Sonntag ist Büchertag: „Wage zu träumen! – Mit Zuversicht aus der Krise“
In seinem neuen Buch entwirft Papst Franziskus im Gespräch mit Austen Ivereigh eine Vision für die “Welt nach Corona“.
Von Karl Helmreich, Benediktiner von Melk
Wie in einem Brennglas zeigt die Corona Krise die großen gesellschaftlichen Probleme. Sie macht deutlich, was wir sonst nicht wahrnehmen, weil es weit von uns entfernt passiert. Die Covid-Pandemie mag besonders erscheinen, weil sie fast die gesamte Menschheit betrifft – also auch uns bedroht. Es gibt tausend andere Krisen, die genauso schlimm sind, aber weit genug von vielen von uns weg, sodass wir so tun können, als ob es sie gar nicht gäbe: Hunderttausende Menschen auf der Flucht vor Armut, Krieg, Klimawandel und 3,7 Millionen Hungertote im ersten Jahresdrittel 2020. Wie werden wir mit den verborgenen Pandemien der Welt umgehen? Lange Zeit dachten wir, wir können gesund bleiben, auch in einer kranken Welt.
Papst Franziskus folgt dem Dreischritt sehen – urteilen – handeln
Covid-19 hat jene andere Pandemie demaskiert, den Virus der Gleichgültigkeit, das Ergebnis des dauernden Wegschauens und sich-Einredens, dass, weil es keine sofortige oder magische Lösung gibt, es besser ist, gar nichts zu fühlen.
Papst Franziskus richtet deshalb in seinem neuen Buch “Wage zu träumen!” den Blick auf das Gemeinwohl als die Summe des Wohls der Einzelnen. Dies bedeutet, auf alle Bürger Rücksicht zu nehmen und zu versuchen, sich wirksam für die Bedürfnisse der am wenigsten begünstigten Menschen einzusetzen.
Da nimmt er auch Bezug auf die gegen das Tragen von Masken Protestierenden und die, die ihre Autonomie beschränkt sehen, wenn ihnen Reisebeschränkungen auferlegt werden..
Ein Teil ist auch eine Replik auf „Laudato si“, die zweite Enzyklika von Papst Franziskus. Wenn wir Mutter Erde vernachlässigen, verlieren wir nicht nur, was wir zum Überleben brauchen, sondern auch die Weisheit, gut miteinander zu leben. Die Sünde hat immer dieselbe Wurzel, nämlich die der Besessenheit und der Bereicherung auf Kosten anderer Menschen und der Schöpfung selbst.
Durch Zugehörigkeitsempfinden zu etwas Großem und einen starken Sinn für Solidarität und Gerechtigkeit soll ein Gegengift gegen die andauernde Versuchung Eliten zu schaffen gefunden werden. Elitäres Denken reduziert und beschränkt den Reichtum und macht ihn zu Besitztümern, die von einigen ausgebeutet werden, statt von allen geteilte Geschenke zu sein. Eliten zwingen ihre eigenen Kriterien auf und verachten und grenzen dabei andere aus.
Papst Franziskus spricht die Einladung aus, die selbstzerstörerische Isolation des Individualismus aufzugeben und von der eigenen kleinen Lagune hinauszufließen in den breiten Fluss der Wirklichkeit. Die Pandemie hat uns daran erinnert, dass niemand alleine gerettet wird.
Explizit würdigt er dabei soziale Bewegungen, die die Würde der Volksgemeinschaft verteidigen und den Zugang aller zu Land, guter Arbeit und Wohnraum einfordern.
Man kann Armut nicht aus der Distanz verstehen; du musst sie berühren. Vielleicht fällt uns Begüterten deshalb Solidarität so schwer.
Gerade der dritte Teil “Eine Zeit zum Handeln” ist eine große Herausforderung und eine Ermutigung, denn die Welt wird nach der Pandemie eine andere sein und andere Antworten einfordern.
Papst Franziskus – Wage zu träumen! Mit Zuversicht aus der Krise
Kösel Verlag, München 2020
ISBN 9783466372720
Gebunden, 192 Seiten, 20,00 Euro
Weiterführender Lesetipp: „Eine Zeit zum Handeln“ von Gerhard Oberkofler
Titelbild: Ashwin Vaswani on Unsplash