Genossenschaften als Keim der Systemveränderung
Sie bezeichnen sich als coops, Genossenschaften, Kollektive oder Kooperativen. Gemeinsam ist ihnen jedoch der Versuch, die Arbeitswelt der Menschen zu demokratisieren. Wie kann so ein Unterfangen gelingen? Was braucht es, um einen klassischen Betrieb oder ein Projekt demokratisch zu machen? Was macht das mit den Menschen und ihrem Alltag? Ließe sich damit längerfristig gar ein ganzes Wirtschaftssystem demokratisieren?
Fragen, die Journalist und Autor Christian Kaserer in seinem Buch „coop – Selbstverwaltete Betriebe und ihre Auswirkungen auf Arbeit und Gesellschaft“ (guernica-Verlag) zu beantworten trachtet. Dafür besuchte er sieben selbstverwaltete Betriebe in Griechenland, Großbritannien, Frankreich, Italien, Polen, Spanien und Österreich. Im Gespräch mit dem Werkstatt-Blatt erzählt Kaserer von seiner spannenden Reise und den daraus gewonnen Erkenntnissen:
Kannst du einen kurzen Überblick über die von dir besuchten Betriebe geben?
Die besuchten Betriebe sind ganz unterschiedlicher Natur. Manche sind klein und bestehen aus etwa 20 Personen, manche sind riesige Konzerne mit 80.000 Menschen. Das war mir sehr wichtig, da der Selbstverwaltung oft nachhängt, nur etwas für kleine Unternehmen, ja eigentlich Startups zu sein. Ihnen allen gemein ist, dass sie aus Krisen entstanden sind und es geschafft haben, jene zu meistern. So etwa VIO.ME in Griechenland, die aus der griechischen Staatsschuldenkrise hervorgingen oder Mondragon im Baskenland, die nach dem spanischen Bürgerkrieg entstanden sind, um durch die gemeinsame Arbeit die Gräben zwischen den Menschen zuzuschütten.
Gibt es trotz der unterschiedlichen Größe so etwas wie einen roten Faden, der sich durch all diese Projekte zieht?
Ganz klar. Einerseits eben, dass die von mir besuchten Betriebe ein Versuch waren, Lösungen für Krisen zu finden. Aber das ist natürlich nicht auf alle solche Betriebe anwendbar. Ein roter Faden ist aber sicher, dass Menschen in solchen Betrieben sich politisch mehr engagieren. Das ist auch, wie aus einem Interview im Buch hervorgeht, auch wissenschaftlich belegt. Abgesehen davon, dass Menschen politisiert werden, haben sie alle auch den Wunsch, ihrer Umgebung etwas zurückzugeben, sind also in der Regel sehr sozial.
Wie demokratisch sind diese COOPs, wenn es um klassisch unternehmerische Entscheidungen geht, wie z.B. Einkommens- und Aufgabenverteilung innerhalb des Betriebs, Investitionen, Einstellungen oder Kündigungen?
Das ist ganz unterschiedlich. Manche sind geradezu basisdemokratisch oder zumindest soziokratisch. Die Entscheidungsfindung ist also breit angelegt, niederschwellig und daher aber auch manchmal recht zäh. Andere und meist größere Betriebe haben es so gemacht, dass sie formale Leitungspersonen wählen und jene ihnen jedoch rechenschaftspflichtig sind und jederzeit abgesetzt werden können. Es ist also so, dass der Demokratisierungsgrad zwischen völlig demokratisch und mit hohem Mitbestimmungsrecht schwankt.
Hat du in Erfahrung gebracht, welche Lohnunterschiede es innerhalb der selbstverwalteten Unternehmen gibt?
In der Regel sind Lohnunterschiede nicht vorhanden oder aber minimal und der Arbeitszeit geschuldet. Aus dem Rahmen fällt hier Mondragon, ein Betrieb mit 80.000 Menschen. Hier gibt es tatsächlich professionelle Manager, welche maximal das Sechsfache des Durchschnittsgehalts verdienen dürfen.
Du stellst am Anfang deines Buches zwei wichtige Fragen: Was macht kooperatives Arbeiten mit den Menschen und ihrem Alltag? Ließe sich damit längerfristig gar ein ganzes Wirtschaftssystem demokratisieren? Hast du eine Antwort auf diese Fragen gefunden?
Ja und nein. Wie das schon angesprochene Interview mit Wolfgang G. Weber im Buch zeigt, ist es inzwischen wissenschaftlich belegt, dass Selbstverwaltung die betroffenen Menschen politischer macht. Diese Antwort habe ich also gefunden. Ob sich damit ein ganzes Wirtschaftssystem demokratisieren, sich also der Kapitalismus überwinden ließe, ist eine ganz andere, schwer zu beantwortende Frage, auf die ich keine Antwort fand. Ich denke, dass die Recherchen gezeigt haben, dass Selbstverwaltung in bestimmten Teilbereichen möglich und machbar ist. Die existierenden Unternehmensformen allerdings sind viel mannigfaltiger als jene Betriebe, die ich besuchte und ich denke, die Selbstverwaltung kann tatsächlich nicht die Antwort auf alle Fragen sein.
Nach der schweren Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/09 befinden wir uns nun ausgelöst durch Corona erneut mitten in schweren wirtschaftlichen Verwerfungen. Wie kommen diese Kooperativen im Vergleich zur traditionellen Ökonomie durch diese Krisen?
Ein gutes Beispiel dafür ist Mondragon. Es handelt sich dabei um den siebtgrößten Betrieb Spaniens, ein wahres Monstrum. Während bei Wirtschaftskrisen Konkurrenten reihenweise umfielen, haben sie jene gut, oftmals nahezu unbeschadet, überstanden. Der Vorteil an einer demokratisierten Arbeitswelt ist es, dass ein umfangreiches Wissen zusammenfließt und daher Lösungsansätze vielfältiger und kreativer sind.
>> COOP – Selbstverwaltete Betriebe und ihre Auswirkungen auf Arbeit und Gesellschaft
Autor: Christian Kaserer
guernica-Verlag, 2020, EUR 9,90
Hier weitere Informationen und Bestellmöglichkeit
Video von der Buchpräsentation in Linz am 15. September 2020 – Tag der Demokratie:
Serie von Christian Kaserer zu selbstverwaltete Betriebe in Europa:
- Teil 1: Der Kampf um die Seife in Thessaloniki
- Teil 2: Selbstverwaltete Suchtbekämpfung in Bozen
- Teil 3: Genossenschaften – Arbeiterkontrolle oder Businessmodell?
- Teil 4: Power to, for and by the people – Energiekooperativen in London
- Teil 5: Solidarity Cities – Lokale Strategien für ein solidarisches Miteinander
- Teil 6: Eigentum aus dem Markt nehmen – Gespräch mit der Munus-Stiftung
- Teil 7: Mondragón – Humanity at work
Zusammengestellt von Michael Wögerer
Titelbild: VIOME-Graffiti (Foto: Christian Kaserer)