Die „Grauen Wölfe“ und ihre Freunde in Deutschland und Österreich
Im November 2020 wurden in Frankreich die faschistischen „Grauen Wölfe“ verboten. In Deutschland hat sich ein Bündnis von den Grünen bis zur CSU gebildet mit dem Ziel diese Organisation ebenfalls zu verbieten. Das war nicht immer so und auch in Österreich war und ist man den „Grauen Wölfen“ durchaus zugetan.
Von Roman Dietinger
Vorbild SS
Im Juli 1968 errichteten die „Grauen Wölfe“ unter der Führung von Alparslan Türkeş Lager, in denen Jugendliche von faschistisch gesinnten ehemaligen Offizieren nach dem Vorbild von SS-Einheiten militärisch und ideologisch ausgebildet wurden. Türkeş war einer der putschistischen Offiziere, die am 27. Mai 1960 die damalige türkische Regierung stürzten. 1969 wurden in den angesprochenen Lagern bereits über 100.000 Kämpfer ausgebildet. Sie standen als paramilitärische Schlägertrupps der Milliyetçi Hareket Partisi (MHP), der sogenannten „Partei der Nationalistischen Bewegung“ bereit, berichten Fikret Aslan, ein Mitarbeiter des „Informationsbüro Türkei und Kurdistan e.V.“ und der Politik- und Sozialwissenschaftler Kemal Bozay in ihrem Buch „Graue Wölfe heulen wieder – Türkische Faschisten und ihre Vernetzung in Deutschland“. Wesentliches Element war dabei die Propaganda gegen eine kommunistische Bedrohung.
Bis 1980 werden den „Grauen Wölfen“ „mehrere tausend Morde zugerechnet“, schreibt der österreichische Journalist, Buchautor und Politiker Thomas Rammerstorfer. Der deutsche Verfassungsschutzbericht 2019 bezeichnet die „Grauen Wölfe“ als rechtsextremistisch, die mit deren Ülkücü“-Ideologie „eine Überhöhung des Türkentums vertritt und von einem ausgeprägten Freund-Feind-Denken geprägt ist, das zu systematischer Abwertung anderer Volksgruppen oder Religionen, insbesondere der Kurden und des Judentums, führt.“ Die ideologische Bandbreite reiche von neuheidnischen Elementen über einen nationalistischen Kemalismus bis in den Randbereich des Islamismus.
Seltsame Allianzen
Trotz dieser erschreckenden Fakten wurden die „Grauen Wölfe“ in Deutschland und Österreich durchaus nicht gemieden. 1978 war Alparslan Türkeş, der „Başbuğ“ (Führer), zu Besuch bei Franz Josef Strauß, dem späteren Spitzenkandidaten der CDU/CSU bei den Bundestagswahlen 1980. „In vielen Ländern arbeiteten damals Sicherheitskräfte, Geheimdienste, bürgerliche Parteien und Rechtsextreme eng gegen eine tatsächliche oder eingebildete ‚kommunistische Gefahr‘ zusammen“, schreibt Rammerstorfer in seinem Buch „Graue Wölfe – Türkische Rechtsextreme und ihr Einfluss in Deutschland und Österreich“. Die MHP pflegte aber scheinbar auch Kontakte zur deutschen Neonazi-Szene. Laut „Endstation Rechts. Bayern“ ein Projekt der „BayernSPD“ und den „JusosBayern“ belegt das ein Briefwechsel aus den 1970ern von Türkeş mit dem Mitbegründer und späteren Bundesvorsitzenden der Nationaldemokratischen Partei (NPD) und V-Mann des MI6 Adolf von Thadden.
Die MHP erhielt demnach von den deutschen Faschisten Geld für ihren Wahlkampf und von Thadden regte einen intensiven Jugendaustausch zwischen beiden Parteien an. Nach Aslan und Bozay haben politische Kontakte der MHP zu deutschen Politikern ihren Ursprung in der „Türkisch-Deutschen-Waffenbruderschaft“ des Ersten Weltkrieges und den gemeinsamen ideologischen Auffassungen und der Zusammenarbeit während des NS-Regimes. Politiker der CDU „haben am Aufbau der MHP und ihr nahestehender Organisationstrukturen mitgewirkt“. Beim angesprochenen Treffen mit Franz Josef Strauß habe dieser zugesagt, für die MHP und die „Grauen Wölfe“ in der BRD ein „günstiges psychologisches Klima“ zu schaffen. Es sei weiter bewiesen, dass die Konrad-Adenauer-Stiftung und die CDU den „Freiheitlich Türkisch-Deutschen Freundschaftsverein e.V.“ unterstützt und finanziell gefördert haben. Dieser weit rechts stehende Verein sei als Bündnis von „Grauen Wölfen“ und anderen nationalistisch-konservativen Gruppen zu verstehen.
„Was viele außerdem bis heute noch nicht begriffen haben: In einer pluralen Gesellschaft können Menschen mit Migrationsgeschichte genauso rassistisch sein. Wir müssen begreifen, dass rassistisches und antisemitisches Gedankengut eben auch von migrantischen Gruppen verinnerlicht werden kann. Das muss in den Schulen thematisiert werden, wo ausgrenzendes Verhalten an der Tagesordnung ist“, sagt Sineb El Masrar gegenüber dem Magazin Vice.
Nach dem Verbot der MHP in der Türkei bis zur Mitte der 1980er Jahre hätten die „Grauen Wölfe“, ihr Auftreten geändert. MHP-Aktivisten wurden Vorsitzende von „Kulturvereinen“ und Mitglieder in Ausländerbeiräten, oder traten in CDU und SPD ein. Aber, so Aslan und Bozay weiter, spätestens nach dem Brandanschlag auf zwei von türkischen Familien bewohnte Häuser in der schleswig-holsteinischen Kleinstadt Mölln, im November 1992, treten türkische Rechtsextreme wieder vermehrt auf.
Im November 1994 trafen sich 10.000 bzw. 20.000 Anhänger (hier variieren die Zahlenangaben) ihres „Führers“ Türkeş in der Baden-Württembergischen Kreisstadt Sindelfingen. Am 30. September 1995 wurde in Neumünster der Kurde Sedat (Seyfettin) Kalan erschossen, zwei weitere Personen wurden dabei schwer verletzt. Im November 1995 fand in der Frankfurter Messehalle die 18. Jahreshauptversammlung der „Türk Föderation“ statt. Stargast war der „Führer“ Alparslan Türkeş. Aber auch der Botschafter der Türkei in Bonn, Volkan Vural, sowie der Botschafter Aserbaidschans, Hüseyin Sadikbey nahmen daran teil. Die damalige türkische Ministerpräsidentin Tansu Çiller schickte eine Grußbotschaft, so Aslan und Bozay, die von zwei weiteren Morden berichten: In Kiel wurde im Februar 1997 der Alevit Ercan Alkaya erschossen. Im Juli 1999 wurde in Köln Erol Ispir von türkischen Faschisten ermordet.
Nichtsdestotrotz war der damalige bayerische Innenminister und spätere bayerische Ministerpräsident Günther Beckstein (CSU) noch 2003 Gast bei einem Festessen der „Grauen Wölfe“, hält Rammerstorfer fest. Zum Vergleich: Über die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) erließ die Bundesrepublik Deutschland aufgrund von Überfällen auf türkische Einrichtungen in der Bundesrepublik Deutschland, bei welchen eine Person starb, bereits 1993 ein Betätigungsverbot.
Die deutsche Bundesregierung bezeichnete ihr Vorgehen damals als „deutliches Signal gegen jede Form des Extremismus in Deutschland.“ Das Bundesamt für Verfassunsgschutz hält in einer Broschüre im Februar 2019 zur PKK Folgendes fest: „Zu den zentralen Forderungen der PKK gehören die Anerkennung der kurdischen Identität sowie eine politische und kulturelle Autonomie der Kurden unter Aufrechterhaltung nationaler Grenzen.“
Erinnern wir uns hier kurz an die Einschätzung der „Grauen Wölfe“ durch dieselben Behörde: Von „Überhöhung des Türkentums“, „systematischer Abwertung anderer Volksgruppen“ und „Rechtsextremismus“ war da die Rede. Die deutsche Bundesregierung hielt es in angesprochener Stellungnahme zum Verbot der PKK jedenfalls für notwendig eine Art prinzipieller Gleichbehandlung von Gewalttätern, welcher politischen Ausrichtung oder Provenienz auch immer, zu betonen: „Unser Staat wird von allen notwendigen, rechtsstaatlichen Möglichkeiten und Instrumenten gegen Gewalttäter, sei es von links, von rechts oder von ausländischen Extremisten, Gebrauch machen.”
Auch im oberösterreichischen Linz gab es eine „jahrelange Kooperation der „Grauen Wölfe“ und anderer rechts-nationalistischer bzw. islamistischer Gruppen mit der SPÖ“. Wie Rammerstorfer in seinem Buch berichtet, marschierte der Ülkücüler-Verein „Avrasya Linz“ „sogar jahrelang mit der SPÖ am 1. Mai auf und wurde dort auch schon mal von Stadtrat Klaus Luger (dem späteren Bürgermeister) auf Türkisch begrüßt“. Sozialdemokratische Prominenz hätte kaum bei einer Veranstaltung der „Grauen Wölfe“ in Linz gefehlt, „Avrasya“ hätte Subventionen, Sitze im Integrationsbeirat und „erleichterten Zugang zu honorigen Räumlichkeiten“ erhalten – darunter auch das Linzer Rathaus. „derstandard.at“ berichtete im November 2015 von einer Wahlkampf-Veranstaltung der MHP im Linzer Volkshaus.
Erst als „der „Avrasya“-Schriftführer im ehemaligen Konzentrationslager Mauthausen (unweit von Linz) auf (!) einem Gedenkstein mit dem Wolfsgruß“ posierte und ein weiteres Foto einen „als Kampfsporttrainer in der Bewegung aktiven deutschen Grauen Wolf beim Hitlergruß“ zeigte, wurde es der Linzer SPÖ offensichtlich zu unangenehm und sie „ging erstmals nach einer fast zehn Jahre währenden Debatte auf Distanz“, so Rammerstorfer weiter. Die oberösterreichische SPÖ hätte bei vorausgehenden Gemeinderats- und Landtagswahlen ohnehin bereits „verstärkt auf Kooperationen mit Personen und Vereinen aus dem AKP-Umfeld gesetzt, die mehr Stimmen versprachen als die MHP-Anhängerschaft“.
„Die Schwerpunkte der Wölfe liegen in Wien sowie im Wiener Umland, der Industrieregion im Süden Niederösterreichs, in Linz und Wels, im Grenzgebiet Oberösterreich/Salzburg sowie in Tirol und Vorarlberg. Hinweise auf vereinzelte Strukturen gibt es für die Steiermark, wobei hier nicht klar ist, ob diese noch existieren. Einzig für das Burgenland und Kärnten gibt es derzeit keine Hinweise auf Vereinslokale der Grauen Wölfe – von der Existenz von SympathisantInnen muss aber in allen Bundesländern ausgegangen werden.” – Michael Bonvalot, Journalist
Eine Parteizeitung der ÖVP habe „die Kandidatur eines Funktionärs der antisemitischen, nationalistischen und islamistischen Saadet Partisi für die SPÖ in Wels“ – gemeint ist Levent Arikan – aufgedeckt. In weiterer Folge sei auch bekannt geworden, dass der ebenfalls bei der „Saadet Partisi“ engagierte Bruder des Kandidaten, Bülent Arikan, im Gemeinderat der oberösterreichischen Marktgemeinde Pettenbach saß – allerdings für die ÖVP.
Noch im November 2019 war in Langenstein, im oberösterreichischen Bezirk Perg, eine Konzertveranstaltung der rechtsextremen „Türkischen Föderation“ bzw. des Linzer Vereins „Avrasya“ in der ATSV-Halle angekündigt. Man würde hunderte AnhängerInnen der „Grauen Wölfe“ aus Österreich und Deutschland erwarten. Beim letzten großen Event von „Avrasya“ sei man ebenfalls hier zu Gast gewesen, ist auf Rammerstorfers Website zu lesen. Auf Bildern und Videos aus dem Jahr 2017 seien „hunderte Menschen, die Fahnen der MHP bzw. diverser „Turkstaaten“ schwenken, den (mittlerweile verbotenen) „Wolfsgruß“ zeigen“, zu sehen – auf einer Fahne eine eindeutige Parole: „Unser Weg ist der Koran, unser Ziel Turan (= das großtürkische Reich)“.
Pikantes Detail am Rande: Reservierungen für Veranstaltungen würden über Bürgermeister Aufreiter (SPÖ) laufen, so Rammerstorfer. Nachdem er auf die geplante Veranstaltung hingewiesen hätte und Bürgermeister Aufreiter davon über einen Eintrag auf facebook erfahren hätte, sei sie abgesagt worden, berichteten die „Oberösterreichischen Nachrichten“. Von den Hintergründen des Konzertes habe man nichts gewusst.
Aber auch in Deutschland gehen die Aktivitäten der „Grauen Wölfe“ munter weiter. Unter dem beunruhigenden Titel „Graue Wölfe“ unterwandern Politik berichtet die deutsche Tagesschau am 08.09.2020 wie Mitglieder Listenplätze „der CDU oder kleinerer Bündnisse“ einnehmen und so in die Politik vordringen. Dabei wird der Politikwissenschaftler Burak Copur zitiert, der vor „einer generellen Strategie der „Grauen Wölfe“ warnt: „Der Vordenker der ‚Grauen Wölfe‘ hat schon vor Jahren dazu aufgerufen, die politischen Parteien in Deutschland zu unterwandern. Und diesem Aufruf sind natürlich viele seiner Anhänger gefolgt bis heute. Mit dieser Unterwanderungsstrategie versucht die Bewegung, die Interessen der Türkei, der türkischen Nation, auch in der deutschen Politik zu vertreten.“
Laut einem Dossier der Beratungsstelle gegen Rechtsextremismus in NRW stehe Sevket Avci, Stadtrat der CDU in Duisburg und zuvor langjähriger Integrationsratsvorsitzender den „Grauen Wölfen“ nahe. „Report Mainz“ und „Der Westen“ würde ein Foto vorliegen, welches „Avci auf einer Veranstaltung einer rechtsextremen Gruppierung aus der Türkei zeigt“. Recherchen würden „zahlreiche weitere Zusammenkünfte mit und bei türkischen Rechtsextremisten und deren Vereinen“ belegen. In einer türkischsprachigen Online-Zeitung hätte „ein Abgeordneter der rechtsextremen MHP aus der Türkei eine Wahlempfehlung für Avci“ ausgesprochen. Laut einem Grundbuchauszug gehöre Avci ein Gelände, „auf dem sich die Grauen Wölfen in Duisburg immer wieder trafen. An der Wand prangt dort ein großes Schild, das auf die „Ülkücü-Bewegung“ – „Graue Wölfe“ – hinweist“.
Ein anderer Beitrag von tagesschau.de berichtet von vier Bundeswehrsoldaten, gegen die der Militärische Abschirmdienst (MAD) ermittelt. Sie seien mutmaßlich Anhänger der „Grauen Wölfe“. Verbindungen der Grauen Wölfe in Deutschland zum türkischen Geheimdienst MIT seien wahrscheinlich.
Das American Jewish Committee in Berlin hält laut Vice in einer aktuellen Studie fest, „dass die Grauen Wölfe in ihrer Ideologie anderen rechtsradikalen Gruppen in nichts nachstehen: Antisemitismus, Rassismus und Hass auf Minderheiten“. Vice fügt hinzu, dass die „Grauen Wölfe“ „mit 18.500 Mitgliedern in Deutschland […] hierzulande sogar eine der stärksten rechtsextremen Gruppen“ sei.
Auf die Gefährlichkeit der türkischen Faschisten verweist auch ein Bericht auf DW.com, der einen Angriff in der Türkei auf den Oppositionspolitiker Selcuk Özdag von der religiös-konservativen Zukunftspartei (GP) dokumentiert. Demnach sei einer der Angreifer Mitglied der „Grauen Wölfe“ in Ankara. Die Angreifer benutzten offensichtlich den Wagen des stellvertretenden Vorsitzenden des örtlichen Verbandes der „Grauen Wölfe“. Sie seien wieder im Vormarsch. Die MHP ist seit 2018 an der türkischen Regierung beteiligt.
Plötzliche Erkenntnis?
Hat man jahrzehntelang die „Grauen Wölfe“ aktiv gefördert, geduldet oder an ihnen durch Saalmieten für Veranstaltungen verdient, wird nun von Politikern der CDU und Linken ein generelles Verbot der Bewegung gefordert. DW.com berichtet, dass Christoph de Vries (CDU) „die Dringlichkeit eines Stopps der Ultranationalisten“ betone. Man habe es „mit einer rechtsextremistischen faschistischen Organisation zu tun, die mit einer Größe von rund 18000 Mitgliedern etwa dreimal so groß ist wie die Nationaldemokratische Partei Deutschlands NPD. Damit stellt sie ein erhebliches Bedrohungspotenzial für unsere freiheitlich demokratische Grundordnung dar. […] Unsere Überzeugung ist, dass Faschismus in jeglicher Form menschenverachtend und eine Bedrohung ist. Deswegen können wir keine Abstriche machen.“
„Die Ideologie wird bleiben, man wird sich neu organisieren. Es ist meines Erachtens viel wichtiger, dass mehr und breiter aufgeklärt wird. Wir sind uns einig, dass wir gegen Neonazis sind und dagegen demonstrieren. Bei türkischem Nationalismus und Rassismus und Antisemitismus in Form der Grauen Wölfe sieht das anders aus. Es wird immer neue Gruppierungen geben, die ihr rechtsradikales Denken weiterentwickeln und neue Bündnisse bilden. Dann würde ein Verbot von einer Partei gar nicht mehr greifen, weil sich schon wieder eine Neue organisiert hat. Ich bin eine Freundin von präventiven Maßnahmen.“ Sineb El Masrar zum Thema Verbot der Grauen Wölfe gegenüber dem Magazin Vice
Auch die stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Sevim Dagdelen, sieht die „Grauen Wölfe“ als „eine der größten rechtsextremistischen und verfassungsfeindlichen Organisationen in Deutschland“. Vor nicht allzu langer Zeit sah man das allerdings noch anders. Zumindest galt das für Christiane Buchholz, die als religionspolitische Sprecherin der Fraktion, Mitglied im Verteidigungsausschuss, stellvertretendes Mitglied im Menschenrechtsausschuss und im Parteivorstand der Partei „Die Linke“ aktiv ist. Ihre Schwerpunkte sind die Bereiche Antifaschismus und Antirassismus.
In einem Interview mit „Die Freiheitsliebe“, meinte sie angesprochen auf die von „Jungle World“ behauptete Nähe der Union der „Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa e. V.“ (ATIB) zu den „Grauen Wölfen“: „[…] ATIB hat die Vorwürfe zurückgewiesen und ist auch schon erfolgreich gegen ähnliche Vorwürfe vorgegangen. […] Selbst wenn ich Positionierungen in Bezug auf einen Konflikt in einem Herkunftsland nicht teile, ändert das nichts daran, dass ich alle für den Kampf gegen Rassismus gewinnen will.“
Der angesprochene Verfassungsschutzbericht 2019 hält allerdings Folgendes fest: „Die rechtsextremistische türkische „Ülkücü“-Ideologie wird in Deutschland im Wesentlichen durch die beiden Dachverbände „Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e.V.“ (ADÜTDF) und „ATİB – Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa e.V.“ (ATİB) vertreten.“
Dieser Bericht ist zwar erst am 9. Juli 2020 von Bundesinnenminister Horst Seehofer und Bundesverfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang der Öffentlichkeit vorgestellt worden. Aber ist es vorstellbar, dass ein Parteivorstandsmitglied von “Die Linke”mit Schwerpunkten wie Antifaschismus und Antirassismus wirklich nicht ahnen konnte, mit wem es sich da eingelassen hat?!
„Schulen sollten die verschiedenen menschenfeindlichen, antisemitischen, antifeministischen Gruppierungen aufzeigen und benennen. Berichterstattung und auch die Auseinandersetzung im Film sind wichtig. So können junge und ältere Menschen sensibilisiert werden.“ Sineb El Masrar gegenüber dem Magazin Vice
Laut Bundesamt für Verfassungsschutz ist der größte Dachverband die Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealisten-Vereine in Deutschland ADÜTDF – eben die oben erwähnte „Türk Federation“. Diesem Dachverband „gehören rund 170 lokale Vereine an, in denen etwa 7.000 Mitglieder organisiert sind“. De Vries merkte noch an, dass man es bei den „Grauen Wölfen“ mit einer Organisation zu tun habe, die „für zahlreiche politische Morde, Attentate und Terroranschläge in der Türkei“ verantwortlich gemacht werden.
Die Verbrechen, die in Deutschland begangen wurden, erwähnte er nicht. Vielleicht wollte er damit unangenehme Fragen zur freundlichen Kooperation der Unionsparteien mit den „Grauen Wölfen“ erst gar nicht aufkommen lassen. Es ist ja auch schwer zu erklären, warum man für Faschisten ein „günstiges psychologisches Klima“ in Deutschland schaffen wollte. Auch „der Freitag“ berichtet darüber, dass die Grünen-Politiker Irene Mihalic, Konstantin von Notz und Cem Özdemir bei den Regierungsparteien Union und SPD für eine interfraktionelle Initiative zum Verbot der „Grauen Wölfe“ in Deutschland werben würden.
Woher kommt aber dieser plötzliche Eifer im Kampf gegen den Faschismus?
Jahrzehntelang konnten die „Grauen Wölfe“ ungehindert ihre Organisationen aufbauen, sich international koordinieren und politische Morde begehen. Man sah sich offensichtlich vereint im Kampf gegen die „kommunistische Gefahr“. Heute existiert die Sowjetunion nicht mehr und die Linke Europas ist geschwächt. Haben die „Grauen Wölfe“ aus Sicht „europäischer Interessen“ ausgedient und stehen heute, zumindest vorübergehend, den eigenen strategischen Interessen vielleicht sogar entgegen?
Dies könnte man einer Äußerung des Parlamentarischen Geschäftsführers der CSU-Fraktion im Bundestag Stefan Müller entnehmen. Für ihn sind die „Grauen Wölfe“ „Erdoğans verlängerter Arm nach Europa“ („derfreitag“). Wie auch immer, eine Frage drängt sich auf: Wie glaubwürdig sind heute jene, welche ein Verbot einer faschistischen Organisation fordern, welche sie noch gestern förderten?
„Falls Sie nicht wollen, dass der Völkermord an den Armeniern anerkannt wird … wählen Sie ÖVP!“ Die Verbindungen der ÖVP-Favoriten zu den Grauen Wölfen
In seiner mehrteiligen Serie über die „Grauen Wölfe“ beschäftigt sich Michael Bonvalot u.a. mit einem ÖVP-Funktionär aus Wien-Favoriten. Mustafa Iscel unterstützte demnach eine Veranstaltung der „Türkische Föderation in Österreich“ (ATF) – dem Dachverband der „Grauen Wölfe“ in Österreich. Iscel war damals Organisationsreferent der ÖVP Wien-Favoriten und hat „auf offiziellem Briefpapier der ÖVP“ seine Unterstützung für die Veranstaltung erklärt.
„Erstmals fällt der Besitzer der Fahrschule Vienna am Favoritner Keplerplatz einer breiteren Öffentlichkeit im Jahr 2006 auf. Damals ließ er Plakate auf Türkisch drucken, auf denen stand: „Falls Sie nicht wollen, dass der Völkermord an den Armeniern anerkannt wird … wählen Sie ÖVP!“
Für die ÖVP offenbar kein größeres Problem, im Gegenteil: Iscel macht weiter Karriere in der Partei. 2013 wird Iscel sogar Nationalratskandidat der ÖVP als Nummer 19 auf der Wiener Landesliste. Auch da wird er erneut auffällig, als er der türkischsprachigen Wiener Zeitung „Yeni Nesil“ (Neue Generation) droht. Diese solle noch vor der Wahl ein Interview mit ihm veröffentlichen – sonst würde der ÖVP-Wirtschaftsbund für die Annullierung von Inseraten sorgen.
[…] Iscel wird auch gegenwärtig als Mitglied der Bezirksgruppenleitung des ÖVP-Wirtschaftsbundes in Favoriten geführt. Die ÖVP ist über Bünde aufgebaut – und der Wirtschaftsbund ist eine Teilorganisation der ÖVP. Auch bei den Wirtschaftskammerwahlen 2020 hat Iscel für den ÖVP-Wirtschaftsbund kandidiert.“ – Michael Bonvalot, Journalist
Angesichts dieses freizügigen Umgangs mit einer offensichtlich antisemitischen Organisation, stellt sich die Frage, wie die jüngste Solidaritätsbekundung der österreichischen Regierung mit Israel zu verstehen ist. In diesem Licht erscheint außerdem die von der ÖVP betriebene Propagierung der „Islam-Landkarte“, um „jene zu identifizieren, die dem politischen Islam zuzurechnen sind“, als politischer Taschenspielertrick. Wie oben erwähnt, handelt es sich bei den „Grauen Wölfen“ um Faschisten_Innen mit Bezug zum Islamismus.
Titelbild: Thespoondragon, Wikimedia Commons CC BY-SA 4.0 / Bearbeitung: Unsere Zeitung
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