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Bekämpfung von Kinderarmut muss politische Priorität werden

Es ist eine Schande, dass in einem reichen Land wie Österreich Kinder in Armut aufwachsen müssen. Um diesem Missstand entgegenzuwirken, hat die Volkshilfe mit ihrem Modell der Kindergrundsicherung das Thema verstärkt aufs Tapet gebracht, und auf EU-Ebene wurde jüngst eine „Kindergarantie“ erarbeitet. Nun hat auch die Arbeiterkammer ein umfassendes Paket zur Bekämpfung von Kinderarmut vorgelegt, das neben Geldleistungen auf Bildungschancen und Unterstützungsangebote setzt. Denn die Wege aus der Kinderarmut sind komplex, aber mit dem richtigen Mix aus Geld- und Sachleistungen erfolgreich beschreitbar.

Von Elke Larcher, Jana Schultheiß und Norman Wagner (A&W-Blog)

Kinderarmut heißt, von Beginn an nicht in vollem Ausmaß am Leben teilnehmen zu können

Nachstellung eines Chats zwischen Lehrer*in und Eltern. Kind kann zum Ausflug nicht mitkommen, weil es krank sei, schreibt eine Mutter.
Grafik: A&W-Blog

Keine leckere Jause, nicht auf Ausflüge mitfahren können, keine tollen Geschichten vom Wochenende oder Urlaubserlebnisse erzählen können – Kindern, die in Armut aufwachsen, bleiben viele Erlebnisse aufgrund von finanziellen Hürden verborgen, die für andere Gleichaltrige häufig selbstverständlich sind. Umgekehrt haben sie Sorgen, die anderen Kindern völlig fremd sind; häufig spüren sie die finanziellen Nöte der Eltern immer und überall. Das hat weitreichende Folgen: Armutsbetroffene Kinder ziehen sich häufig zurück, beteiligen sich weniger und fühlen sich oftmals nicht zur Gesellschaft zugehörig.

In Österreich leben laut EU-SILC-Daten 2020 der Statistik Austria 362.000 Kinder in einem Haushalt, der es sich nicht leisten kann, unerwartete Ausgaben zu tätigen, 105.000 Kinder bzw. deren Eltern können aus finanziellen Gründen nicht wenigstens einmal im Monat FreundInnen oder Verwandte einladen. Mit der COVID-19-Krise sind weitere Schwierigkeiten hinzugekommen. Besonders erschwerend in Zeiten des Homeschoolings ist die Tatsache, dass 65.000 Kinder in Haushalten leben, die sich keinen PC leisten können. Damit Kinder aus armutsbetroffenen Familien eine echte Chance bekommen, ist zwar ein Kraftakt, zuallererst aber einmal die politische Bereitschaft notwendig, im Sinne dieser Kinder an mehreren Stellschrauben zugleich zu drehen.

Ein Mix aus Geld- und Sachleistungen ist erforderlich

Die Voraussetzung, Chancen überhaupt ergreifen zu können, gibt es nur, wenn die materiellen Grundbedürfnisse gesichert sind. Ein reiner Fokus auf Geldleistungen greift in der Bekämpfung von Kinderarmut aber zu kurz. Jedem Kind muss zunächst Teilhabe an zentralen Leistungen wie Bildung, Freizeit und Gesundheit ermöglicht, d. h. ein allgemeiner Zugang dazu für jeden und jede durchgesetzt werden. Dies gilt grundsätzlich unabhängig von der finanziellen Lage des jeweiligen Haushalts für alle Kinder, muss aber in der Armutsbekämpfung besonders berücksichtigt werden.

Dieser Ansatz wird auch von der im Juni 2021 verabschiedeten Europäischen Kindergarantie geteilt: Ziel ist es, soziale Ausgrenzung zu verhindern, indem Kindern, die von Armut betroffen sind, der Zugang zu einer Reihe von – als solche definierten – „Schlüssel-Dienstleistungen“ garantiert wird. Dazu zählen die frühkindliche Betreuung, Bildung, Gesundheit, Ernährung und Wohnen.

Auch die OECD verfolgt in ihrem jüngst veröffentlichten Framework „Measuring What Matters for Child Well-being and Policies“ einen breiten Ansatz, der neben dem materiellen Wohlergehen, Gesundheit, Bildung sowie sozialen und kulturellen Zugang als gleichwertige Faktoren ansieht.

Der AK-Weg aus der Kinderarmut: Geld, Bildungschancen und Unterstützungsangebote

Auch die AK hält es für notwendig, bei der Armutsbekämpfung an vielen Schrauben gleichzeitig zu drehen. Die wirksamsten Mittel gegen Armut sind gute Arbeitsplätze mit gerechter Entlohnung und fairen Arbeitsbedingungen sowie ausreichend hohe finanzielle Leistungen bei Arbeitslosigkeit. Wenn Eltern genug verdienen, um gut leben zu können, sinkt auch die Kinderarmut. Darüber hinaus trägt ein gut ausgebauter Sozialstaat maßgeblich zur Reduktion von (Kinder-)Armut bei. Ein Sozialstaat, der etwa einkommensunabhängig den Zugang zu Bildung in qualitativ hochwertigen öffentlichen Schulen und Freizeiteinrichtungen, zu Gesundheit in öffentlichen Spitälern und durch den niedergelassenen Bereich, zu öffentlichem Raum und weiteren Leistungen sicherstellt. Wichtig ist, dass Kinder und Jugendliche auch selbst unterstützt werden und nicht nur die Haushalte, in denen sie leben. Das AK-Paket zur Bekämpfung von Kinderarmut umfasst daher drei zentrale Ansatzpunkte:

3 Prioritäten zur Bekämpfung von Kinderarmut: Genug Geld zum Leben für alle Familien, Chancengerichtkeit im Bildungssystem, leicht erreichbare Unterstützungsangebote
Grafik: A&W-Blog

Dieses Paket umfasst Maßnahmenbündel entlang der von EU und OECD angesprochenen Bereiche Wohnen (Maßnahmenbündel 1), Bildung und Zugang zu Kultur (Maßnahmenbündel 2) sowie Gesundheit (Maßnahmenbündel 3).

Maßnahmenbündel 1: Genug Geld zum Leben

Um ein gelingendes Leben führen zu können, muss man sich nicht nur Essen, Miete, Heizung oder Kleidung leisten können. Auch ein Handy zu haben wie alle anderen oder ein Kinobesuch ab und zu gehören dazu. Aufgabe der Politik ist es sicherzustellen, dass Familien genug Geld haben, um all diese Ausgaben zu bestreiten und somit soziale Ausgrenzung zu vermeiden. Damit Tausende Kinder und Jugendliche nicht schon am Anfang ihres Lebens abgehängt werden, muss es Investitionen in den Sozialstaat und höhere Unterstützungsleistungen geben.

Die AK fordert daher:

  • Erhöhung der Nettoersatzrate beim Arbeitslosengeld auf 70 Prozent
  • Unterhaltsgarantie: Unterhaltsvorschuss soll auf die Höhe des Regelbedarfssatzes aufgestockt werden, wenn Unterhaltszahlungen ganz oder teilweise ausfallen
  • Sozialhilfe/Mindestsicherung: Rücknahme der unter Schwarz-Blau 2019 beschlossenen Verschlechterungen, höhere Kinderrichtsätze sowie eine allgemeine Anhebung der Richtsätze auf die Armutsgefährdungsschwelle
  • SchülerInnenbeihilfe: deutliche Anhebung der Leistung sowie der Einkommensgrenzen, Einbeziehung der 9. Schulstufe
  • Lücken beim Zugang zu Familienleistungen schließen: Die Familienbeihilfe und das Kinderbetreuungsgeld muss allen Eltern unabhängig von ihrer Herkunft gewährt werden
  • Leistbares Wohnen: Fokus auf geförderten Wohnbau, ein soziales Mietrecht, Wohnbeihilfen und ein Hilfsfonds für Haushalte mit pandemiebedingten Zahlungsschwierigkeiten

Maßnahmenbündel 2: Bildung von Anfang für alle

Kindergärten, Schulen, Lehre und höhere Bildung: Kaum etwas ist so entscheidend für die Chancen im Leben wie der Zugang zu Bildung. Folgende Maßnahmen sollen sicherstellen, dass jedes Kind einen fairen Start ins Leben hat und nicht schon mit einem Hürdenlauf beginnen muss.

Die AK fordert daher:

  • Kinderbetreuung und Elementarbildung: Rechtsanspruch ab 1. Lebensjahr für alle; Elementarbildung soll als Bildungseinrichtungen kostenlos werden
  • Kostenlose Schule: Schulmaterial, Verpflegung, Schulveranstaltungen sowie kostenlose Unterstützung bei Lernschwächen
  • Ausbau der Ganztagsschulen, verschränkte Ganztagsschulen bundesweit ausbauen, qualitätsvolles Angebot an Freizeitpädagogik
  • Flächendeckende Umsetzung der Schulfinanzierung nach dem AK-Chancen-Index, Ausbau von Schulsozialarbeit und SchulpsychologInnen
  • Sensibilisierung von LehrerInnen hinsichtlich möglicher Vorurteile gegenüber armutsbetroffenen Familien.
  • Ausbau kostenloser Ferien- und Freizeitangebote (Vorbild SummerCityCamps).

Echte Chancengerechtigkeit gibt es aber nur, wenn hohe Qualität und ausreichend qualifiziertes Personal in den Bildungseinrichtungen sichergestellt sind.

Damit armutsbetroffene Kinder und Jugendliche auch Zugang zu Kunst und Kultur haben, wäre der Ausbau des Kulturpasses der Initiative Hunger auf Kunst und Kultur auf einen bundesweiten Kultur- und Bildungspass sinnvoll.

Maßnahmenbündel 3: Perspektiven geben

Armut kann durch Krisen wie Jobverlust, Scheidung, Krankheit oder psychische Ausnahmesituationen entstehen. Armut bedeutet großen Druck, und die Betroffenen empfinden ihre Situation oft als ausweglos. Um den Weg zurückzufinden, braucht es ebenso wie für jede Familie in schwierigen Situationen niedrigschwellige und professionelle Beratung und Unterstützung.

Die AK fordert daher:

  • Ausreichende Finanzierung von Beratungsstellen, jedenfalls von:
    • Flächendeckenden frühen Hilfen (aufsuchende psychosoziale Unterstützung)
    • Jugendämtern: ein:e Sozialarbeiter:in je 1.800 Kinder/Jugendliche
  • Kostenlose psychotherapeutische Angebote für Kinder ausbauen
  • Buddy-Systeme, z. B. für die Berufsorientierung und Suche von passenden Lehrstellen
  • Ausreichende diagnostische, medizinische und therapeutische Leistungen – kostenfrei, auch inkl. allfälliger Mitbetreuung der Eltern.

Fazit

Es braucht mutige Politik, damit aus Kindern, die in Armut aufwachsen, nicht Erwachsene werden, die in Armut leben. Die Bekämpfung von Kinderarmut ist dabei sowohl eine Frage der Gerechtigkeit als auch eine Frage der zielgerichteten Intervention. Wer politisch früh gegen Armut arbeitet, verhindert teure gesamtgesellschaftliche Folgekosten. Kindern, denen umfangreiche Teilhabe durch ein umfassendes Paket an Maßnahmen und Unterstützung ermöglicht wird, haben eine höhere Chance, selbst erwerbstätig zu sein, am politischen und gesellschaftlichen Leben teilzunehmen und selbstbestimmt zu leben.


Titelbild: Daiga Ellaby auf Unsplash

Dieser Beitrag wurde am 30.07.2021 auf dem Blog Arbeit & Wirtschaft unter der Creative-Commons-Lizenz CC BY-SA 4.0 veröffentlicht. Diese Lizenz ermöglicht den Nutzer_innen eine freie Bearbeitung, Weiterverwendung, Vervielfältigung und Verbreitung der textlichen Inhalte unter Namensnennung der Urheberin/des Urhebers sowie unter gleichen Bedingungen.

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