Volkskrankheit Lipödem: Harter Kampf um Anerkennung
Wir Lipödem-Betroffene fühlen uns vom Gesundheitssystem im Stich gelassen.
Ein Gastbeitrag aus Deutschland von Ramona Walter
Mein Name ist Ramona, ich bin 34 Jahre alt und leide am Lipödem (wie vier Millionen weitere Frauen in Deutschland auch), hinzu kommt ein Primäres Lymphödem (Wassereinlagerungen).
Was ist ein Lipödem? Ein Lipödem ist eine krankhaft veränderte Fettverteilungsstörung. Sie tritt oft in Verbindung mit hormonellen Veränderungen auf, beispielsweise in der Pubertät, Schwangerschaft, Menopause oder durch die Einnahme der Pille.
Ein Lipödem ist immer symmetrisch, geht mit Schmerzen einher und oft mit blauen Flecken an den betroffenen Stellen. Nicht selten entwickeln Betroffene Depressionen, eine Fehlstellung der Beine (X-Beine) und Adipositas.
Ich trage die benötigte Kompressions-Bekleidung an den Beinen, Armen und Händen. Manuelle Lymphdrainage (MLD) bekomme ich aufgrund weiterer Erkrankungen nicht mehr. Mit meinen 34 Jahren brauche ich immer öfter Hilfe, beim Anziehen, bei ganz alltäglichen Dingen.
Ich arbeite in der Altenpflege. Langes Stehen und Laufen fällt mir sehr schwer, aber ich kämpfe und gebe nicht auf. Ich nehme bereits Schmerzmittel für sehr starke Schmerzen, damit ich überhaupt in den Schlaf finde.
Vom Gesundheitssystem fühle ich mich im Stich gelassen. Es kommt mir vor, als ob man uns Betroffenen gar nicht helfen möchte. Stellen Sie sich mal vor, es wäre ihre Tochter oder Sie selbst und Sie bekämen keine Hilfe. Für mich grenzt das an unterlassene Hilfeleistung.
Unsere Uhr tickt, doch die Verantwortlichen interessiert das nicht. Lipödem ist mit ca. 4 Millionen Betroffenen schon fast eine Volkskrankheit. Seit Jahren kämpfen die Betroffenen um Anerkennung und ausreichend Hilfe, doch passiert ist bislang kaum etwas.
2014 hat die Patientenvertretung endlich den Schritt gewagt und einen Antrag auf Überprüfung der Liposuktion (eine sichere Art der routinemäßigen Fettabsaugung) beim Lipödem beantragt. Der Rechtsweg erlaubt dem Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) eine dreijährige Prüfung. Dann sollte eine Entscheidung auf dem Tisch liegen.
In unserem Fall hat der G-BA die Fristen einfach verstreichen lassen und ist bis jetzt zu keiner Entscheidung gekommen. Für die Betroffenen ist es nicht nachvollziehbar, wie Richtlinien und Gesetze ohne jegliche Konsequenzen für den G-BA einfach vernachlässigt werden können.
Ende 2018 hat sich eine Mitstreiterin auf den Weg gemacht und ist Gesundheitsminister Jens Spahn persönlich entgegengetreten. Überraschenderweise wurde sie nicht abgewiesen, man versprach sogar, sich die Sache anzuschauen und gegebenenfalls zu helfen.
Schnell las man in den Zeitungen „Krankenkassen sollen Fettabsaugung bezahlen“ und Herr Spahn versprach in seinen Livevideos schnelle Hilfe für die betroffenen Frauen.
Herr Spahn machte Frauen, die verzweifelt sind, jeden Tag unter unerträglichen Schmerzen zu leiden haben, Angst um ihre Zukunft haben, ob sie morgen noch arbeiten können, große Hoffnung, dass sich für sie etwas ändern würde und sie die dringend benötigten Hilfen bekommen.
Doch schnell bekam Herr Spahn den Gegenwind aus den eigenen Reihen zu spüren. Genauso schnell und laut wie der Wind wurde, umso leiser wurde Herr Spahn. Der G-BA meldete sich zu Wort und die Hoffnung tausender Frauen zerplatzte wie eine Seifenblase.
Nun ist von der versprochenen Hilfe kaum etwas übrig geblieben. Nur die von Lipödem im Stadium 3 betroffenen Frauen sollen für vier Jahre eine Operation bekommen und eine Studie soll eingerichtet werden. Frauen im Stadium 2 gehen erst mal leer aus, für sie ändert sich nichts.
Ganz im Gegenteil, es scheint so, als wenn sich alles gegen die Betroffenen verschworen hätte und man sie nicht nur im Stich lässt, sondern auch versucht, ihnen jeden Raum zu nehmen, wo es möglich ist, sich selbst zu helfen. Die Operation ist nämlich nur mit amtsärztlichen Gutachten steuerlich absetzbar.
Das neueste Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) verbietet die Einzelfallentscheidung zur stationären Liposuktion. Mittlerweile werden hier immer mehr Stimmen laut, dass dieses Urteil gesetzeswidrig sei. Viele Krankenkassen genehmigen weniger Kompressionsversorgung. Auch wird es für viele fast unmöglich an die benötigte MLD zu kommen.
Von Rehamaßnahmen oder einem Lymphomaten wollen wir mal gar nicht reden. Rückblickend haben wir im November 2018 drei Schritte vor, dann bis heute aber vier zurück gemacht. Es ist sehr verstörend, dass es in einem Rechtsstaat wie unserem einem Gremium möglich zu sein scheint, Recht und Gesetz nach Belieben zu umgehen, ohne jegliche Konsequenzen fürchten zu müssen.
Ramon Walter kommt aus dem deutschen Wuppertal und hat 2019 eine eine Selbsthilfegruppe für Menschen gegründet, die am Lipödem Lymphödem-Liplymphödem leiden. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, über das Thema aufzuklären. Auf ihrer Facebook-Seite nimmt Ramona Menschen in ihren Alltag und zeigt das Leben mit Lipödem.
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Titelbild: Ramona Walter
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