Die Sperrklausel muss weg!
Die 4-Prozent-Hürde bei der Nationalratswahl – auch bekannt als Sperrklausel – erschwert die demokratische Erneuerung und begünstigt die etablierten Parteien. Die Sperrklausel stellt eine Barriere gegen politische Minderheiten dar. Oder anders gesagt: Sie ist ein konservatives Miststück.
Ein Gastbeitrag von Markus Auer
Durch die Anwendung der Sperrklausel werden Parteien – oder besser gesagt Listen -, die weniger als 4% der gültigen Stimmen erhalten, von der Mandatsverteilung ausgeschlossen. Dabei werden die Menschen, die diese Listen gewählt haben, wie Nichtwählende behandelt, obwohl sie sich durch die Teilnahme an der Wahl ausdrücklich von diesen unterscheiden, und dementsprechend anders zu behandeln wären. Dieses Vorgehen steht im Widerspruch zu dem Rechtsgrundsatz Gleiches gleich, und Ungleiches ungleich zu behandeln, und ist daher meinem Empfinden nach rechtswidrig.
Bei der Nationalratswahl 2017 waren dies 355.103 Stimmen¹, d.h. 6,9% der Wählenden wurden bei der Mandatsverteilung per Gesetz diskriminiert. Das sind mehr als
- alle Wahlberechtigten des Burgenlands.
- oder Vorarlbergs.
- alle Wählenden Salzburgs (Land).
- oder Kärntens.
Man stelle sich vor, in einem ganzen Bundesland stünden in den Wahllokalen Mistkübel an Stelle der Urnen. Wäre das akzeptabel? Auch im eigenen Bundesland?
Doch die Sperrklausel wirkt bereits vor der Auszählung der Stimmen. Allein ihre Existenz verzerrt schon das Wahlergebnis, denn sie ermöglicht die Manipulation der Wahlberechtigten durch das Argument der verlorenen Stimme: Eine Liste zu wählen, die voraussichtlich an der 4-Prozent-Hürde scheitern wird, sei eine Verschwendung des Stimmrechts. Man solle doch sicherheitshalber die Großen wählen.
Wie viele Stimmberechtigte mögen es sein, die sich davon beeinflussen lassen? Sogar wenn es nur 0,1% sind, kann dies bereits existentielle Auswirkungen auf Parteien haben, wie das 3,9%-Ergebnis der Grünen 2017 gezeigt hat. Sind es gut 4%, könnte noch eine Fraktion mehr im Parlament sitzen. Folgen weitaus mehr Wählende dieser Argumentation, dann wäre ohne Sperrklausel die Republik wohl eine andere.
Nach der Auszählung der Stimmen wird’s biblisch, nach dem Matthäus-Prinzip: Denn wer hat, dem wird gegeben, wer wenig(er als 4%) hat, dem wird auch das noch genommen – durch die Sperrklausel. 2017 erhielten die drei stimmenstärksten Listen (ÖVP, SPÖ, FPÖ) gemeinsam 83% der abgegebenen Stimmen, aber 90% der NR-Mandate. Die Kleinen (NEOS, JETZT) profitierten nicht von der Verschiebung durch die 4-Prozent-Hürde. Welch Überraschung! Das Gesetz nützt den Großen, die es gegeben haben. Die Sperrklausel verzerrt die wahren Verhältnisse, sie stärkt die Starken, und diskriminiert die Schwächsten. Zur Erinnerung: Es geht dabei um die Repräsentanz der Bevölkerung. Solch Geistes Kinder sollen wir sein? Es gelt‘ auch hier der präsidiale Appell: So sind wir nicht!
Nun zu einer oft genannten Begründung der Sperrklausel: Diese Maßnahme soll eine Zersplitterung des Parlaments in viele kleine Fraktionen, und die vermutet daraus entstehende Dysfunktionalität der Legislative verhindern. Bei Abstimmungen ist entscheidend, wie viele Abgeordnete dafür oder dagegen sind, die Anzahl der Fraktionen spielt keine Rolle. Jede_r Einzelne der 183 Abgeordneten zum Nationalrat ist laut Gesetz nur dem eigenen Gewissen und dem Interesse der gesamten Bevölkerung Österreichs verpflichtet. Keiner Partei, keiner Fraktion, sondern nur dem eigenen Gewissen, im Interesse aller.
Ist eine stärkere Zersplitterung da überhaupt möglich, bei 183 einzelnen Gewissen? Gibt es etwas Einigenderes als das Interesse der gesamten Bevölkerung? Wie sollte da jemals die Funktionalität des Parlaments in Frage stehen können? Die Warnung vor den berüchtigten Weimarer Verhältnissen im Nationalrat impliziert, dass die Abgeordneten sich nicht an das vom Gesetz vorgesehene freie Mandat halten würden, und Fraktionszwänge oder Parteiinteressen für ihre Entscheidungen eine Rolle spielten. Sie ist Anklage und Geständnis zugleich.
Die 4-Prozent-Hürde ermöglicht die Manipulation des Wahlverhaltens, diskriminiert sowohl Wählende als auch kleine Parteien, und verzerrt die politischen Machtverhältnisse zu Gunsten der Stärkeren. Die Sperrklausel muss weg! Erst dann kennen wir die echten politischen Verhältnisse in unserer Republik, und können von wahrhaft freien und demokratischen Wahlen sprechen.
¹ inkl. 50.950 Weißwählende/Ungültige. Durch die Teilnahme an der Wahl unterscheiden auch sie sich ausdrücklich von Nichtwählenden, und sind dementsprechend anders zu behandeln. Am besten durch Repräsentation mittels zentraler, gut sichtbarer Platzierung von weißen Stühlen im Nationalrat, entsprechend ihrer Zahl – wie bei den Listen – damit den Abgeordneten stets bewusst bleibt, dass es Menschen gibt, die sich durch keine Partei vertreten fühlen.
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Titelbild: Parlamentsdirektion / Johannes Zinner
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