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Kündigung statt Homeoffice und Inklusion

Eine junge Frau muss ihren Arbeitsplatz räumen, weil starre Strukturen wichtiger sind als ihr Wunsch nach Homeoffice. Vor allem Menschen mit Behinderungen haben immer wieder mit Vorurteilen zu kämpfen.

Ein Gastbeitrag von Sandra Gerner

„Mir ist aufgefallen, dass Du oft von ‚gesund werden‘ gesprochen hast. Ich bin – abgesehen von meinem unmittelbaren Gesundheitszustand – nicht krank, sondern behindert.“

Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses, sitzt Martina* einer Mitarbeiterin der Arbeiter_innenkammer gegenüber. Nicht, weil sie die einvernehmliche Kündigung anfechten möchte, sondern um sicherzugehen, dass sie zumindest die ihr noch zustehende Entlohnung aufs Konto überwiesen bekommt. 

Sie reden nicht nur über ihren besonderen Fall, denn auch bei Martinas Vorgängerin in dieser Position ist den Verantwortlichen auf der Arbeitgeberseite ein Fauxpas passiert: Die mündliche Zusage einer Verlängerung ihres befristeten Vertrages wurde nach Bekanntgabe ihrer Schwangerschaft revidiert und der Kompromiss geschlossen, das Arbeitsverhältnis bis zum Mutterschutz zu verlängern. 

Rechtlich gesehen ist der Arbeitgeber nicht dazu verpflichtet, einen unbefristeten Arbeitsvertrag im Falle einer Schwangerschaft zu verlängern – sofern „sachlich gerechtfertigte Gründe“ vorliegen. Letzteres ist aufgrund der Tatsache, dass ihre Nachfolgerin sofort einen unbefristeten Vertrag bekommen hat, aber anzuzweifeln. Die Empfehlung der Arbeiter_innenkammer: Fall prüfen lassen.

Barrierefreiheit durch Flexibilität

„Ich möchte in einer Gesellschaft leben, die Ressourcen umverteilt und marginalisierte Menschen mehr und vor allem adäquat unterstützt. Ich möchte in einer Gesellschaft leben, in der gemeinsam mit Menschen mit Behinderung Lösungen gesucht und erarbeitet werden, um auch ihnen eine vollwertige, gleichberechtigte, barrierefreie Teilhabe am Leben zu ermöglichen. Genau das zu tun, ist jetzt unsere gemeinsame Chance, finde ich.“

Während des ersten durch das Coronavirus bedingten Lockdowns wurde die Wirtschaft von einem auf den anderen Tag stillgelegt und die Flexibilität von Unternehmen herausgefordert. Jene, die konnten, stellten ihren Betrieb innerhalb kurzer Zeit auf Homeoffice um. Mit dieser mehr oder minder erzwungenen Maßnahme wurden einerseits skeptische Arbeitgeber_innen davon überzeugt, dass ihre Mitarbeiter_innen trotzdem weiterhin ihre Leistung von zu Hause erbrachten und andererseits auf Arbeitnehmer_innenseite die Vor- und Nachteile von „remote work“ kennengelernt.

Dieses Beispiel der einvernehmlichen Kündigung hingegen offenbart starre Denkweisen, die sich selbst nach positiven Erfahrungen nicht aufbrechen haben lassen: Denn als die Maßnahmen wieder gelockert wurden und Martina den neuen Job übernahm, wurde ihr Wunsch nach Homeoffice plötzlich wieder zum Problem. Obwohl ihr Arbeitgeber von ihrer Behinderung und den besonderen Umständen wusste, erlaubten sie ihr nicht, weiterhin zum Teil von Zuhause weiterzuarbeiten.

„Ich bitte Euch, Euch diesen Vorschlag und diese Gedanken durch Kopf und Herz gehen zu lassen. Ich möchte das gerne noch einmal mit Euch besprechen und einen solchen Weg suchen. Wenn uns das nicht gelingt, können wir immer noch die einvernehmliche Auflösung des Dienstverhältnisses durchziehen.“

Auf der Suche nach den Gründen

Bereits beim Vorstellungsgespräch wurde offen über die Behinderung und den Wunsch auf Homeoffice diskutiert. Obwohl die angehende Arbeitnehmerin daraufhin erst Zustimmung erhielt, wurden die konkreten Punkte im Dienstvertrag nicht festgehalten, denn „das würden ja dann alle wollen“. Der Austausch endete mit einer mündlichen Vereinbarung, die nicht standhielt. 

„Menschen sind verschieden und brauchen verschiedene Dinge. Sie haben mir dann während meines Krankenstandes (Hand gebrochen) eine einvernehmliche Kündigung nahegelegt“, kommentiert Martina. Als Gründe wurden „Ungenauigkeit“ und „Unzuverlässigkeit“ vorgeschoben, nachdem sie Tage zuvor sehr lobende Worte für ihre Arbeitsweise bekam.

„Ich habe lange im Behindertenbereich gearbeitet und gelebt, ich habe selbst eine Behinderung. Mir ist bewusst, dass die meisten Menschen in unserer Gesellschaft ein anderes Bild von Behinderung haben als ich, und zwar weil es ihnen an Kontakt, Erfahrung und Information mangelt. Ich warte auf die Zeit, in der die notwendige Bewusstseinsarbeit zu den Themen Behinderung und Inklusion nicht mehr an den Betroffenen selbst hängen bleibt.“

Der einzige Wunsch der Arbeitnehmerin war Homeoffice. Aber weil als Begründung nicht die Pandemie, sondern eine Behinderung maßgeblich war, wurde sie entlassen. Irgendwie anders zu sein und nicht der „Norm“ zu entsprechen hat nach wie vor reale Auswirkungen auf die Lebensverhältnisse von Betroffenen. 

Insbesondere im Annehmen besonderer Umstände behinderter Menschen sowie der Ermöglichung einer gleichwertigen Teilhabe an der Gesellschaft. Möglich gewesen wäre das in diesem konkreten Fall durch die Bejahung von flexiblen Rahmenbedingungen und Homeoffice-Tagen.

 „Für mich geht es hier um einen meiner grundlegenden Werte und es ist mir sehr wichtig, für mich einen Arbeitsplatz zu finden, an dem dieser Wert geteilt wird – und für unsere Gesellschaft halte ich es für wichtig, dass immer mehr solcher Arbeitsverhältnisse entstehen, weil sie (die Gesellschaft, also wir gemeinsam) dann auch den Mehrwert, den gelungene Inklusion bringt, lukrieren wird.“


*Name geändert

Anm.: Dieser Artikel beinhaltet Zitate des E-Mail-Verlaufs zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmerin

Dieser Beitrag wurde als Gastartikel eingereicht. Auch Dir brennt etwas unter den Nägeln und Du willst, dass es die Öffentlichkeit erfährt? Worauf wartest Du noch? Jetzt Gastartikel einreichen!

Titelbild: Christin Hume auf Unsplash

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