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Unsere Pflicht in die Dunkelheit zu schauen

Erinnerungen an meine Urgroßmutter im Widerstand. 

Von Benjamin Lapp

„Die im Dunklen sieht man doch“ ist der Titel eines 2007 herausgegeben Buches von Maria Cäsar und Heimo Halbrainer, das sich mit Frauen im Widerstand in der Steiermark beschäftigt.

In diesem Buch auch meine eigene Urgroßmutter zu finden, erfüllt mein Herz mit Stolz, aber im gleichen Maße ist dies natürlich auch Verantwortung. Sie hätte gerne den weiteren Lebensweg ihrer Kinder begleitet, diese hätten mit Freude noch viele Jahrzehnte eine liebevolle Mutter gehabt und ihre Enkelkinder wahrlich gerne ihre Oma kennengelernt.

Möglicherweise gerade wegen ihrer Kinder hat sie sich für Widerstand entschieden. Für einen Widerstand, dem lange Jahre nicht viel Aufmerksamkeit zuteil wurde.

Ein altes Foto von Josefine Kettler
Josefine Kettler, 1893-1945

Josefine ‚Josefa‘ Kettler wurde am 22.01.1893 in Voitsberg als drittes von acht Kindern geboren.

In ihrem Stammbaum offenbart sich die K.u.K.-Doppelmonarchie mit tschechischen, ungarischen, steirischen und kärntnerischen Einflüssen. Es waren arbeitende Menschen, die auf der Suche nach einer besseren Zukunft für ihre jeweiligen Familien in dem Bergbaurevier Köflach suchten.

Ihr musste schon als Kind die sozialen Umstände klar geworden sein, denn sowohl ihr Vater wie ihre Mutter arbeiteten unter Tage.

Drei ihrer Onkel machten sich, als Josefine 14 Jahre alt war, auf den Weg nach Amerika und versprachen sich dort eine bessere Zukunft. Der Kontakt zu einem dieser drei, Alois Odratowitz, blieb über Briefwechsel bestehen und in seinem Nachlass fand man einen Brief in dem er von dem Tode seiner Schwester, Josefines Mutter, durch seinen Neffen Augustin Vallant unterrichtet wurde.

Am 21.11.1915 heiratete Josefine den Schlosser Adolf Kettler in Kapfenberg und brachte in den folgenden Jahren drei Mädchen und einen Jungen zur Welt.

Eine Anekdote, die vielleicht ihren Facettenreichtum zeigt ist die Hochzeit dreier ihrer Geschwister im Oktober 1934 in Voitsberg. Sie war wohl die einzige Frau die dort eine Krawatte trug.

Am 06.04.1943 wurde sie von der Gestapo mit dem Vorwurf ‚Vorbereitung zum Hochverrat‘ verhaftet und nach Graz in das Gestapo-Hauptquartier gebracht.

Ihr Beruf vor der Verhaftung war Zeitungszustellerin und es gibt Hinweise, dass sie Botin illegaler Zeitungen war.

Tafel: Josefine Kettler, Kapfenberger Widerstandskämpferin
Tafel für Josefine Kettler im Museum Kapfenberg

Ende Juni, genauer am 25. wurde sie in das Konzentrationslager Auschwitz verbracht. Noch vor der Befreiung durch die Rote Armee musste sie im Dezember 1944 ins KZ Ravensbrück. Sie verstarb wenige Wochen bevor auch das KZ Ravensbrück befreit wurde am 06. März 1945.

Im Jahr 2000 wurde die Josefine-Kettler-Gasse in Kapfenberg nach ihr benannt und im Jahre 2018 hat das städtische Museum Kapfenberg sie neben anderen Widerstandskämpfer*innen in einer Ausstellung mit einer Tafel geehrt.

Am 09. April hatte ich nun im Rahmen des 76. Jahrestag des Gedenkens an die Befreiung des KZ Ravensbrück die Ehre bei einer Lesung des Ravensbrück Memorial ein Gedicht in Gedenken an meine Uroma vortragen zu dürfen. Dieser Rahmen war sowohl für mich, wie auch meiner Familie ein wichtiger und ergreifender Moment. Entstanden ist das besagte Gedicht aus der Sorge heraus, dass in den letzten Jahren weltweit die Gefahr rechter Bewegungen zugenommen hat.

Aus diesem Gesichtspunkt heraus wohnt dem Gedicht auch ein Hilferuf über den aktuellen Zustand der Welt inne.

Dies führt mich wieder zu dem Eingangs erwähnten Buchtitel zurück, denn es ist für uns geradezu eine Verpflichtung in die Dunkelheit zu schauen und im besten Falle von dem Zeugnis dieser Frauen und Männer zu lernen.

An meine Uroma,

Du hast in all den Jahren gefehlt,

gingst durch die dunkelste Stunde,

den dunkelsten Ort

wo der Begriff der Freiheit entstellt

und begraben in einer Fuge des Todes wurde.

Sie dachten, Du seiest ihre Gefangene,

doch Du warst, bist und wirst

ihnen immer überlegen sein.

Ich habe den Eindruck deine Gnade leuchtet

über die Generationen hinweg zu mir.

Alles fühlt sich so kalt an, sehr kalt.

Sag mir, was soll ich tun?

Ich spüre deine Traurigkeit

aufgrund unseres Versagens.

Der hassende Gleichschritt

ist unter pöbelnder Zustimmung

wieder überall zu vernehmen

Was soll ich tun?

Der Gedanke an eine friedlichere Zukunft

ist ein unteilbarer Auftrag.

Die Welt muss eine bessere werden.

Ich werde dafür kämpfen,

und eines Tages

werden wir uns sehen.

Benjamin Lapp


Fotos: Benjamin Lapp

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