Filmschmankerl #7: Rache
Biblisch begründet und damit beinahe schon archaisch in das Narrativ westlicher Gesellschaften eingebrannt, spielt Rache auch filmisch eine omnipräsente Rolle. Während der Versuch, scheinbare Gerechtigkeit in die eigenen Hände zu nehmen, oft genug als Blaupause für sinnlose, rein auf Action ausgerichtete Filme dient, gibt es genügend Beispiele dafür, dass Rache deutlich mehr sein kann als ein blutiges Spektakel ohne Hirn.
Von Bernhard Landkammer und Hannah Wahl
Im Rahmen eines durchdachten Drehbuchs und durch eine ansprechende, auf feinere Nuancen abzielende Inszenierung bezieht Rache eine fast schon philosophische, auf jeden Fall aber soziologische Ebene mit ein. Gesellschaftliche Funktionsmechanismen werden hinterfragt und der Gedanke von Gerechtigkeit in einem Zwiespalt zwischen Moralität und Justiz gestellt. Die Filme in dieser Filmschmankerl-Ausgabe nähern sich dem Thema der Rache auf unterschiedliche Arten an.
Audition [orig.: Ōdishon] (Japan,1999)
Takashi Miike hat sich im Laufe seiner mehr als 100 Filme umfassenden Regiekarriere in nahezu allen Spielarten ausgetobt. Dabei steht Gewalt, sowohl in physischer wie auch in emotionaler Form, häufig im Fokus. Mit AUDITION liefert er eine Blaupause für die verstörende filmische Darstellung von Gewalt. Das gelingt ihm durch eine heftige Kritik patriarchaler Strukturen sowie in Form einer spiralförmigen, bewusst zerfasernden Narration. Ein Mann mittleren Alters sucht über ein inszeniertes Casting für einen nicht existenten Film nach einer Partnerin. Was als unterhaltsame, oft kitschige Romanze beginnt, entwickelt sich allmählich zu einem surrealen Horrorstück, in der Zuschauer*innen ebenso verloren sind wie der Protagonist. Im finalen Akt eskaliert diese Handlung letztlich in rohe Gewalt. Auch wenn es nicht explizit erwähnt wird, steht diese jedoch nicht voyeuristisch für sich selbst, sondern metaphorisch für die Folgen einer objektivierenden und systematisch unterdrückenden Gesellschaft.
Drive (USA, 2011)
Die Filme von Nicolas Winding Refn sind kein Geheimtipp mehr, sondern zwischenzeitlich schon zu modernen Klassikern geworden. Mit DRIVE hat der Virtuose, der zuvor schon unter anderem mit BRONSON oder der PUSHER-Trilogie sein Können unter Beweis stellte, ein Filmschmankerl mit Rache-Charakter geschaffen. Der namenlose Driver, verkörpert von keinem Geringeren als Ryan Gosling, verdient sich als Stuntfahrer in Hollywood etwas zum Lohn dazu und gilt als einer der besten. Seine Brötchen verdient der wortkarge Driver als Mechaniker. Sein Chef Shannon (Bryan Cranston) vermittelt ihm aber noch andere Jobs, damit er sich über Wasser halten kann: Als Fluchtwagenlenker nach Raubüberfällen. Ein Auftrag wird ihm allerdings zum Verhängnis. Wir wollen nicht zu viel verraten, aber in der mafiösen-Story steckt eine ordentliche Portion raffinierte Spannung und Rache – perfekt inszeniert und mit pulsierendem Sound untermalt.
I Saw The Devil [orig.: Angmareul Boatda] (Südkorea, 2010)
Rache hat viele Abstufungen, ist manchmal emotional ungewollt nachvollziehbar, nie zu akzeptieren und steht, abzüglich aller anderen Emotionen, für absolute Leere. Selten wurden diese Aspekte filmisch so eindrücklich, gewalttätig, abstoßend und herausragend verarbeitet wie in Kim Jee-Woons radikalen Meisterwerk I SAW THE DEVIL. Der stetig ausartende Rachefeldzug eines Polizisten, nachdem ein Triebtäter seine Frau brutal getötet hat, spielt dabei mit den der Rache eingeschriebenen moralischen Uneindeutigkeiten. Sowohl das anscheinend Gute wie auch das abgrundtief Böse werden gleichermaßen dargestellt. Allerdings verwischt der zunehmende Verlust von Humanität und Gerechtigkeit die Grenzen zwischen Gut und Böse bis zur Unkenntlichkeit. Oberflächlich scheinbar stumpf und übertrieben, regt dieser südkoreanische Film zum Reflektieren an, über die Welt und auch die eigene Emotionalität. Das Ergebnis ist ein forderndes, intensives und absolut herausragendes Stück Film, das allerdings aufgrund seiner nihilistischen und extrem brutalen Ausrichtung sicher nicht jeden Geschmack treffen wird.
Hard Candy (USA, 2005)
Auch für diesen Film braucht man starke Nerven: Regisseur David Slade inszeniert eine Story rund um die Teenagerin Hayley (Ellen Page), die im Internet einen weitaus älteren Fotografen kennenlernt. Zuerst chatten sie eine Zeit lang, dann treffen sie sich. Jeff ist sofort von der eloquenten Jugendlichen fasziniert und stimmt zu, sie mit nach Hause zu nehmen. Plötzlich nimmt die Geschichte eine unerwartete Wendung, als der Künstler mit offensichtlich pädophilen Neigungen das Bewusstsein verliert. Er wacht auf und ist an einen Stuhl gefesselt – für Jeff der Beginn eines Albtraums. Nur neun Minuten Hintergrundmusik, fünf Schauspieler*innen und einen Haupt-Handlungsort brauchte Slade neben seinem Drehbuch, um HARD CANDY schonungslos auf die Leinwand zu bringen. Ein empfehlenswerter, provokanter Psychothriller, der wirklich schwer im Magen liegt und bei den Rache-Filmschmankerln keinesfalls fehlen darf.
Titelbild: Peter Forster on Unsplash
DANKE, DASS DU DIESEN ARTIKEL BIS ZUM ENDE GELESEN HAST!
Unsere Zeitung ist ein demokratisches Projekt, unabhängig von Parteien, Konzernen oder Milliardären. Der obige Beitrag wurde von unseren Autor_innen ehrenamtlich verfasst. Wir würden gerne allen unseren Redakteur_innen ein Honorar zahlen, sind dazu aber leider finanziell noch nicht in der Lage. Wenn du möchtest, dass sich das ändert und dir auch sonst gefällt, was wir machen, kannst du uns auf der Plattform Steady mit 3, 6 oder 9 Euro im Monat unterstützen. Jeder kleine Betrag kann Großes bewirken! Alle Infos dazu findest du, wenn du unten auf den Button klickst.