparieren. Viele Vermieter*innen kommen ihren Verpflichtungen nach, es gibt jedoch einige, die keinen Anlass sehen, die Arbeiten durchzuführen. Somit stehen Mieter*innen vor der Wahl, die Miete weiter in voller Höhe zu bezahlen und die Reparaturen selbst durchzuführen oder nach Ende der Befristung die Wohnung möglicherweise zu verlieren.
Gravierende finanzielle Nachteile
Aber nicht nur die Durchsetzung von Erhaltungsarbeiten wird erschwert, auch in finanzieller Hinsicht müssen Mieter*innen von befristeten Mietverträgen einige Nachteile dulden. Mietzinsminderungsansprüche werden nicht durchgesetzt, Betriebskostenabrechnungen werden nicht überprüft. Der wohl größte Nachteil spiegelt sich bei der Bildung des Hauptmietzinses wider. Zwar muss gesetzlich im Vollanwendungsbereich des Mietrechtsgesetzes beim Hauptmietzins ein Befristungsabschlag von 25 Prozent berücksichtigt werden, nur wird dieser Abschlag oftmals nicht gewährt. Allein im Jahr 2020 gab es etwas über 90.000 befristete Mietverträge in Altbaumiethäusern. In diesen Wohnungen wurden mindestens 123 Millionen Euro zu viel an Hauptmietzins (inklusive Umsatzsteuer) bezahlt. Die Überzahlung pro Wohnung und Jahr beträgt damit durchschnittlich fast 1.600 Euro.
Zusätzlich können die Vermieter*innen bei jeder Vertragsverlängerung den Mietzins individuell anpassen. Im Gegensatz zu unbefristeten Mietverträgen ist man nicht an die vertraglich vereinbarte Wertsicherung gebunden, sondern es können neue (höhere) Hauptmietzinse vereinbart werden. Dies bewirkt eine Erhöhung über die Inflation hinaus und führt somit zu einem noch rasanteren Anstieg der Mietpreise.
Verlust sozialer Netze und Bezugspunkte
Sollte der Mietvertrag trotz aller Bemühungen nicht verlängert werden, müssen sich die Mieter*innen auf die sehr zeitintensive Suche nach einer neuen Wohnung begeben. Eine neue Wohnung bewirkt nicht nur eine Steigerung der Wohnkosten durch höhere Mieten, Maklergebühr und Umzugskosten, sondern führt zu einer Entwurzelung aus dem sozialen Umfeld. Gerade bei Familien mit Kindern kann ein Umzug mit einem Schulwechsel verbunden sein oder es verdoppelt sich die Anfahrtszeit zur Arbeitsstelle. Die räumliche Distanz zu zuvor vertrauten Personen und Orten führt zudem zum Verlust des sozialen Netzes und Bezugspunkte gehen verloren.
Hohe Unsicherheit
Selbst wenn man über die Jahre ein*e „brave*r Mieter*in“ war, ist es keine Garantie, dass der Mietvertrag verlängert wird. Da man nicht weiß, ob man ohnehin nicht bald wieder ausziehen muss, werden nützliche Investitionen in der Wohnung vermieden. Das Unwissen, ob man sein Zuhause verliert und für den bevorstehenden Umzug sparen muss, erzeugt eine hohe Unsicherheit. Vermieter*innen geben oftmals sehr spät bekannt, ob sie den Vertrag verlängern oder nicht. Da es keine gesetzlichen Fristen für die verbindliche Bekanntgabe gibt, werden Mieter*innen oftmals monatelang hingehalten. Die ständige Drucksituation bewirkt eine Hilflosigkeit, da man lieber klein beigibt, bevor man den Vermieter*innen auf die Zehen tritt.
Der Gesetzgeber lässt uneingeschränkte Kettenbefristungen zu, wodurch Mieter*innen alle paar Jahre zur Vertragsverlängerung hin zittern müssen. Die psychischen Belastungen werden bei Diskussionen rund um befristete Mietverträge oft außen vorgelassen.
Fazit
Wohnen ist und bleibt ein Grundbedürfnis. Es kann nicht die Intention der Gesellschaft sein, dass große Konzerne Tausende Wohnungen befristet vermieten und dadurch ständigen Druck auf die Mieter*innen ausüben und Mietrechte untergraben, nur damit die Rendite hoch bleibt. Niemand möchte Eigentümer*innen einzelner Wohnungen die Möglichkeit nehmen, Eigenbedarf für ihre Kinder oder sich selbst anzumelden. Im Regierungsprogramm wurde bereits 2020 festgehalten, dass durch eine geplante Novellierung mehr sozialer Ausgleich, ökologische Effizienz sowie mehr Rechtssicherheit und Wirtschaftlichkeit geschaffen werden soll. In Zeiten, in denen der Wohnungsmarkt immer mehr als Form der Veranlagung entdeckt wird, ist es endlich an der Zeit, dass der Gesetzgeber sein ambitioniertes Vorhaben, das Mietrechtsgesetz zu novellieren, aufgreift und zumindest die Abschaffung befristeter Mietverträge forciert.
Dieser Beitrag wurde am 25.11.2021 auf dem Blog Arbeit & Wirtschaft unter der Creative-Commons-Lizenz CC BY-SA 4.0 veröffentlicht. Diese Lizenz ermöglicht den Nutzer*innen eine freie Bearbeitung, Weiterverwendung, Vervielfältigung und Verbreitung der textlichen Inhalte unter Namensnennung des*der Urheber*in sowie unter gleichen Bedingungen.
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